Dinge in einen Forschungsreaktor hinein zu bringen ist relativ leicht, solange sie nicht radioaktiv, explosiv oder essbar sind. Sie wieder herauszubringen kann aber schon etwas umständlich werden, vor allem, wenn man es mit bayrischen Feiertagen und Billig-Glas aus China zu tun hat.

Ich hatte ja schon einmal berichtet, dass ich es geschafft habe, über umständliche Umwege an größere Mengen Schwerwasser (D2O) zu kommen. Von diesem wurde aber nun ein signifikanter Teil einfach in Glasflaschen zu je 1 Liter verpackt. Dazu wurden diese braunen Standard-Flaschen aus dem Chemiebedarf genommen, wie sie eigentlich in jedem Labor verwendet werden.

Aus Transportgründet hatte ich das Schwerwasser in den Flaschen in den Reaktor gebracht und erst dort umgefüllt, was mich am Eingang schon mal die Pappkartons gekostet hat, denn brennbare Gegenstände sind im Reaktor ebenfalls nicht (bzw. nur mit Sondergenehmigung) gestattet. Wie schon angedeutet war das Hineinbringen nur ein geringes Problem, aber als ich dann die leeren Flaschen als Altglas wieder herausbringen wollte, hat mich der Strahlenschutz aufgehalten. Alles, was den Reaktor verlässt, muss freigemessen werden, um eine Gefährdung für Mensch und Umwelt auszuschließen und meine Flaschen haben bei dem Test jämmerlich versagt, da jede Flasche mit ca. 100 Becquerel (radioaktive Zerfälle pro Sekunde) die Umgebung verstrahlte. Während der Strahlenschutz mich anfuhr, was mir denn einfallen würde radioaktive Gegenstände ohne Genehmigung in den Kontrollbereich zu bringen, kam seine Kollegin freudestrahlend ins Büro und verkündete, dass sie die Flüssigszintillation mit dem D2O gerade abgeschlossen habe und es keine erhöhte Aktivierung (mit Tritium) geben würde.

Tja, also musste die erhöhte Strahlung von den Flaschen selber bzw. ganz speziell von dem verwendeten Glas kommen. Das hat uns dann auch erst mal verwundert, denn die verwendeten Flaschen waren absolute Massenware, wie sie in jedem Chemielabor im Einsatz sind und 100 Becquerel enspricht ja schon mal ca. 10 Bananen… das kann man also nicht einfach vernachlässigen.

Wir haben dann eine Gamma-Szintillation versucht, um anhand der charakteristischen Gammastrahlung herauszufinden, welche radioaktiven Isotope in dem Glas vorhanden sind. Diese Messung wird (wie die meisten anderen Messungen auch) effektiver, je länger man misst und aufgrund der anstehenden bajuwarischen Feiertage konnten wir nur ein paar Stunden messen, bevor alle Leute Reißaus genommen haben. Die Ergebnisse waren sehr verwirrend und haben uns nicht wirklich geholfen, denn offensichtlich waren in dem Glas verschiedene Cobalt-, Kalium-, Schwefel- und Uran-Isotope, die alle zusammen zu der rel. hohen Gesamtstrahlung beigetragen haben.

Um eine lange Verwirrung kurz zu gestalten: Ich durfte meine Flaschen nicht mitnehmen und sie mussten im Kontrollbereich bleiben, bis man nach den Feiertagen präzisere Messungen durchführen konnte. Sprich, ich durfte normales Glas, das man in jedem Supermarkt finden kann, nicht mitnehmen, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass eines der enthaltenen Isotope über der Freigrenze liegt und so alle Flaschen zu Atommülll machen würde.

Zwei Wochen späten bekam ich meine Flaschen doch noch freigemessen und hinterhergeschickt. Präzisere Messungen konnten zwar immer noch nicht zweifelsfrei nachweisen, welche Isotope in welcher Konzentration in dem Glas vorhanden waren, aber der Strahlenschutz konnte im Umkehrschluss feststellen, dass keines der Isotope so stark vertreten gewesen ist, dass es die rechtliche Freigrenze überschritten hätte. Damit waren meine Flaschen vor dem Gesetz nicht radioaktiv und ich durfte sie wieder zurückbekommen, auch wenn jede einzelne Flasche so sehr strahlt wie 10 Bananen.

Kommentare (10)

  1. #1 CM
    3. Juli 2015

    Im Nachhinein fühle ich mich glücklich: Schweres Wasser bei Sigma bestellt (ich brauchte nur 1L und die Qualität war hinreichend (Matching von Proteinen gegen Lipide in wäßrigem Puffer) und die Menge, die ich in den Reaktorraum bzw. zur Beamline “schleppte” passte in ein eine Handvoll kleiner Plastikgefäße bzw. später nacheinander in eine 0.5 mL Küvette. Und Aktivierung war auch kein Thema.

    Na, hoffentlich hattest Du mehr wissenschaftlichen Erfolg bei dem Aufwand – meiner war eher mau. (kein Paper, weil das Zeug aggregiert ist und die Messungen hinterher, zwar ein Paper gerechtfertigt hätten, aber die Diss war vorüber und mein Chef hatte kein Interesse mehr …)

    Gruß,
    Christian

  2. #2 Tobias Cronert
    3. Juli 2015

    Musstest du auch ein End-User Zertifikat für dein Schwerwasser unterschreiben und versprechen keine Atombombe bauen oder Plutonium erbrüten zu wollen? Es würde mich interessieren, ab welchen Mengen da die Regelungen greifen.

    Ansonsten bin ich mir schon ziemlich doof vorgekommen 70 Literflaschen einzeln in meinen großen Alutank zu schütten, aber der Versuch war ein voller Erfolg.

  3. #3 weyoun
    4. Juli 2015

    dürftest du 10 bananen mit rein und wieder rausbringen oder könnte das probleme geben?

  4. #4 demolog
    4. Juli 2015

    Wenn man effektiv den “Schwarzbau” von Kernreaktoren verhindern will, dann sollte man Garagen verbieten. Eben ganz nach der Gewohnheit vieler sogenannter “Genies”, wie Jobs/Wozniac … oder Sheldon Cooper… Solche Garagen sind Brutstätten sonderbarer Aktivitäten – überall auf der Welt.

    Also Abschaffen.

  5. #5 CM
    4. Juli 2015

    bzgl. #2: Nein, ich erinnere mich nicht mehr genau an die einzelnen Formulare (polizeiliches Führungszeugnis, div. Formulare, etc. etc.). Gemessen habe ich noch 2008 in Geesthacht. Jedenfalls war die Beschaffung des Wassers überhaupt kein Problem. Das Bestimmen des Matchpunktes für die Lipide, war simpel und die Entsorgung – nach Freimessen selbstverständlich – die übliche: Ausguss (vorher und nachher DLS-Messungen).

  6. #6 Tobias Cronert
    4. Juli 2015

    @weyoun: Nein, dürfte ich nicht, weil sie essabr sind *g*. Wenn sie in Kunstharz eingegossen wären, dann wäre es (wegen ihrer Radioaktivität) OK.

    @demolog: … und Keller. Nicht die Keller vergessen.

    @CM: Ah OK, danke. Ich muss also offensichtlich mal suchen, wo die kritische Masse liegt.

  7. #7 UMa
    6. Juli 2015

    Tobias, habt ihr andere Glasflaschen auch gemessen? Ist das jetzt Durchschnitt die 100 Becquerel pro Glasflasche oder waren das irgendwie Ausreißer? Wie ist das mit anderen Glasprodukten, strahlen die ähnlich? Oder hängt das von der Quelle des Glases ab?

  8. #8 Tobias Cronert
    6. Juli 2015

    Also die 100 Becquerel waren erstmal nur Stichproben, aber da alle Stichproben (ich glaube es waren drei von 70) das gleiche Strahlungsniveau hatten war die Annahme wohl berechtigt, dass es alle Flaschen betrifft.

    Grundsätzlich gibt es halt Glasarten, die bewusst radioaktive Substanzen enthalten, wie z.B. Uranglas https://de.wikipedia.org/wiki/Uranglas, aber hier wird es wohl unbeabsichtigt gewesen sein und die Stoffe, die bei der Glasproduktion zugemengt worden sind, hatten entsprechende radioative Isotope. Das hängt dann halt extrem stark davon ab, wo die Rohmeterialien herkommen, die zur Glasproduktion benutzt werden

    Da die nachher freigemessen werden konnten heißt das natürlich auch, dass da selbst nach deutscher Gesetzgebung nichts illegal dran ist und man das auch so in D herstellen könnte und dürfte.

    Solche zufälligen Funde von “strahlendem” Material sind in solchen Einrichtungen, wie dem FRM II recht üblich. Zur Zeit wird an der TUM, direckt vor dem Tor des FRM II, viel gebaut und da kommt es z.B. häufiger vor, dass Kipplaster mit ganz normalem Bauschutt, in dem z.B. viel Lehm vorhanden ist, die extrem sensiblen Strahlungsscanner auslösen.

  9. #9 UMa
    7. Juli 2015

    Danke.
    Ich habe nochmal darüber nachgedacht.
    Die Gläser haben unterschiedlichen Kaliumgehalt.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Glas#Einstellung_der_Glaseigenschaften_allgemein
    Wie schwer ist denn so eine Flasche?
    Eine sagen wir 0,5kg schwere Glasflasche mit 1% Kalium, sollte schon wegen des Kalium-40-Zerfalls 155 Becquerel haben.
    Das Uran mit rein geraten ist, ok, vermutlich war es aber kein Uranglas.
    Aber Schwefel und Kobalt? Die sollten normalerweise nicht Radioaktiv sein. Selbst wenn aus irgend einer Quelle Cobalt-60 reingekommen sein sollte, bliebe noch der Schwefel. War das Glas vielleicht Neutronenstrahlung ausgesetzt, das den Schwefel und das Cobalt aktiviert hat?
    Wie hoch waren denn die Anteile an radioaktivem Schwefel und Cobalt? Und welche Isotope waren es? Eigentlich kommen ja nur S-35 und Co-60 infrage. Und wieviel Neutronenstrahlung wäre für eine solche Aktivierung nötig?

  10. #10 Tobias Cronert
    7. Juli 2015

    Die Flaschen wiegen vielleicht 100-200g. Ich habe nur die Gammaspektren von der kurzen Messung gesehen und wenn der Hauptteil der Strahlung vor einer einzigen Art Isotop gekommen wäre, dann hätten wir das schon bei der ersten Messung gemerkt.
    Die Messung deutete aber darauf in, dass es eher 8-10 verschiedenen Gammalinien gegeben hat und das würde eben eine gute handvoll radioaktiver Isotope bedeuten. Aber die kurze Messung hatte halt auch viel Untergrund, weshalb ich darauf nicht zu viel vertrauen würde.

    Bei der langen Messungen haben die Mädels und Jungs vom Strhalenschutz wahrscheinlich besseres herausgefunden, aber diese Messungen habe ich nicht mehr gesehen, weil ich da schon wieder zu Hause war.

    Die Flaschen haben zwar einen guten Monat unter einem Neutronenintrument gelegen, aber von einer allzu dollen Aktivierung gehe ich mal nicht aus. Ich guck morgen mal in die Nuklidkarte auf meinem Schreibtisch, wieviel die brauchen um aktiviert zu werden.