Mein Bruder ist Industriekletterer und sollte einmal im Schornstein eines Kohlekraftwerks arbeiten. Er machte sich Sorgen um seine Mitarbeiter und fragte mich, ob ich ihm sagen könnte, wieviel Strahlung diese beim Arbeiten denn abbekommen würden, da von Seiten des Kraftwerksbetreibers keine Messungen durchgeführt wurden.
Meine erste Antwort war natürlich: “Klar, das gehört zu meinem Job”, aber die Umsetzung ist dann in der Realität gar nicht so leicht, weshalb ich dem ganzen Sachverhalt hier auch eine komplette Reihe an Beiträgen widmen möchte, die uns tief in die Detektorphysik und Messtechnik führen wird.
Die einfache Frage “wieviel Strahlung bekomme ich ab?” lässt sich nur einfach beantworten, wenn man sehr viele Annahmen und Pauschalisierungen macht. Ich könnte jetzt z.B. antworten: “Du bekommst pro Tag Arbeit im Kohlekraftwerk 3µSv an Strahlung ab.”
Das wäre zwar grob richtig, aber…
Zum Beispiel ist alleine die Einheit Sievert eine Umrechnung der Anzahl an Kernzerfällen auf die Wirkung am biologischen System. Sprich, Sievert misst eigentlich gar keine Strahlung, sondern die Auswirkung von Strahlung. Daher bekommen verschiedenen Strahlungsarten verschiedene Wichtungsfaktoren. Photonen (Röntgen, Gammas etc.) werden mal eins genommen, Protonen mal fünf, Alphateilen mal 20 und Neutronen zwischen 5 und 20 je nach ihrer Energie.
Das geht aber davon aus, dass die ganze Strahlung von außen kommt, also eine so genannte Ortsdosisleistung. Wenn das ganze jetzt inkorporiert (also eingeatmet, gegessen etc.) wird, dann muss ich noch mitberechnen, wie der menschlichen Körper das ganze aufnimmt. Also muss man zusätzlich zur Strahlung eine biologische Strahlungsleistung bestimmen, je nachdem, ob das radioaktive Element im Körper eingebaut wird (Iod) oder größtenteils wieder herausdiffundiert (Tritium).
Kann ich jetzt nicht einfach bei Amazon einen Geigerzähler für 160€ kaufen, meinem Bruder diesen umhängen und nachher ablesen, was da draufsteht?
Jein, es gibt nämlich KEIN Messgerät, dass ALLE Arten von Strahlung in allen Energiebereichen detektiert. Zum Beispiel gilt, dass ich viel Strahlung, die in einem Reaktor herumfliegt, mit den ganzen kleinen Detektoren von Amazon oder Conrad nicht vernünftig messen kann. Das ist leider einfach ein geometrisches Problem, da die Ionisationskammern nicht groß genug sind um z.B. schnelle Neutronen oder harte Gammas zu detektieren. Die durchdringen Materie halt einfach so schnell, dass die Nachweiswahrscheinlichkeit zu niedrig ist, um sie vom Untergrund zu unterscheiden. Neutronen im MeV-Bereich haben z.B. in He3-Detektoren von 10cm Kantenlänge eine Nachweiswahrscheinlichkeit von unter 5%. Trotzdem sind die halt gefährlich, weil der menschliche Körper hauptsächlich aus Wasserstoff besteht, was echt super darin ist Neutronen einzufangen und zu moderieren.
Allein um Neutronen in allen Energiebereichen zu messen sind mindestens vier verschiedene Systeme notwendig (Szintillator für >4MeV, Gas-Proportionalitätszähler(1) von 10keV – 4MeV, Bonner Kugeln von epithermisch bis 10keV und BF3 oder He3 Zähler für thermische und kalte Neutronen), die alle zusammen eine gute Millionen Euro kosten.
Und das sind nur Neutronen. Dazu kommt noch die ganze andere Strahlung von Alpha bis Gamma.
Trotzdem reicht ein Conrad-Geigerzähler oder ein Filmdosimeter in den meisten Fällen, denn ich kann mit ihnen unterscheiden zwischen “gefährlich” und “alltäglich” und in dem Fall meinem Bruder sagen “du bekommst so viel Strahlung ab, als ob du zwei mal geröntgt werden würdest.”
Zweimal geröntgt ist natürlich zu viel, aber auch ein anderes Thema.
Beim nächsten mal werde ich euch die Filmdosimeter vorstellen und vielleicht auch eine kleine Kaufempfehlung geben, falls ihr bei euch zu Hause mal Strahlung messen wollt.
(1): https://bubbletech.ca/product/rospec/
Alle meine Artikel zu Detektoren gibt er hier.
Kommentare (20)