Mit Photonen (also allem von Röntgen bis Gammas) auf einen Tumor zu schießen und ihn dadurch zu zerstören, ist ein alter Hut und mittlerweile so sehr im Alltag angekommen, dass man sich da meist kaum noch einen zweiten Gedanken drüber macht. Das ist auch gut so, denn auch wenn viele verschiedene Behandlungstechniken, von chirurgischer Entfernung bis zu medikamentöser Behandlung, immer weiter voran schreiten, so sterben doch (prozentual gesehen) immer mehr Menschen an Krebs.
Das ist natürlich ebenfalls eine tolle Entwicklung, denn wenn Leute an Krebs sterben heißt das, dass sie nicht an etwas anderem sterben und somit älter werden. Wir alle sterben irgendwann und wir alle bekommen irgendwann Krebs, bei letzterem ist nur die Frage, ob wir dann noch existieren, wenn wir ihn bekommen (würden).
Kein Wunder also, wenn der Hersteller von einem System zur Strahlentherapie mittels Protonen damit wirbt: “Ein Kind, das heute geboren wird, wird im Durchschnitt 100 Jahre alt werden. Also werden wir immer mehr Krebstherapien brauchen und diese auch gewinnbringend verkaufen können.” Das ist nicht gerade selbstverständlich, denn Protonentherapie ist so ziemlich das teuerste Verfahren, das es zur Zeit für die Allgemeinheit gibt und auch wenn das Verfahren schon lange bekannt ist, hat es gerade erst die Schwelle zur Wirtschaftlichkeit überschritten, so dass man in absehbarer Zeit damit rechnen kann, dass die Preise durch Massenanwendung in den Keller gehen.
Aber ich betreibe hier ja einen Blog, der sich mit den naturwissenschaftlichen Wirkmechanismen auseinandersetzt und das will ich hiermit eben auch tun. Ein Protonenstrahl ionisierender Strahllung zerstört menschliches Gewebe in einer recht ähnlichen Weise wie Photonen (idR. Röntgen) und auch wenn mikroskopisch ein signifikanter Unterschied bzgl. Einzel- und Doppelstrangbrüchen besteht, so ist das nicht der springende Punkt, wenn wir Photonen und Protonentherapie vergleichen wollen. Der wirklich große Unterschied ist, dass Protonen als Masseteilchen im menschlichen Gewebe wesentlich anders abgebremst werden als Photonen, wodurch sie wesentlich präziser eingesetzt werden können. Der Wirkungsquerschnitt (also die Wahrscheinlichkeit für eine Interaktion) bei Protonen ist für hohe Energien rel. gering und bei niedrigen Energien nimmt sie extrem stark zu. Außerdem verlieren sie (genauso wie Neutronen) in Materie Energie durch Stöße. Das heißt, wenn sie die ersten Zentimeter in den Patienten hineinkommen, haben sie erst einmal nur wenige Wechselwirkungen, bis sie dadurch ihre Energie reduzieren. Dann, wenn sie ihre Energie abgebaut haben, steigt die WWW so stark an, dass sie binnen Millimetern zum Stehen kommen und dabei ihre gesamte restliche Energie abgeben. Diese, für jede Energie und Materie charakteristische Eindringtiefe, nennt man Bragg-Peak, die auch in meiner Arbeit an der HBS-Neutronenquelle eine wichtige Rolle spielt (aber dazu später mehr).
In der Anwendung kann man heutzutagen den Bragg-Peak in menschlichem Gewebe auf einen Millimeter genau positionieren, was wesentlich präziser ist als jedes chirurgische Skalpell. Das heißt, das Gewebe, das hinter dem Bragg-Peak liegt, bekommt so gut wie keine Strahlung ab und wird somit auch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Der Strahlkanal, also die Strecke, die der Protonenstrahl durchqueren muss, bis er den Tumor erreichen kann, bekommt natürlich schon noch einiges an Strahlung ab, aber auch das ist deutlich weniger (zumindest für tiefliegende Tumore) als bei Photonen. Ergo, die Dosis lässt sich bei Protonen viel genauer positionieren und das umliegende Gewebe wird viel weniger geschädigt als bei herkömmlicher Strahlentherapie… was ist denn nun der Nachteil?
Nun ja, während man Photonen mit den entsprechenden Energien in einer unterarmgroßen Strahlenkanone (Linearbeschleuniger für e- mit Target) produzieren kann, welche man wie beim Pferderöntgen einfach nur auf einen Roboterarm setzen muss, kommen die Protonen aus einem 30-Tonnen-Zyklotron, den man leider nicht mehr vernünftig bewegen kann. Deshalb muss man den geladenen Protonenstrahl in eine sog. Gantry schicken, einen rotierenden Hohlzylinder, der zwar auch um die 30 Tonnen wiegt, aber in dessen Rotationsachse man den Patienten positionieren und ihn so von allen Seiten aus bestrahlen kann. Da die meiste Zeit nicht für die direkte Bestrahlung, sondern für die Lagerung und “Handhabung” des Patienten draufgeht, ist es meistens sehr sinnig einen Teilchenbeschleuniger und mehrere Gantrys zu bauen, um den Patientendurchsatz zu erhöhen. Außerdem frisst das Zyklotron mit seinen 20M€ auch den Hauptteil der (Betriebs-)Kosten.
Derzeit gibt es in Deutschland ca. 6 Zentren, die Strahlentherapie mit Protonen anbieten, in den USA 24, Japan 16 und weltweit insgesamt ca. 66 Stück. Hier sind das konkret Berlin, München, Heidelberg, Essen, Dresden und Marburg. Die Zahlen steigen aktuell auch recht stark an. Je nach Indikation, Verhandlungsgeschick und Krankenkasse werden die Kosten von ca. 18-20k€ übernommen oder müssen privat getragen werden. Ich bin ja wieder nur Hobbymediziner, aber mWn werden vor allem tiefliegende und schwer operierbare (weil wichtige Organe in unmittelbarer Nähe liegen) Tumore für solch eine Therapie in Betracht gezogen.
Weitere informationen und schöne Bilder gibt es z.B. auf der Seite des kommerziellen Herstellers Varian aus Troisdorf hier um die Ecke. https://www.varian.com/oncology/solutions/proton-therapy
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