Die BNCT (auf Deutsch “Bor-Neutronen-Einfang-Therapie”) ist eine elegante und effektive Art der medizinischen Strahlentherapie, die verschiedenen Mechanismen vereint und theoretisch sehr präzise eingesetzt werden kann. Leider hat sie eben den Nachteil, dass Neutronen benötigt werden und diese entweder mit einem Kernreaktor oder einem Teilchenbeschleuniger erzeugt werden müssen.
Grundsätzlich ist BNCT eine Methode der Strahlentherapie, bei der der Patient von außen mit Strahlung (in dem Fall Neutronen) beschossen wird. “Normale” Neutronentherapie wird standardmäßig z.B. am MLZ in München/Garching eingesetzt, ist aber nur für sehr bestimmte Arten von Tumoren geeignet. Bei der Bor-Neutronen-Einfang-Therapie wird dem Patienten vor der Bestrahlung zusätzlich noch ein Medikament verabreicht, das Bor 10 enthält. B10 absorbiert ungefähr 10000 mal besser Neutronen als menschliches Gewebe, so dass das Bor die Neutronen quasi wie ein Schwamm aufsaugt und einfängt, daher der Name BNCT.
Wenn das Bor ein Neutron eingefangen hat, zerfällt es zu Lithium und gibt dabei Alpha-Strahlung ab. Das Elegante an der ganzen Sache ist nun, dass die Alpha-Strahlung innerhalb der (Tumor)Zelle entsteht und eine sehr geringe Reichweite hat (<10µm). Dadurch ist der Schaden, den die Alpha-Strahlung anrichtet, ausschließlich auf die Zelle beschränkt, in der das Bor-Atom zerfallen ist und alle umliegenden Zellen (ohne Bor) bleiben unbeeinträchtigt. Darüber hinaus ist Alpha-Strahlung auch noch die zerstörerischste Strahlungsgart (für Zellen), die man so haben kann und während Tumorzellen Beta- oder Gamma-Strahlung (je nach Dosis) durchaus überleben können, endet eine Bestrahlung mit Alpha-Teilchen fast immer im (sicheren) Zelltod. Je nachdem, wo der Tumor im menschlichen Körper liegt, kann die Energie der Neutronen so gewählt werden, dass der Körper ohne viel Interaktion von den Neutronen durchdrungen wird, bis sie auf das Bor treffen. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber Photonen- oder Ionentherapie, die auch schon in normalem Gewebe viel Leistung deponieren, so dass Eindringtiefe und Position genau abgestimmt werden müssen. Darüber hinaus kann durch die große Absorption von Bor sehr viel Strahlung in rel. kurzer Zeit in den Tumor gebracht werden, so dass weniger Behandlungen nötig sind als z.B. mit Photonen.
Ein großer Nachteil der BNCT ist leider, dass die Neutronen eben von jeder Zelle eingefangen werden, die Bor enthält und nicht nur von Tumorzellen. Daher zielt die Hauptentwicklung momentan darauf ab Medikamente zu entwickeln, die möglichst viel Bor homogen in den Tumorzellen verteilen, während andere/gesunde Zellen kein Bor aufnehmen. Aktuell macht man sich meist den erhöhten Stoffwechsel von manchen Tumorarten zunutze, die dann mehr Bor-Medikament aufnehmen als normale Zellen. Mit den derzeitigen Methoden und einer intravenösen Darreichungsform erhält Tumorgewebe idR. eine fünfmal höhere Konzentration an Bor als gesunde Substanz.
Jetzt kommen die Physiker wieder ins Spiel, denn wenn man nun noch den Neutronenstrahl direkt auf den Tumor fokussieren könnte, ohne dass umliegendes Gewebe betroffen wird, dann hätte man selbst mit einem Bor-Verhältnis von 5:1 eine extrem gute Therapieform. Strahlentherapie mit Photonen, wie z.B. das das Cyberknife der Uniklinik Köln können einen Tumor von allen Seiten über volle 4 bestrahlen. Wenn so etwas auch mit Neutronen möglich wäre, dann würde die Strahlendosis mit der Entfernung vom Tumor annähernd quadratisch abnehmen, was vor allem mit dem zusätzlichen Verhältnis von 5:1 zwischen gesundem und krankem Gewebe echt gut wäre.
Leider funktioniert das nicht so einfach, denn Neutronenquellen lassen sich nicht so leicht bewegen und fokussieren. Das eben erwähnte Cyberknife zum Beispiel ist ein kleiner Linearbeschleuniger von ca. 1,5m Länge auf einem Industrieroboterarm, während der Patient ebenfalls auf einer Trage auf einem Roboterarm liegt, so dass jedes bewegte Ziel auf 1µm genau erfasst werden kann. Im Gegensatz dazu kommt ein nennenswerter Neutronenfluss allerdings hauptsächlich aus einem Forschungsreaktor und einen Kernreaktor kann man leider nicht auf einen Roboterarm packen und um einen Patienten herumbewegen. Es gab (und gibt) Ansätze stattdessen den Patienten zu bewegen, aber auch wenn das technisch mehr oder weniger das Gleiche und durchaus zu realisieren ist, hat die Erfahrung gezeigt, dass die Akzeptanz für solch eine Prozedur extrem gering ist und die Patienten dann lieber andere Behandlungsformen wünschen – statt sich wie ein nasser Sack Mehl in der Gegend herumfahren zu lassen. Darüber hinaus ist eine gewaltige Hemmschwelle für Mediziner und Patienten, dass sich solche Bestrahlungsgeräte eben nicht in einem Krankenhaus befinden (können), sondern bestenfalls in irgendwelchen spezialisierten Forschungszentren zu haben sind.
Da kommen jetzt wieder die Physiker und die CANS ins Spiel. Ich habe mich ja letztens entschuldigt, aktuell so wenig zu schreiben und das kommt hauptsächlich daher, dass ich gerade auf einer Konferenz zum Thema “Compact Accelerator-driven Neutron Sources” (kurz CANS) gewesen bin. Um eine Woche Material mal in einem Satz auszudrücken: Man kann relativ kleine (ca. 10m) beschleunigerbasierte Neutronenquellen bauen und diese für BNCT benutzen. Diese könnte man dann sowohl in einem Krankenhaus aufbauen als auch derart beweglich gestalten, dass man einen signifikanten Raumwinkel abdecken und dadurch die Effizienz von Strahlentherapie mit Neutronen wesentlich erhöhen kann.
Derzeit sind mehrere solcher kleiner Anlagen (vor allem in Japan) im Aufbau und höchstwahrscheinlich wird es im kommenden Jahr die ersten Erfolgsmeldungen geben. In Deutschland scheint sich aktuell niemand direkt mit dem Thema zu beschäftigen, aber die Hoffnung bleibt natürlich, dass eine etablierte Methode (vielleicht direkt als kommerzielles Kompaktsystem) schnell Einzug in das deutsche Gesundheitswesen halten könnte.
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