Die Städteregion Aachen liegt nur 60km vom belgischen Atomkraftwerk Tihange entfernt, welches immer mal wieder in den Schlagzeilen steht (vor allem der Lokalpresse), weil es dort Mikrorisse im Reaktordruckbehälter und andere sicherheitsrelevante Vorfälle gibt. Dies bringt vor allem die lokale Bevölkerung (und meine Mutter) dazu, 90km lange Menschenketten zu bilden, “Stoppt Tihange”-Schilder in die Fenster von Häusern und Geschäften zu hängen und entsprechende Sticker auf Autos zu kleben. Ich hatte darüber schon einmal berichtet, als es um die Befürchtung ging, dass Terroristen ein solches Kraftwerk kapern und in die Luft sprengen könnten. Dabei ist es mir damals vor allem darum gegangen, dass die Bedrohung durch Tihange ein sehr lokales Phänomen ist. In der Stadt Aachen und der Umgebung ist es in aller Munde, während schon in Köln die Leute nur noch interessiert aus der Entfernung zugucken und im Rest von Deutschland sich kaum noch jemand darum schert. Das ist mMn mal wieder ein gutes Beispiel für die allgemeine “wenn es mich persönlich nicht betrifft”-Mentalität von Menschen, als auch für meine Behauptung, dass mit dem vollzogenen Atomausstieg in Deutschland so viel Dampf aus dem Kessel gelassen wurde, dass dieses Thema bundesweit niemanden mehr hinter dem Ofen hervorholt.
Aber darüber soll es hier diesmal nicht gehen, sondern um die Verteilung von Jodtabletten, die in Aachen und Umgebung ab Anfang September angelaufen ist. Im Zuge der Tihange-Thematik ist es hier schon vor Monaten zu Hamsterkäufen von Jodtabletten gekommen und da die Bevölkerung genug Druck auf die (Lokal)Politik ausgeübt hat, war diese nun dazu gezwungen etwas zu unternehmen. Dieses Etwas besteht unter anderem darin, dass an die Bevölkerung Jodtabletten ausgegeben werden und da genug meiner Freunde in dem entsprechenden Berechtigungsgebiet wohnen, darf ich das ganze quasi live mitverfolgen.
Um für die Jodtabletten bezugsberechtigt zu sein, muss man sich online registrieren und bekommt dann, verbunden mit der jeweiligen Meldeadresse, entsprechend ein paar Tabletten zugeteilt, die man sich in teilnehmenden Apotheken abholen kann. Dies gilt nach Vorgabe der Strahlenschutzkommission nur für Personen unter 45, Stillende und Schwangere. Alle über 45 bekommen keine kostenlosen Jodtabletten vom Staat, sondern müssen sich ggf. selber welche im Internet kaufen, wobei sie dann meist das Problem haben, dass die Präparate zur Nahrungsmittelergänzung ca. um den Faktor 100 geringer dosiert sind (µg statt mg), als die “Jodtabletten gegen Atomkraftwerke” und eben oft die falschen gekauft werden.
Ich halte von der ganzen Aktion jetzt nicht sonderlich viel. Der eigentliche Nutzen von Jodtabletten ist halt eher gering, wie ich hier ja schon öfter mal geschrieben habe, aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht um die Illusion etwas ausrichten zu können und die Gewissheit alles Mögliche auch getan zu haben. Als solches ist die Aktion dann auch wieder sehr gut abgelaufen. Die Kosten werden signifikant, aber dennoch verkraftbar gewesen sein, ebenso der Aufwand. Die Tabletten, die eine Person bekommt, würden im Laden ca. 2€ kosten. Aber dabei liegt ein Faltblatt und die Apotheker bekommen auch noch mal die Gelegenheit mit den Bürgern zu sprechen und auf die korrekte Anwendung hinzuweisen.
Ich habe es mir nicht nehmen lassen, mit dem Bezugsschein einer befreundeten Familie einkaufen zu gehen, um mal zu sehen, was in der Apotheke so passiert. Mein vorbereiteter Spruch: “Ach gut, sowas kostenlos zu bekommen. Ich fahre ja bald nach Japan, da kann ich die gut gebrauchen” wurde auch prompt mit einem entsetzten Gesichtsausdruck der Apothekerin und einer ausführlichen Erklärung belohnt, wie die Dinger denn anzuwenden seien. Selbst meine gespielte Enttäuschung nach der Erklärung: “Ja dann bringen die Tablette ja kaum etwas, wenn das Kraftwerk in die Luft fliegt.” wurde mit einem fachkundigen “Ja, im Ernstfall müssen sie sich auf jeden Fall an die Vorgaben des Katastrophenschutzes halten.” belohnt. Irgendwie bin ich doch manchmal recht stolz auf unsere Systeme hier in Deutschland … manchmal *g*
Bei der anschließenden Frage nach den kuriosesten Vorfällen mit den Tabletten und dem sich dadurch entwickelnden Gespräch wurde mir berichtet, dass in der Apotheke wohl ganz ähnliche Fragen kommen wie in meinem Blog. Viele Menschen halten Radioaktivität für ansteckend und glauben, dass es dagegen Medikamente geben würde wie gegen eine Krankheit. Das finde ich immer wieder sehr wichtig zu wissen, denn ich lebe in einer Informationsblase und merke, dass ich oft an normalen Menschen vorbei rede. Also eine große Bitte an alle normalen Menschen, die dies hier lesen: Gebt mir von Zeit zu Zeit einen kleinen Hinweis oder Kommentar unter den Artikeln. Danke!
PS: In der Broschüre gibt es weder eine Ente noch eine Picknickdecke… irgendwie bin ich von der Professionalität schon etwas enttäuscht.
PPS: Gedanken zu einem “echten” Medikament gegen Strahlung habe ich mir mal hier gemacht.
PPPS: Das Titelbild ist natürlich etwas irreführend. Eigentlich schaltet man einen Reaktor selbstverständlich mit einer Axt ab.
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