Nach der abgeschlossenen Doktorarbeit verfolgen nicht automatisch die besten Doktorandinnen eine Karriere in der Wissenschaft, sondern oft hängt dies einfach nur mit der Leidensfähigkeit und fehlenden anderen Perspektiven zusammen. Aus gegebenem Anlass (einfach weil ich mich gerade selber an dieser Schwelle befinde), möchte ich mir mal laut ein paar Gedanken zur Situation der PostDocs in Deutschland und der gesamten Welt machen.

Nach der Doktorarbeit gibt es quasi zwei Alternativen: In der Wissenschaft bleiben (also sog. Postdoktorandin) oder einen vernünftigen Job in der Wirtschaft anstreben. Dabei zähle ich jetzt einmal jedwede Tätigkeit für den Staat (sei es als Lehrerin, Angestellte bei einem Amt etc. pp.) auch mal als “in der Wirtschaft”, obwohl es da ja doch deutliche Unterschiede gibt.

Um in der Wissenschaft zu bleiben übernimmt man eine sog. Postdoc-Stelle und während dieser begrenzten Zeit (max. 6 Jahre) wird dann das wissenschaftliche Profil geschärft. Es werden möglichst viele Publikationen geschrieben und idealerweise werden mehrere (am besten ausländische) Institute besucht, wo dann in den Arbeitsgruppen verwandter Forscherinnen an einem nahen, aber doch unterschiedlichen Thema gearbeitet wird. Um es mit einer Handwerkerin zu vergleichen ist die Doktorarbeit die Ausbildung und die PostDoc-Zeit die Walz, bevor dann irgendwo ein Lehrstuhl (vgl. Meister) am Ende des Weges wartet.

Hier entscheidet sich auch direkt, wer Wissenschaftlerin wird und wer nicht. Wer einmal raus ist, ist für immer raus. Für die Karriere in der Wissenschaft sind vor allem die Publikationen wichtig, die zwischen der Promotion und der nächsten Einstellung veröffentlicht wurden und das wird eben in der PostDoc-Zeit gemacht, obwohl dies eigentlich eine Menge Nachteile hat.

Die PostDoc Zeit ist …

  • … voll finanzieller Unsicherheit. PostDoc-Verträge sind befristet. 1-3 Jahre ist normal und die meisten verbringen ihre 6 Jahre mit 3-6 verschiedenen Verträgen in verschiedenen Instituten auf der ganzen Welt. Vor allem in Richtung Kredite ist dies ein entscheidender Nachteil.
  • … immer noch voll finanzieller Unsicherheit: Bezahlt wird meist etwas im Bereich einer deutschen Gymnasiallehrerin. Da kann man zwar eigentlich komfortabel eine Familie von ernähren… ja, wenn man nicht alle zwei Jahre umziehen würde und auch mal Monate zwischen den Verträgen überbrücken muss und kein Arbeitslosengeld bekommt, weil man im Ausland sitzt.
  • … voll perspektivischer Unsicherheit. Auf (gefühlt) 10 Doktorandinnen kommt eine Professorinnen-Stelle und eine weitere nicht professorale permanente Stelle in der Wissenschaft. Auf die Wahrscheinlichkeiten zu vertrauen, ist mit viel Bauchschmerzen verbunden.
  • … voll zeitlicher Entbehrungen. Denn wie bei einer Selbstständigen hängt die berufliche Karriere von der Performance während der PostDoc-Zeit ab und wieviel Zeit ins Publizieren gesteckt wird. Eine 50-60h Woche ist keine Seltenheit.
  • … voll geographischer Instabilität, da mehrere internationale Institute besucht werden sollen und man währenddessen weiterhin auf Konferenzen, Messreisen und dergleichen fährt und nicht “zu Hause” ist.

Wieso sollte man das trotzdem machen?

  • Weil die Arbeit in der Wissenschaft einfach super toll ist. …  nuff said *g*

Seit ca. 5 Jahren beobachte ich nun in meinem Freundeskreis, welche Doktorandin in die Industrie geht und welche in der Wissenschaft bleibt. Meistens sind es nicht die fähigsten oder intelligentesten, die in die Wissenschaft gehen, sondern diejenigen, die am leidensfähigsten sind oder die am meisten Angst haben, “etwas Vernünftiges” zu machen und dadurch in der Erwachsenenwelt hängen bleiben würden.

Nun schwurbel ich hier einfach herum, ohne konsequent das Problem zu diskutieren oder einen Lösungsansatz zu präsentieren, aber das möchte ich mir an dieser Stelle einfach mal herausnehmen. Es gibts ausreichend vernünftige Literatur zu dem Thema und solange nicht der heilige Geist über mich kommt und mir eine tolle Eingebung vorbei bringt, kann ich auch nur sehr bedingt eine perfekte Lösung zu dem Thema beitragen. Wir sind alle alt genug, um uns individuell diesem Thema zu stellen und für uns selbst eine Möglichkeit zu finden.

Ich persönlich habe mich dazu entschieden, einen Schuss in Richtung Wissenschaft zu wagen und mal zu gucken, wo ich lande. Das ganze mache ich sehenden Auges mit genug “Plan B” und Ausstiegsszenarien in der Hinterhand. Trotzdem, wenn ich ein “Angebot bekomme, das ich nicht ausschlagen kann”, dann mache ich mich auf und davon.

 

Kommentare (23)

  1. #1 Peter
    Titz
    2. Oktober 2017

    Hallo Tobias,
    ein paar Mal schon bin ich in Deinen Beiträgen über die Kontamination mit Gender-Sprech gestoßen. Ist das jetzt Pflicht geworden in der wissenschaftlichen Darstellung?
    Gruß
    Peter

  2. #2 Tobias Cronert
    2. Oktober 2017

    Pflicht nicht, aber unter Physikern ist es seit einiger Zeit en vogue das generische Femininum (was auch immer das heißen mag) zu benutzen.

    Ich hasse diese ganze BInennIs, Sternchen und dergleichen und wenn ich Lust drauf habe, verwende ich manchmal den generischen Femininum um Männer zu diskriminieren. Das tue ich nur, weil ich Lust darauf habe und es wichtzig finde, wenn sich ein 2m, 120kg, hetero, ehemaliger Football Bundesligaspieler als Doktorandin bezeichen. Eine tiefere politische Absicht steht nicht dahinter.

    Ich bin dazu gekommen, weil wir in der Fachschaft Physik der Uni-Köln das Gender Sprech abgelehnt hatten und daher komplett zum generischen Femininum gewechselt sind, welches wir eben nicht als Gender Sprech verstehen.

  3. #3 RPGNo1
    2. Oktober 2017

    Es hat sich an der Situation der Postdocs seit meinem Studium vor knapp 20 Jahren nicht viel geändert. Ich bin jedenfalls froh und glücklich, dass ich sogar eine Stufe früher, nämlich nach dem Diplom, aus der Uni raus und in die Wirtschaft gegangen bin. Im Rückblick war das für mich auf jeden Fall die richtige Entscheidung.
    Ich weiß von einigen Mitstudenten, die nach ihrer Promotion auch unverzüglich den Schritt in die Wirtschaft gewagt haben. Teils weil sie die Nase vom Uni- bzw. Wissenschaftsbetrieb aufgrund verschiedener Sachzwänge die Nase voll hatten. Teils auch aus fianziellen Gründen, nämlich Hochzeit und ein Kind, welches unterwegs war.

  4. #4 Tobias Cronert
    2. Oktober 2017

    Ja, eine ernsthafte Änderung ist auch nicht in Sicht. Die Promotion ist halt auch noch mal so eine Sache, die sich zumindest in der Physik nicht wirklich rechnet. Promovierte Physiker verdienen im Durchschnitt nicht wirklich mehr als Diplomierte und durch die Promotion an sich hat man mehrere Jahre, in denen man deutlich weniger hat.

    Je nach Quelle (die DPG hat das u.a. mal ausgerechnet) verliert man durch die Promotion einen hohen fünf- bis niedrigen sechsstelligen Betrag an “Lebenserwerbskapital”.

    Ansonsten sind Zeitverträge halt schon das beste Verhütungsmittel *g*

  5. #5 RPGNo1
    2. Oktober 2017

    @Tobias Cronert

    Ansonsten sind Zeitverträge halt schon das beste Verhütungsmittel *g*

    Och, selbst in unserem ach so aufgeklärten Deutschland passiert häufiger ein Unfall als man denkt. Und bei manchen Personen (m/w) tickt die biologische Uhr halt ein bissel schneller. 😉

    PS: Die Anmerkungen zum Postdoc beruhen auf meinem Chemiestudium.

  6. #6 Cornelius Courts
    blooDNAcid
    2. Oktober 2017

    ich war nach der Dr.-Arbeit in einer ähnlichen “Mal gucken”-Situation, hatte gerade begonnen, mich locker Richtung Industrie umzugucken, weil keinen Bock mehr auf die Uni und das unispezifische Generve, als genau zu dieser Zeit die Ausschreibung aus der Rechtsmedizin Bonn kam.

    Ich dachte: guckste Dir mal an, die Chose, wenn’s nix ist, gehste wieder. Und zack sind 9 Jahre rum und ich bin immer noch an der Uni und aus dem Krebsforscher ist ein forens. Genetiker geworden… An der Uni gibt es echt viele Sachen, die nerven, aber wenn ich eines zu schätzen gelernt habe, dann die Freiheit, die man hier hat.

  7. #7 silentbob
    2. Oktober 2017

    Ich habe in der Endphase meines Informatikstudiums (verpflichtendes Praxissemester, Diplomarbeit) an einem laufenden Forschungsprojekt des Instituts mit externen Firmen mitgearbeitet. Deswegen hab ich nach meinem Abschluss auch eine Doktorandenstelle angeboten bekommen und auch angenommen, ganz einfach weil mich das Thema interessiert hat. Eine akadamische Karriere hatte ich nie geplant, das war allen Beteiligten von Anfang an klar.

    Das Forschungsprojekt (und damit auch mein Vertrag) ist kurz vor meiner Promotion ausgelaufen, und deswegen hab ich dann auch angefangen mich anderwertig umzusehen. Mein Chef hat mir zwar eine PostDoc Stelle angeboten, die hätte aber Lehrverfplichtung und Habilitation beinhaltet, was mich beides nicht sonderlich interessiert hat.

    Die Zeit war interessant, aber auf Dauer wäre ich wohl kein guter Wissenschafter geworden. Und zum Finanziellen muss ich sagen: Natürlich haben meine Studienkollegen in der Wirtschaft mehr verdient, aber solange ich vom Gehalt vernünftig leben kann, mache ich gerne auch einen Job der mich interessiert, auch wenn ich anderswo mehr verdienen könnte.

  8. #8 Hochbein
    2. Oktober 2017

    Wer penetrant “Doktorandinnen” schreibt bemerkt nicht, dass das Anwenden von Genderslang, die gesellschaftlichen Verhältnisse nur übertüncht – nicht bessert.

  9. #9 Tobias Cronert
    2. Oktober 2017

    Ich glaube Chemie und Physik tun sich da nicht viel, wobei der Lockruf der Wirtschaft bei den Chemikern wahrscheinlich noch ein wenig größer ist.

    In der Biologie könnte das vielleicht schon etwas anders ausschauen.
    @Corn: Also vom Qualitätsanspruch her warst du ja schon immer fürs habilitieren geschaffen. Ich glaube das hat niemanden wirklich ernsthaft erschüttert, als du dann auch tatsächlich diesen Weg gegangen bist.

    @Hochbein: Das mag sein. Aber ich habe da tatsächlich keine Ansprüche in irgendeine Richtung.

  10. #10 strahlenbiologe
    2. Oktober 2017

    Mein Tipp an dich: Wenn du nach spätestens 3 Jahren (mit Hilfe von Vitamin B) noch keine Aussicht auf eine unbefristete Stelle hast……… hau ab in die freie Wirtschaft 😉
    Ich hab 7 Jahre PostDoc hinter mir und hätte es früher schnallen müssen. Natürlich macht forschen Spass, natürlich ist “forschen” das was man eigentlich sein ganzes Leben lang machen möchte, natürlich geniesst man die “Freiheit des Forschesgeistes”. Aber am Ende ist ein planbares Leben mit Festvertrag schon etwas angenehmes, vor allem wenn du mal die Pille vergessen haben solltest 😉

  11. #11 Fluffi
    2. Oktober 2017

    Ich kenne einige Physiker und kann das nicht bestätigen

  12. #12 Tobias Cronert
    2. Oktober 2017

    @Strahlenbiologe: Das hört sich nach einem guten Plan an. Vielleicht sollte ich einen Brief für eine Zeitkapsel an mein Zukunfts-Ich schreiben.

    @Fluffi: Was genau? Das die besten Physiker in der Wissenschaft bleiben nd nicht die, die am längsten durchhalten?

    Ansonsten: Ich finde es ja immer ein wenig schade für die Menschheit, wenn nicht die fähigsten von uns dann auch Forscher werden und die Menscheit voran bringen. … aber die Leute sind ja auch nicht verloren. *g*

  13. #13 Fluffi
    2. Oktober 2017

    Ich meinte das mit dem generischen Feminimum.
    Das scheint mir auch eine Besonderheit der deutschen Sprache zu sein. Im Englischen oder Russischen ginge das gar nicht ohne Weiteres.

  14. #14 MartinB
    3. Oktober 2017

    @Fluffi
    Zum Thema “im Englischen” (russisch kann ich nicht) empfehle ich diese Lektüre, die hat mir seinerzeit die Augen geöffnet (vorher war ich gegen diesen Gender-Sprech-Quatsch, dank dieses Textes hab ich’s begriffen:)
    https://www.cs.virginia.edu/~evans/cs655/readings/purity.html

  15. #15 Tobias Cronert
    3. Oktober 2017

    Na da mach ich mir viel Mühe, schütte mein Herz aus und teile mit euch meine ganzen Zukunftssorgen und dann gucken nur wieder alle auf die Rechtschreibung. 🙂

    Naja, man könnte schon in der Unabhängigkeitserklärung “All men are created equal” durch “all women …” ersetzen.
    Also wenn man noch mehr Öl ins Feuer gießen möchte. 😉

    Russisch kann ich leider nicht.

  16. #16 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    3. Oktober 2017

    Von der Doktorandin zum PostDoc

    Ist da eine Geschlechtsumwandlung Pflicht oder soll es heißen ‘Von der Doktorandin zur PostDoc”?

  17. #17 Tobias Cronert
    3. Oktober 2017

    Husthust … ähem, das soll natürlich bedeuten von der Doktorandin zum PostDoc(toralen Arbeitsverhältnis).

    … oder so. 😉

  18. #18 zimtspinne
    3. Oktober 2017

    naja, du könntest mal dein tiefes Ich befragen, ob du lieber fünf Kinder und anspruchsvolle Göttergattin plus Haus plus Autos plus Urlaubsidylle haben möchtest oder das alles etliche Nummern kleiner in der Sparvariante oder ob du vielleicht sogar in Richtung Minimalist tendierst…
    Teure Hobbys und solche Dinge sollten auch berücksichtigt werden. Die Konsumfreudigkeit, Anspruchsdenken ebenso und auch dein Freiheitsdrang.
    Und letztlich hängt es auch davon ab, ob du eher der risikiofreudige Draufgängertyp bist oder der sicherheitsbedürftige Spießer (oder welche Mischform auch immer).
    Als Draufgänger wäre überlegenswert, ob du ein gut sortiertes Doppelleben anstrebst (tagsüber löblich für die Wissenschaft forschen; nachts lukrative Nebengeschäfte abwickeln ;))

    Empfehlenswert wäre natürlich auch für diese schwierige Entscheidungsfindung das Orakel zu befragen – unser kompetenter Terminator ist gerade anwesend, ab zur Glaskugel-Session!

  19. #19 Laie
    4. Oktober 2017

    Nur so ein Hinweis: Die Gendersprache, auch wenn sie noch so lustig ist, hilft den Frauen wenig bei tatsächlicher Benachteiligung: In Fällen wie geringerer Lohn bei gleicher oder besserer Leistung.

    @zimtspinne
    Hast du schon das Franzbrötchen gebacken, um dessen Rezept du mich frugst?

  20. #20 Tobias Cronert
    4. Oktober 2017

    @zimtspinne: Ja, ich denke dass ich für mich persönlich eine vernünftige Wahl getroffen habe. Ich muss nur aufpassen, dass ich mich nicht verrenne und nur dabei bleibe weil ich von dem Thema fasziniert bin und dabei bleiben möchte.

    Ich habe nur immer ein wenig Angst um meine Freunde, Bekannten und Kollegen, die in der gleichen Situation sind, wie ich, aber vielleicht nicht dieselben Freiheiten und Optionen haben, die ich derzeit genießen darf.

    @Laie: Mir reicht es eigentlich, wenn ich nicht Teil des Problems bin.

  21. #21 tomtoo
    4. Oktober 2017

    @Zimtspinne
    Oh man dem @Tobias eine Lebensberatung beim @Terminator zu empfehlen , ist ja wie im entwässerten Abklingbecken eines AKW’s joggen zu empfehlen. ; )

  22. #22 Jochen
    16. Oktober 2017

    @MartinB
    Das Dokument hinter dem Link liefert leider nur ein “forbidden“. Gibt’s das noch anderswo?

  23. […] nicht automatisch (kann natürlich sein, dass ich Einzelfall bin). Deswegen finde ich es gut, dass viele Blogger zum Teil die weibliche Form verwenden, das fordert und fördert den […]