Was als wirkliches Medikament gegen Radioaktivität NICHT funktioniert, habe ich ja schon mal bei diversen Gelegenheiten hier aufgegriffen. Aber da stellt sich dann natürlich die Gegenfrage: Gibt es denn irgendwelche Medikamente, die gegen Radioaktivität helfen? Die Antwort darauf ist wieder einmal ein wenig zufriedenstellendes “Jein” und anhand eines Papers[2] werde ich einmal demonstrieren, warum das so ist.
Das entsprechende Paper kommt von M. Rosen et. al. und ist schon vor einigen Jahren in PNAS erschienen, was mir jetzt erstmal nicht viel sagt (da ich ja eben Physiker und kein Biologe bin), aber anscheinened eher ein durchschnittlicher Artikel bzw. Journal ist, das nicht unbedingt viel Aufmerksamkeit erregt (Anm. naja, wahrscheinlich ist die Aufmerksamkeit nur nicht zu mir durchgedrungen (siehe Kommentar #2)). In den Versuchen wurden Ratten mit 5-13 Sv an radioaktiver Strahlung (haupts. Gamma) bestrahlt und dann mit DIM (3,3`-Diindolylmethane) behandelt. In meinen anderen Artikeln spreche ich meistens von µSv oder mSv und tatsächlich haben hier die Ratten das Tausend- oder Millionenfache der Dosis abbekommen, die normalerweise bei Arbeiten mit ionisierender Strahlung auftreten und somit eine akute Strahlenkrankheit bekommen.
Durch die Behandlung mit DIM konnten eine Menge der Ratten vorerst überleben. Bei der Bestrahlung mit 9 Sv haben ohne das Medikament nur 20% der Ratten die ersten 20 Tage überlebt, während mit dem Medikament 80% die ersten 20 Tage überlebt haben. Das ist auch schon recht gut mit Menschen vergleichbar, denn bei 9 Sv ist die Sterblichkeitsrate bei Menschen ohne Behandlung nahezu 100% nach 14 Tagen.
Aber so hohe Dosen sind ein besonderer Wirkmechanismus, der sog. deterministische Effekt (blaue Kurve), der direkte Auswirkungen hat, da Zellen eben so stark geschädigt werden, dass sie quasi direkt (also innerhalb von Tagen) absterben. Dies geschieht hauptsächlich dadurch, dass der Zellstoffwechsel nicht mehr richtig funktioniert, da die dafür notwendigen komplizierten Moleküle (DNA, Proteine, etc.) geschädigt wurden und die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle überlastet sind. An diesem Punkt greift auch das “Medikament” DIM ein, indem es (Achtung, gefährliches Halbwissen) eine Proteinreaktion namens PP2A hemmt und so die Reparaturmechanismen der Zellen wesentlich beschleunigt. Dadurch wird dann sowohl die Funktion der Makromoleküle wieder hergestellt (bzw. bewahrt), als auch der intrazelluläre Stress durch freie Radikale gesenkt.
Bringt das jetzt irgendjemandem etwas? Naja, eigentlich nicht wirklich, denn so hohe Strahlendosen haben maximal ein paar der Liquidatoren bei Tschernobyl abbekommen und sonst nur einzelne Agenten, die mit radioaktiven Substanzen ermordet wurden. Schon in Fukushima hat keiner der Arbeiter eine ähnlich hohe Dosis erleiden müssen. Außerdem heißt das kurzfristige Überleben der Strahlenkrankheit ja nicht, dass der stochastische Effekt (rote Kurve) nicht auch noch irgendwann in der Zukunft zuschlägt und nach 10 Jahren Krebs auslöst.
Wieso schreibe ich dann das Ganze? Nun ja, weil der Wirkmechanismus (Schädigung der DNA und erhöhter ROS) auch Auswirkungen auf den stochastischen (also den Langzeit-) Effekt hat. Das wird auch direkt klar, wenn man sich verdeutlicht, woher das Wundermittel gegen Radioaktivität kommt, denn DIM wird hauptsächlich in Kreuzblütlern gefunden, also Blumenkohl, Rotkohl, Pak Choi, Wasabi etc. pp. Diese stehen seit langem in Verdacht den oxidativen Stress in der Zelle zu senken und so gegen viele Umweltgifte zu helfen und durch das “Ankurbeln der zelleigenen Reparaturmechanismen” zu einem längeren Leben zu verhelfen.
Da kann ich mich dann auch schon wieder relaxt zurücklehnen, denn an dem vermeintlichen Jungbrunnen der humanen Zellbiologie forschen so viele Leute herum, dass sich da nicht auch noch die Strahlenbiologen einmischen müssen und entspannt abgewartet werden kann, bis wir die Arbeitsweisen in dem Gebiet so gut verstanden haben, dass wir da vernünftige Aussagen treffen können.
Also zusammenfassend kann man sagen, dass Radioaktivität selbst auf dem Niveau hauptsächlich in den Zellstoffwechsel eingreift und genauso bekämpft werden kann wie jedes andere “Umweltgift” auch, das dasselbe tut. Soweit ich das herausfinden konnte, arbeiten wohl mehrere Gruppen daran, die Behandlung mit DIM zur Unterstützung einer Strahlentherapie einzusetzen, um so die Schädigung der gesunden Zellen zu reduzieren und die Heilungschancen zu erhöhen. Ich bin mal sehr gespannt, was dabei herauskommt und bis dahin überlege ich mir, vielleicht mehr Rotkohl zu essen. Nicht wegen dem Schutz vor Strahlung, aber ewig leben, ohne dafür einen Cyborgkörper zu brauchen, wäre schon toll 😉
- [1] 2001 Paper in Biochemical Pharmacology https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006295202008560
- [2] 2013 Paper in PNAS https://www.pnas.org/content/110/46/18650.full
https://www.wissenschaft.de/leben-umwelt/gesundheit/-/journal_content/56/12054/2318041/Pflanzenstoff-sch%C3%BCtzt-vor-t%C3%B6dlichen-Strahlensch%C3%A4den/
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