Letztens habe ich ein Experiment gemacht, bei dem ich relativ viel Strahlung ausgesetzt gewesen bin und dabei habe ich mir direkt am Anfang natürlich die Frage gestellt, mit der ich auch oft konfrontiert werde, wenn ich jemanden in Strahlenschutzangelegenheiten beraten soll: Wie viel Strahlung würde ich selber abbekommen wollen?
Die Frage hat natürlich Relevanz. Vertraue nie einem dünnen Koch und wenn du den Pyrotechniker laufen siehst, dann lauf besser schnell hinterher. Ein skrupelloser Prüfer mag eine Brücke für sicher erklären, doch wenn er selber jeden Morgen über sie drüber fahren muss, wird er diese wahrscheinlich nicht für den Verkehr freigeben. Daher kommt auch die schöne Legende, dass im Mittelalter Gießer von Kanonen bei den ersten abgegebenen Schüssen neben ihrem Gerät stehen (mussten) um ihre Zuversicht in ihre Handwerkskunst zu demonstrieren. Damit sollte sichergestellt werden, dass das (potentiell fehlerhafte) Rohr der Bedienungsmannschaft nicht um die Ohren fliegt.
Wieviel Wahrheit in dieser netten Legende steckt, konnte ich mit 5 Minuten investierter Zeit bei Google leider nicht herausfinden, aber ich halte es trotzdem für fair und daher will ich das Prinzip mal auf meine eigene Arbeit anwenden.
Kleine Rahmendaten:
Ich befinde mich im ersten Drittel meines Lebens und würde gerne ein hohes Alter erreichen, ohne Krebs zu bekommen. Je mehr Strahlung ich mir einhandele, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Krebs verursachen wird https://scienceblogs.de/nucular/2015/02/11/strahlungsschaeden-iii-eindeutigkeit-bestrahlungkrankheit/ . Ich werde im öffentlichen Dienst vernünftig bezahlt, aber ich bekomme sicher nicht genug Geld, um dafür irgendwelche zusätzlichen Risiken einzugehen und ich könnte sicher einen anderen Job machen, bei dem ich keine erhöhte Strahlung abbekommen würde. Außerdem habe ich selber die Fachkunde zum Strahlenschutzbeauftragten und kann die Verantwortung nicht einfach auf irgendjemand anderen (oder einen abstrakten Gesetzestext) abwälzen. Ich tue das ganze freiwillig, weil ich es will.
Meine persönliche Antwort:
200-300µSv zusätzlich pro Woche sind OK, wenn es so eine Woche nur ein-zweimal im Jahr gibt.
Mehr würde ich nicht haben wollen. Nicht, weil es danach besonders gefährlich werden würde, sondern weil es mir danach einfach zu unberechenbar und zu unkalkulierbar wird. Denn es können immer Unfälle passieren oder es wird spontan mal ein Bauch-CT im Krankenhaus fällig und dann komme ich doch plötzlich in Bereiche, in denen ich mich nicht mehr wohl fühle. Mit meiner persönlichen Grenze liege ich allerdings immer noch ein gutes Stück unter der gesetzlichen Obergrenze von 20000µSv pro Jahr, aber sehr wohl im “Spirit” des Strahlenschutzes und dem ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable). Man tut halt gut daran, sich immer für den schlimmsten Fall vorzubereiten.
Ich selber bin für mich persönlich übrigens sehr wohl bereit, größere Risiken einzugehen, als ich dies für andere Leute wollen würde. Wenn ich zum Beispiel alleine Auto fahre (und niemand anderen im Straßenverkehr gefährde), dann bin ich bereit höhere Risiken einzugehen als mit einem Beifahrer, weil ich dann ja auch noch Verantwortung für jemand anderen trage. Wenn ich also meinem Bruder eine fachliche Empfehlung geben würde, wieviel Strahlung er sich so einhandeln kann, dann würde ich immer konservativer rechnen als bei mir persönlich und ihm nur die Hälfte dessen erlauben, was ich mir selber zutrauen würde. Wer also eine persönliche Meinungen von mir haben will, sollte mich nicht fragen: Wie viel Strahlung würdest du selber abbekommen wollen? sondern: Wieviel Strahlung würdest du für deinen Bruder erlauben?
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