Neulich ging die Meldung durch die Presse, dass bei einem Vorfall im elsässischen Kernkraftwerk Fessenheim im April 2014 der Reaktor durch das Einbringen von Bor in den primären Kühlkreislauf heruntergefahren werden musste. Der Vorfall ist zwar nun schon 2 Jahre her, aber bei der aktuellen Stimmung noch mal erneut hochgekocht. Dabei wurde vor allem bemängelt, dass die Relevanz des Vorfalls in den entsprechenden Pressemitteilungen heruntergespielt worden sein soll.

Wie immer will ich mich hier nicht über die politischen und/oder gesellschaftlichen Implikationen von so einem Vorfall auslassen, sondern mich nur mit der Technik beschäftigen und die Frage aufwerfen, wie man eigentlich durch das Einbringen von Bor einen Reaktor “ausknipsen” kann und was sowas technisch überhaupt bedeutet.

Grundsätzlich funktioniert ein Atomreaktor durch Kernspaltung. Das heißt, ein schnelles Neutron trifft auf ein Uran-Atom, spaltet dieses und schlägt dabei 2-3 weitere Neutronen heraus. Von diesen freigewordenen Neutronen werden ein paar moderiert (abgebremst, verlieren Energie) und absorbiert und ein paar treffen wieder auf Uran-Atome und schlagen dort neue Neutronen raus. Wenn ich im Mittel (also inklusive Moderation etc.) pro Kernspaltung weniger als ein Neutron produziere, dann geht mein Reaktor wieder aus und es stehen nur ein paar Uranstäbe in der Gegend herum. Wenn ich im Mittel mehr als ein Neutron produziere, dann steigt der Neutronen- bzw. Energieoutput exponentiell bis zur Kernschmelze bzw. bei einer Atombombe zur Explosion (bei einer Atombombe ist das ja durchaus der beabsichtigte Effekt, dort schnellstmöglich hin zu kommen).

Cthulhu_Steuer

Automatisierte Kontrolle der Kernspaltung über Steuerstäbe

In einem Atomkraftwerk sollen die Spaltung möglichst stabil bei “eine Spaltung produziert im Mittel eine weitere Spaltung” gehalten werden und dies geschieht primär durch Steuerstäbe. Diese werden im Inneren des Reaktorbeckens zwischen die Brennstäbe geschoben und bestehen aus einem neutronenabsorbierenden Material, wie z.B. Cadmium oder Bor. Je nachdem, wie viele von ihnen wie nahe an die Brennstäbe heran gebracht werden (reine physikalische Nähe), absorbieren sie mehr oder weniger Neutronen, die dann nicht mehr für die Kernspaltung zur Verfügung stehen.

In der Realität wird immer abwechselnd ein wenig über, und dann wieder ein wenig untersteuert und somit die Rate im Mittel bei “eine Spaltung produziert eine weitere Spaltung” gehalten und ist mit entsprechender Steuerelektronik automatisiert.

Allerdings lässt sich die Neutronenproduktion so immer nur mit einer gewissen Wartezeit beeinflussen, da mit diesem Absorptionsmechanismus nur die verzögerten Neutronen beeinflusst werden können. Sprich, wenn ich einen Steuerstab fahre, dann reagiert mein Reaktor erst nach einigen Sekunden bis Minuten mit einer Leistungsänderung (Vorausschauendes Fahren nicht nur im Straßenverkehr *g*). Gleichzeitig sind die Steuerstäbe so ausgelegt, dass bei einer Störung o.ä. (z.B. wenn der Strom ausfällt) die Stäbe in den Reaktor fallen und ihn somit abschalten. Sprich eigentlich sollte dieser Mechanismus für sich alleine völlig ausreichen um einen Reaktor zu steuern. Dies hat bei dem Vorfall in Fessenheim allerdings wohl nicht mehr ausreichend funktioniert, so dass zu Plan B gegriffen werden musste. Das heißt in dem Fall einen weitere Absorptionsmechanismus mit ins Spiel zu bringen.

Borcarbid

Bor (hier in Form von Borcarbid B4C) als Pulver in natürlicher Isotopenzusammensetzung.

In einem Leichtwasserreaktor werden die Neutronen von normalem Wasser moderiert, welches die Neutronen auch zu einem bestimmten Grad absorbiert (eigentlich unerwünscht, da leistungssenkend). H2O (bzw. H) hat einen integralen Absorptionsquerschnitt von ca. 0,33mbarn. Effektiver sind z.B. Schwerwasserreaktoren mit Deuterium (D2O) mit einem Absorptionsquerschnitt von ca. D(abs xs)=0,0005mbarn, wo eben wesentlich weniger Neutronen an das Wasser verloren gehen. Um diesen Absorptionsmechanismus jetzt noch präziser zu kontrollieren, werden kleinste Mengen von Bor in das Wasser eingebracht. Bor besteht aus den beiden natürlichen Isotopen B10 und B11, wobei zweiteres einen Absorptionsquerschnitt von 0,0055 mbarn und ersteres einen von 3835 mbarn hat. Darüber hinaus ist der Absorptionsquerschnitt auch noch sehr stark von der Energie der Neutronen abhängig, die absorbiert werden sollen und gerade Bor zeichnet sich dadurch aus, dass es über einen großen Energiebereich recht stabil ist. Daher kann durch die Konzentration von Bor im Wasser des Reaktorbeckens recht zuverlässig die Neutronenproduktion (und damit die Leistung) beeinflusst werden. Das kann man im normalen Betrieb z.B. sehr gut zur Feinabstimmung über längere Zeit hinweg benutzen.

Um also auf Fessenheim zurück zu kommen. Wenn ich also (aus welchen Gründen auch immer) die Spaltung nicht mehr mit hinreichender Präzision durch meine Steuerstäbe kontrollieren kann, dann kann ich immer noch die Spaltrate über die Konzentration des Bors im Kühlwasser herunterfahren. Bzw. wenn ich sie ganz ausschalten will, dann kippe ich einfach ein Fass mit Borwasser ins Reaktorbecken und das Ding ist aus. Letzteres wäre allerdings so, als würde ich den Gasherd in der Küche mit dem Pulver-Feuerlöscher ausmachen … nicht unbedingt die optimale Lösung, denn wenn man den Reaktor (oder den Gasherd) nachher nochmal benutzen möchte, dann müsste das Zeug da nachher auch wieder rausgeholt werden.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Reaktorabschaltung mit Bor ist ein Plan B, der normalerweise vermieden werden sollte. Außerhalb von Funktionstests o.ä. ist es wohl in Deutschland (bzw. Westeuropa) noch nicht wirklich vorgekommen. Da ich mit normalen AKWs nichts zu tun habe, kann ich nichts zu den Betriebsabläufen sagen. Aber wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, dass dieser Plan B nur ausgeführt wird, wenn Plan A mit den Steuerstäben nicht funktioniert … und das ist immer ein schlechtes Zeichen.

Kommentare (24)

  1. #1 Tobias Cronert
    29. März 2016

    Versehentlich war gestern schon die Überschrift in den aktuellsten Beiträgen auf der Hauptseite sichtbar, aber der Link führte ins Nichts. Da hatte ich einen Fehler bei der Freigabe im Backend gemacht. Das war so nicht beabsichtigt und ich bitte um Endschuldigung.

  2. #3 Tobias Cronert
    29. März 2016

    Jup, das Spektrum Interview ist sehr lesenswert. MMn fehlt allerdings noch der deutliche Hinweis, dass eine wirkliche Abschaltung durch Erhöhung der Bor Konzentration sehr unüblich ist. Soweit ich weiß ist dies in einer ungeplanten Aktion in Westeuropa bislang noch nicht vorgekommen… aber was den Betrieb von Leistungsreaktoren angeht habe ich auch nur öffentlich verfügbare (halb vertrauenswürdige) Informationen.

  3. #4 Chemiker
    29. März 2016

    Im RSS-Feed ist der Link immer noch falsch drin (28. März statt 29.)

  4. #5 Fred
    29. März 2016

    Ein guter Artikel, der Bor als Plan B hervorhebt.
    Übrigens, wie sieht eigentlich Plan C aus, falls Plan B (wie Bor) versagen sollte?

  5. #6 gedankenknick
    29. März 2016

    Und hier ist eben das Problem, welches ich als unwissender Laie habe. Einerseits sagt hier jemand, der sich (zumindest besser als ich) mit der Materie auskennt, dass die Steuerung des Reaktors mittels Bor zumindest “unüblich” sei. Der Kollege bei “Was geht” sagt dazu allerdings andererseits: Zum Herunterfahren hat man dabei die Reaktivitätskontrolle mit Borsäure benutzt. In älteren Druckwasserreaktoren ist so ein System [b]absolut üblich[/b], um Reaktivitätsüberschüsse auszugleichen – insbesondere bei frischen Brennstäben, in denen noch kein spaltbares Material verbraucht wurden und keine Neutronen durch Spaltprodukte absorbiert werden. […]
    Es wurde aber das reguläre System mit Borsäure benutzt, um den Reaktor langsam herunter zu fahren. […]
    Ich habe es etwas verkürzt, hier der gesamte Text: https://scienceblogs.de/wasgeht/2016/03/07/keine-vertuschung-in-fessenheim/

    Dass einer Behörde darüber Bericht erstattet wurde, dies aber irgendwie nie vom Betreiber selber der geneigten Öffentlichkeit in verständlichen Worten erläutert und erklärt wurde, weckt eben mein Misstrauen ins das System der Aufsicht und in das des Betreibers.

    Wie soll denn eine verunsicherte Bevölkerung (Tschernobyl, Fokushima), die im Durchschnitt noch wesentlich ungebildeter auf diesem speziellem Gebiet ist als ich, da Vertrauen bekommen? Die Betreibergesellschaft und die Aufsichtsbehörde reden kryptisch, und an die Bevölkerung wird gemeinsam verlautbart: Wird scho´ nichts passiere´, und ´s is doch noch immer juut jejange! Beim Karneval weiß man zumindest, wie es gemeint ist… Bei solcherlei Kommunikationsmanagement kann ich den Wunsch der “breiten Masse” nach “Atomausstieg” ohne Schwierigkeiten nachvollziehen.

  6. #7 Viktor
    29. März 2016

    Vielleicht noch anzumerken, dass es zwei Systeme um Borieren gibt:

    Das eine ist das sogenannte Schnelleboriersystem, um die Kettenreaktion *zügig* zum Erliegen zu bringen. Wenn das eingesetzt wird, ist erstmal Schluß mit der Kettenreaktion. Also genauso, wie es oben beschrieben wird.

    Das andere System dient zur Leistungsregelung im großen Zeitmaßstab, überwiegend um den Leistungsabfall des im Verlauf des Zyklus abgebrannten Kernbrennstoffs zu kompensieren: Man fährt bei “frischen” Brennstäben mit einer höheren Borkonzentration, die die Reaktorleistung etwas dämpft. Mit zunehmendem Abbrand wird die Borkonzentration zurückgenommen; im Ergebnis hat man über die Zykluslänge (12-24 Monate) eine einigermaßen gleichmäßige Leistungsabgabe.

  7. #8 gedankenknick
    29. März 2016

    @Fred:
    Plan C ist, Bor nicht langsam und gemäßigt ins Kühlwasser einzuleiten, sondern in riesigen Mengen in kürzester Zeit. So soll die Reaktion dann nicht langsam und stetig, sondern schnell und spontan zum Erliegen gebracht werden.

    Plan D ist, dass die Steuerstäbe mittels Elektromagneten (von oben) befestigt sind, so dass diese bei einem Stromausfall in den Reaktor spontan hineinfallen und so die Reaktion zum erliegen bringen.

    Beides unter dem Vorbehalt meines laienhaften Verständnisses.

  8. #9 ulfi
    29. März 2016

    Das Hauptproblem bei einem AKW-Vorfall ist nicht das abschalten, dieses Problem ist geloest. Fukushima wurde ja auch notabgeschaltet, die Kettenreaktion war unter Kontrolle. Leider ist die Zeit nach dem Abschalten das Problem, denn auch wenn die Kettenreaktion nicht mehr kritisch werden kann, so sind die Brennstaebe aktiviert und produzieren noch immer jede Menge Energie, die irgendwo hin muss. Und dies wurde bei Fukushima zum Verhaegnis. Wenn die Notstromgeneratoren absaufen oder nicht funktionieren, dann schmilzt der Kern trotzdem weg.

    Mich wuerde mal interessieren, wie da die Lage in Deutschland ist: wie lange muessen die Dieselgeneratoren durchhalten und wieviel Diesel wird vor Ort gelagert? Wenn nach 2 Tagen kein Diesel mehr da ist und kein Tankwagen zum AKW kommt, dann hilft das auch nicht…

  9. #10 Hobbes
    29. März 2016

    “Aber wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, dass dieser Plan B nur ausgeführt wird, wenn Plan A mit den Steuerstäben nicht funktioniert … und das ist immer ein schlechtes Zeichen.”
    Wie aus dem von “DasOlli” verlinkten Interview hervor geht ist Plan A nicht ausgefallen. Man hatte lediglich zweifel ob Plan A nicht einen anderen Notmechanismus (RESA) (Also das Reinfallen der Stäbe) auslösen könnte.

    #6 Das Missverständnis liegt wohl daran, dass es zwei verschiedene Borabschaltungen gibt. In diesem Fall war es wohl das unübliche “Viel hilft viel”. Der Grund lag wohl nicht in einer Gefährdung sondern war eine Kostenabwägung. In etwa so als würde man sich am Karfreitag nen Kanister Benzin holen weil man denkt Ostermontag wird es noch teurer. Auch wenn man diesen am Freitag noch nicht braucht der und der Sprit schon teuer ist.

  10. #11 Hobbes
    29. März 2016

    @ulfi #9:
    Und das ist eben auch die neue Erkenntnis die wir durch Fukushima haben. Man ist nie davon ausgegangen das ein Ereignis eintritt welches alles rund herum verwüstet. Beziehungsweise dachte man wenn eh alle tot sind ist es auch egal. Die Zusatzmilliarden können wir dann besser in das verhindern von “eh alle tot” setzen. In Ländern in denen die Debatte weniger emotional geführt wird ist das auch ein Argument. In Deutschland wird aber die (unmögliche) absolute Sicherheit verlangt (unter anderem auch weil diese oft versprochen wurde)

  11. #12 gedankenknick
    29. März 2016

    @Hobbes #10
    Das unübliche “viel hilft viel” war es eben nicht, so wie ich die Interpretation der Berichte durch “Was geht” verstanden habe. Es war das scheinbar völlig übliche “wenig hilft wenig”, bloß dass man es eben NICHT eingesetzt hat, um die Leistung des Reaktors auf “normal” zu regeln, sonder dass man es eingesetzt hat, um die Leistung des Reaktors auf “Tendenz -> 0” zu regeln.

    Und dieses Verfahren (wenig hilft wenig) ist tatsächlich unüblich zum Herunterfahren des Reaktors, weswegen die Aufsichtsbehörde dafür ja eine separate Erklärung eingefordert hat. Diese folgte auch (hier waren wohl vor allem Kosten ausschlaggebend), allerdings so kryptisch, dass ein Aussenstehender dies eben kaum nachvollziehen kann. Und genau in diesem provoziertem Unverständnis liegt für mich der Hase im Peffer…

    Davon abgesehen halte ich die Feststellung, es handelte sich “um ein Problem im nichtnuklearen Bereich” für Besch…eiden. Es war eine elektrische Anlage zur Steuerung der Brenn- und Regelstäbe (soweit ich das kapiert habe) durch Wassereinbruch defekt. Genau deswegen hat man ja den reaktor eben nicht mit den Steuerstäben heruntergefahren, weil man aufgrund des Defekts im Schaltkasten eine “Notabschaltung” durch die defekte elektrische Anlage nicht ausschließen konnte – und die Steuerstäbe anschließend aus dem Reaktor zu fischen kostet richtig Zeit (und damit Geld). Natürlich ist damit (für mich) der nukleare Bereich betroffen, auch wenn der Schaden außerhalb des nuklearen Bereichs stattgefunden hat. Und mit solchen grammatischen und rethorischen Tricks fühlt sich die (unwissende) Bevölkerung verschaukelt – was die Betreiber (meiner bescheidenen Meinung nach) zwar durchaus verstanden haben, was sie aber aus unterschiedlichen Gründen – politischen wie finanziellen – weiter ignorienen. So wird Vertrauen mit Gewalt zerstört.

    Es ist halt das Problem, dass es durchaus nukleare Folgen haben kann, wenn nichtnukleare Teile ausfallen – hier die elektrische Steuerung der Brenn- und Stauerstäbe. Oder, siehe Fokushima, die nichtnuklearen Notstromgeneratoren zur Erhaltung der Kühlung. Und das sieht man auch bei modernen Autos, wo man nicht einfach nach einer längeren Fahrt die Batterie abklemmen darf, weil dann eben die (Nach)Kühlung des Motorblocks ausfällt, und dieser Schaden nehmen kann.

  12. #13 Karl Mistelberger
    29. März 2016

    > #3, Tobias Cronert, 29. März 2016
    > Jup, das Spektrum Interview ist sehr lesenswert. MMn fehlt allerdings noch der deutliche Hinweis, dass eine wirkliche Abschaltung durch Erhöhung der Bor Konzentration sehr unüblich ist.

    Im Spektrum-Interview heißt es unmissverständlich:

    “Dennoch ist es natürlich nicht gut, dass das Überfüllen eines Tanks mit Wasser im konventionellen Bereich einen von zwei vorhandenen Strängen der Leittechnik lahmlegt.”

    Sicherheitstechnisch relevant war der Vorfall nicht.

  13. #14 Tobias Cronert
    29. März 2016

    Also soviel ich mitbekommen habe war es eine Abschaltung mit “der langsamen Bor Methode”, die eben normalerweise zur Leistungsregulierung gedacht ist. Das ist aber mMn so, als würde man im Flugzeug die Trimmung als Höhenruder benutzen oder beim Auto eine Vollbremsung nur mit der Motorbremse machen um die Bremsklötze zu schonen (oder weil man sich nicht sicher ist, ob sie funktionieren).

    Wobei ich aber noch mal deutlich hervorheben mus, dass ich kaum Ahnung von Leistungsreaktoren habe. “Meine” Forschungsreaktoren haben keine Heizkessel und sind da wohl ein wenig leichter zu bedienen.

    @ Fred: Also das, was ich als Plan A und B bezeichnet habe ist in der Realität wesentlich vielschichtiger. Auch das müsste man schon (wie hier in den Kommentaren ja geschehen) differenzieren zu Plan A1 “kontrollieren durch Steuerstäbe” A2 “kontrollieren durch Bor” Plan B1 “SCRAM durch Steuerstäbe” Plan B2 “SCRAM durch Bor”. Darüberhinaus wird die Neutronenmultiplikation auch noch durch viele weitere Faktoren beeinflusst, wie z.b. die Wärme des Leichtwassers, die Position der Brennelemente etc. pp. Da kann man auch überall noch dran herum regulieren und wenn man genug Zeit hat.

    @Karl Mistelberger: Ich wollte nicht andeuten, dass es ein ernsthaftes Sicherheitsproblem gewesen sei und bitte um Endschuldigung, falls das so herüber gekommen ist. Trotzdem ist mein persönliches Problem an diesen ganzen Sachen, dass der Ausfall eines Teiles eines (redundanten) Steuersystems (oder sonstiger Infrastruktur) die eigentlichen Probleme der aktuell benutzten AKWs offenbahrt. Die Dinger sind alt und basieren auf Technik und elektronischer Steuerung, die vor meiner Geburt gebaut wurde. OK, damit ist auch zum Mond geflogen worden, aber dennoch würde sich doch heute kaum mehr jemand in eine Saturn 5 setzen wollen, oder? Wenn heute noch mal (in Frankreich) ein AKW ghebaut werden würde, dann hätte das nicht nur 8 redundante Sicherheitsmachnismen sondern 32. Es ist ja nicht so, dass es keine besseren Ideen und Konzepte (abseits der Stäbe) geben würde, aber der Rest ist halt Wirtschaft und Politik.

    Zum Thema Öffentlichkeitsarbeit bin ich mir immer etwas uneins. Ich habe französische Strahlenschützer aus dem Reaktorbereich als sehr kompetente Kollegen kennengelernt, die nicht den äußeren Druck der Bevölkerung und des Arbeitsschutzes bekommen und so ein wenig mehr Freiräume, als die deutschen Kollegen haben (und sie sich auch nehmen). Vieleicht ist das ein gutes Zeichen für das Zusammenwachsen von Europa, wenn die französichen und belgischen Jungs und Mädels auch Rücksicht auf die deutsche Bevölkerung nehmen müssen.

    Die Amerikaner sind übrigends meiner Erfahrung nach sehr lax, was Rücksichtnahme auf die Bevölkerung angeht und extrem spitz, wenn es um Arbeitssicherheit geht. Da hat wohl jemand Angst verklagt zu werden *g*.

  14. #15 Karl
    29. März 2016

    @ulfi: Also ich hab letzten nochmal ne Doku ueber Fukushima gesehen, da war grob der Tenor, dass man den Reaktor auch ohne Strom noch haette tagelang kuehlen koennen.

    Das Problem war wohl, dass die entsprechenden Kuehleinheitem (irgendwelche Verdampfer, welche rein mit Schwerkraft arbeiten), im Stoerfall ein Ventil schliessen. Und das Ventil wurde nicht wieder geoeffnet. Und bei einer Kontrolle gar es schon Strahlung im Ventilbereich, dass die Kontrolle nicht gemacht wurde.

    Was ich hier nicht verstehe, warum der Standardablauf im Fehlerfall “Strom weg” fuer das Ventil “schliessen” ist, obwohl eigentlich der Notfall ein “oeffnen” des Ventils erfordert, um die Kuehlung aufrechtzuerhalten. Im Zweifel kann man das Ventil ja noch schliessen, wenn es nicht gewuenscht ist und Strom da ist. So muss man immer manuell zum Reaktor rennen und das Ventil von Hand oeffnen. Vor allem wenn doch Strahlung freigesetzt wurde und sich niemand mehr hintraut.

  15. #16 Karl Mistelberger
    29. März 2016

    > #14, Tobias Cronert, 29. März 2016
    > Ich wollte nicht andeuten, dass es ein ernsthaftes Sicherheitsproblem gewesen sei und bitte um Entschuldigung, falls das so herüber gekommen ist. Trotzdem ist mein persönliches Problem an diesen ganzen Sachen, dass der Ausfall eines Teiles eines (redundanten) Steuersystems (oder sonstiger Infrastruktur) die eigentlichen Probleme der aktuell benutzten AKWs offenbart.

    Was mir an der ganzen Diskussion, die vom WDR ausging aufstößt ist die maßlose Ahnungslosigkeit der Lügenmedien, die von diesen nicht eingestanden wird. Statt dessen wird eine “Berichterstattung” betrieben, die selbst in der abgeschwächten Form bei Spektrum der Wissenschaft sich im Konflikt mit der Realität befindet:

    “Nach Recherchen der “Süddeutschen Zeitung” und des WDR entging Mitteleuropa im April 2014 womöglich nur knapp einem schweren Kernkraftunglück. Damals hatte ein Wassereinbruch im französischen Kernkraftwerk Fessenheim an der Grenze zu Baden-Württemberg die Elektrik geschädigt und die Leit- und Sicherheitstechnik teilweise lahmgelegt, weil 3000 Liter Wasser diverse Schaltschränke überflutet hatten. Dadurch versagte eines der beiden Notabschaltungssysteme, mit denen der Reaktor im Ernstfall schnell heruntergefahren werden kann. Dabei funktionierte offenbar auch das Einfahren der Steuerstäbe nicht, mit denen sich die Leistung des Reaktors regeln lässt und gezielt die Kernreaktion gebremst werden kann. Laut “Süddeutscher Zeitung” waren sie manövrierunfähig. Während des Vorfalls sei die Temperatur des Reaktors für mehrere Minuten unkontrolliert angestiegen, die Leitstelle habe den Reaktor während dieser Zeit quasi “blind gefahren”.”

    > Die Dinger sind alt und basieren auf Technik und elektronischer Steuerung, die vor meiner Geburt gebaut wurde.

    Ob jetzt die Leittechnik alt oder neu ist spielt für den Ablauf eines Störfalls überhaupt keine Rolle. Denn diese Komponente des Kraftwerks ist dann funktionslos.

    Wenn schon mit einem Flugzeug verglichen werden soll bietet sich der AF 447 Flug an. Wenn der Reaktor nicht von Hand gefahren werden kann wird er einfach abgeschaltet. Beim Flugzeug steht diese Option nicht zur Verfügung. Die Piloten waren ahnungslos und zusammen mit den Passagieren haben sie dafür mit dem Leben bezahlt.

  16. #17 dgbrt
    29. März 2016

    Erst einmal vielen Dank an Tobias Cronert für diesen Artikel. Auch wenn in dem Artikel betont wird, dass der Autor kein KKW-Spezialist ist, so hat er doch deutlich mehr Ahnung als alle anderen Diskutanten hier.

    Die Abschaltung eines KKW mit Bor ist eine NOTLÖSUNG. Mir ist nur bekannt, dass dieses 2006 in Bulgarien auch gemacht wurde. Da funktionierten die Steuerstäbe nicht.

    Nach dieser Notlösung gibt es nicht mehr sehr viel, um die Kettenreaktion zu stoppen. Dann geht das Ding hoch wie Tschernobyl. Nur das brennbare Graphit hätte gefehlt, damit wurde damals über mehrere Tage alles in die Luft gepustet.

    In Fukushima hatte die Abschaltung während des Bebens dagegen innerhalb von Sekunden einwandfrei funktioniert. Nur leider funktionierte die Kühlung nicht: Das Beben hatte alle externen Stromversorgungen zerstört und der Tsunami fast alle Notstromaggregate.

    In Fessenheim hat die Abschaltung funktioniert und die anschließende Kühlung auch. Aber, dass die hier durchgeführte Abschaltung keinen Backup mehr hatte, sollte schon als sehr kritisch eingestuft werden. Auch wenn glücklicherweise nicht mehr passiert ist.

  17. #18 Wiener
    30. März 2016

    dgbrt
    Wie ich das verstehe, war das eben NICHT die letzte Option. Man wollte keine Notabschaltung mit den Steuerstaeben, weil das nicht gut fuer das Matrial ist. Man hat sich fuer Bor als die “schonendere” Alternative entschieden. Ob das vernuenftig war, weiss ich nicht. Auf jeden Fall ist es nicht so, dass das die letzte Alternative war.

  18. #19 Tobias Cronert
    30. März 2016

    Die Abschaltung war nicht die letzte Alternative, nur ein funktionaler Kompromiss. Vorallem ist keine Möglichkeit zur Notabschaltung ausgefallen, was mMn das wichtigste Argument in Sachen Sicherheit ist.
    ABER man kann leider auch nicht behaupten, dass alles rund gelaufen ist. Sowohl der Vorfall, als auch die Kommunikation haben doch deutliches Optimierungspotential.

  19. #20 JW
    31. März 2016

    @ Mistelberger: Wenn ich Lügenmedien /-presse lese, habe ich gleich ein Problem. Da schreibt jemand aus seiner persönlichen Filterblase in der alles was eine andere Meinung oder auch nur Sicht auf die Dinge ausdrückt schon ein Angriff auf die zur absoluten Wahrheit erhobenen eigenen Erkenntnis wird.
    Ein sauberes Lesen von Texten oder zuhören ist dann eh völlig ausgeschlossen.
    Sehr schön analysiert auch unter: https://www.medienkorrespondenz.de/leitartikel/artikel/alles-luegenpresse-oder-was.html

  20. #21 Robert aus Wien
    19. April 2016

    @JW:
    Naja, ein bißchen hat Herr Mistelberger schon recht: es geht ja hier nicht um eine andere Sicht der Dinge, sondern um nachweislich falsche Aussagen in der Presse, die aus der Unwissenheit der Journalisten (und schlechter Recherche) resultieren.
    Ich würde aber nicht so weit gehen, das als Lüge zu bezeichnen – Lügen ist was anderes, nämlich wenn man wider besseres Wissen die Unwahrheit sagt. Das sollten sich alle die, die von einer Lügenpresse reden, mal ins Stammbuch schreiben.

  21. #22 Tobias Cronert
    19. April 2016

    Wobei mann den armen Journalisten auch immer zu gute halten muss, dass die Informationspolitik von Seiten der Verursacher recht bescheiden ist oder mutwillig darauf abziehlt “unter dem Radar” zu bleiben… und guter investigativer Journalismus ist teuer.

  22. #23 Scharmane
    28. April 2016

    Ich habe als Laie für mich selbst versucht, den Vorfall in Fesselheim aufs Autofahren zu übertragen. Bitte korrigiert mich, falls ein Vergleich allzu sehr hinkt:

    Ich fahre ein Auto auf der Autobahn mit ca. 100 km/h (Normalbetrieb).
    Plötzlich wird die Windschutzscheibe schwarz (Instrumente fielen einige Minuten aus), ich merke dass Lenkrad, Gas und Bremse nicht mehr reagieren und das Auto leicht beschleunigt (Primäre Steuerungskreis ist ausgefallen).
    Ich habe als Optionen: 1. Handbremse ziehen (Borsierung des Kühlmittels) und 2. Motorbremse (Steuerstäbe fallen lassen), bin mir aber bei 2. nicht sicher, wie das Auto in dieser Situation reagieren wird und dass der Schaden wahrscheinlich größer ist als bei 1..
    Also ziehe ich die Handbremse und hoffe, dass ich mich nicht überschlage oder andere Verkehrsteilnehmer in Mitleidenschaft ziehe.
    Die Handbremse funktioniert, es geht gut und ich lasse den Wagen zur Vertrags-Werkstatt bringen, erzähle aber dem TÜV nix von dem Vorfall, weil der schon ein paar Monate vorher erzählt hat, dass sowas passieren könnte (keine Meldung an die Aufsichtsbehörde trotz Überprüfung der Möglichkeit einer internen Überschwemmung nach Fukushima).
    Ist das soweit korrekt?

  23. #24 Tobias Cronert
    28. April 2016

    Hm, ich würde es etwas schwächer formulieren. Um bei der Analogie zu mit dem Auto zu bleiben:

    Du färst mit dem Auto und die Amaturen fallen aus. Das heißt du siehtst noch, wie schnell du fährst, weist, es aber nicht genau, weil du keine Anzeige hast. Aus Sicherheitsgründen entscheidest du dich anzuhalten. Jetzt hast du mehrere Optionen normale Bremse (Steurstäbe) und entscheidest dich dagegen, weil du grad nicht weist ob der Bremskraftverstärker funktioniert oder auch ausgefallen ist. Die nächste Option wäre die Handbremse (Notabschaltung mit Steuerstäben oder Bor) und da entscheidest du dich auch gegen, weil es das Auto in Mitleidenschaft ziehen könnte und die Bremsklötze teuer sind. Stattdessen fährst du mit der Motorbremse ganz langsam über eine recht lange Strecke herunter. Die ist eigentlich nicht dafür gedacht, aber da du Zeit hast und das Auto schonen willst benutzt du diese Möglichkeit.

    Beim TüV erwähnst du es nur in einem Nebensatz, während der Prüfer nicht so recht hinhört.

    Das wäre meine Interpretation… aber wir gesagt ich habe auch keine Insiderinformationen.