Wenn man in Kanada oder den USA von umweltfreundlicher und “grüner” Energie spricht, dann gehört da auch immer Atomkraft zu und neue Atomkraftwerke werden als Möglichkeiten gehandelt den CO2 Ausstoß der Energieproduktion zu senken. Während also in Deutschland die letzten Relikte des Atomzeitalters ihr Leben aushauchen, gehen am MIT die Machbarkeitstudien für eine “neue” Art Kernreaktor in die letzte Stufe (https://heise.de/-2554723).
Normalerweise schreibe ich hier ja eher selten über aktuelle Themen, aber obwohl die Meldung zu den neuen Machbarkeitstudien es nicht wirklich in die Tagesschau geschafft hat möchte ich die Gelegenheit ergreifen um hier ein wenig vorzustellen, wie man in anderen Ländern mit dem Thema Atomkraft und Energiewende umgeht.
Das technische “White Paper” des Flüssigsalzreaktors von Transatomic Power liest sich erstmal ganz nett. Flüssiges LiF Salz wird als Moderator und Kühlung gleichzeitig benutzt und der flüssige Uranbrennstoff UF4 soll wesentlich effizienter “verbrannt” werden, so dass eine höhere Energie-Ausbeute erreicht werden kann und nur gering angereichertes Uran benötigt wird.
Was ist der große Vorteil gegenüber herkömmlichen Reaktoren? Der “Kernvorteil” ist, dass Lithium ein wesentlich besserer Moderator für Neutronen ist, als z.B. Wasser. Dadurch können wesentlich mehr Neutronen “in der Mitte” gehalten werden und weitere Kettenreaktionen auslösen, was dazu führt, dass die “Verbrennung” des Urans effektiver abläuft. Denselben Vorteil nutzen z.B. auch Schwerwasserreaktoren, bei denen das Deuterium im Schwerwasser den Hauptteil der Moderationsarbeit leistet und den Aufbau wesentlich effektiver macht, als normale Wasserreaktoren. Lithium moderiert nun eben noch effektiver, als Deuterium und mit dem flüssigen Lithium(Salz) kann man zudem noch besser kühlen, als mit Schwerwasser, da es mit ca. 600°C hindurchfließt und Wärme abtransportiert.
Ist die Idee jetzt so neu? Ähem… Nein, ganz und gar nicht. Die Idee flüssiges Lithium als Moderator zu benutzen wurde seit den 50er Jahren verfolgt und sogar das nun vorgeschlagene Reaktordesign wurde in den 60er und 70gern am ORNL entwickelt. Das ist auch genau mein Problem, dass ich mit der ganzen Sache habe. Die Idee dahinter stammt aus der goldenen Zeit der Atomkraft, als man nicht nur massenhaft neue Atomreaktoren aufgestellt hat, sondern eben auch eine Menge Geld und Energie in die technische Weiterentwicklung gesteckt wurde. Es gibt diverse Gründe, warum ich die flüssig Lithium Moderatoren auf der Welt an einer Hand abzählen kann und warum die meisten davon in Russland stehen. Sie sind technisch anspruchsvoll, schwer handzuhaben und haben ihrerseits auch wieder eine ganze Menge sicherheitstechnischer Probleme, die weniger mit Radioaktivität und mehr mit einem heißen Lithiumsalz zu tun haben. Auf meinem Fachgebiet (also Kristallographie mit Neutronen und Röntgen) wurde auch immer mal wieder über Lithium als Moderator nachgedacht, aber obwohl wir kein Uran und keine Kettenreaktion haben trauen sich da eigentlich nur wieder die Russen (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0969804304003276) dran sowas wirklich umzusetzen.
Also um das eigentlichen Thema noch mal zusammen zu fassen: Die fünfzig Jahre alte Idee wurde aus der Mottenkiste geholt, weil es aktuell en vogue ist CO2 zu sparen und man hier kein angereichertes Uran braucht, mit dem Terroristen Atomwaffen bauen könnten. So einen Flüssigsalzreaktor könnte man sogar die Iraner ohne Bedenken nutzen lassen. Sprich der Hauptgrund, warum dieser Reaktortyp wirtschaftlich sinnvoll sein könnte ist, dass er aktuell weniger Kosten für die Sicherheit verursacht. Das halte ich bei einem solchen Langzeitprojekt für… gelinde gesagt wenig nachhaltig.
Nachtrag vom 16.März 2015: Ich war heute auf der DPG-Tagung bei einem Vortrag von einem Vertreter der Atomenergie (den ersten, den ich bislang gesehen habe) und fragte ihn, wie er denn die Zukunft solch “neuer” Reaktortypen sehen würde. Er rechnete damit, dass frühestens in ca. 20 Jahren neue Reaktortypen in den kommerziellen Einsatz gehen würden.
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