Wie gefährlich sind geringe Mengen an Radioaktivität? An dieser Frage entzünden sich viele Diskussionen rund um das Thema Atomkraft, Atommüll und letztendlich auch jedweder anderer Anwendung von ionisierender Strahlung, vom Röntgen bis zur Strahlentherapie. Mitten drin in der Kontroverse sitzt die LNT-Theorie, die von beiden Seiten des argumentativen Spektrums gleichermaßen nicht gemocht wird. Da ich sie auch des öfteren schon mal in meinen Artikeln erwähnt, aber nicht sonderlich genau erklärt habe, möchte ich dies hiermit nachholen und zumindest mal eine kleine Vorstellung geben.
Die LNT-Theorie sagt, recht einfach ausgedrückt, dass die Schädlichkeit von ionisierender Strahlung linear von der erlittenen Strahlendosis abhängt. Sprich, wenn Person A doppelt so viel Strahlung abbekommt wie Person B, dann schädigt sie das auch doppelt so stark. Das ist ja eigentlich erst mal recht angenehm einfach, wenn da nicht der dumme Umstand wäre, dass die Datenlage, auf der diese Annahme basiert, nur für mehr oder weniger hohe Dosen ausreichend erforscht ist. In dem Bild (auf der rechten Seite) befindet sich rechts oben (schematisch skizziert) eine Wolke an Messpunkten. Diese repräsentiert empirisch nachgewiesene Zusammenhänge zwischen erlittener Strahlendosis und Strahlenschäden (meist Krebs). Die Datensätze stammen hauptsächlich von den Atombombenabwürfen und Unfällen mit ionisierender Strahlung, bei denen man die Dosis halbwegs sicher einschätzen konnte. Alles Ereignisse, wo man klar sagen konnte: Dieser Krebs stammt sicher von der Exposition durch diese ionisierende Strahlung.
Das ist auch schon direkt das große Problem. Alle Expositionen gruppieren sich um 1Sv (Sievert) Strahlendosis herum, denn bei höherer Strahlung schädigt diese nicht nur durch den stochastischen Effekt (Krebs), sondern auch noch durch den deterministischen Effekt (direkter Zelltod). Oder anders ausgedrückt, mein Körper hat gar keine Zeit, tödlichen Krebs zu bekommen, der mich in einem halben Jahr sicher umbringt, wenn die Strahlung so hoch ist, dass die Organe direkt versagen und ich die nächsten 3 Tage nicht überlebe.
Geringere Expositionen sind auch ein Problem, weil ich dann nicht mehr genau sagen kann, woher der Krebs kommt, wie ich schon mal in einem früheren Artikel erklärt hatte. Sprich wenn ich durch meine Radonvergiftung in 15 Jahren Lungenkrebs bekomme, dann kann das am radioaktiven Radon liegen… oder an der Tatsache, dass ich mein Leben lang Kettenraucher gewesen bin und in einer alten Asbestlagerhalle wohne. Krebs ist erst mal Krebs, egal ob er durch ionisierende Strahlung ausgelöst wird oder durch eigendein anders Umweltgift. Um hier klare Aussagen treffen zu können, bräuchte man einen großen Pool an Strahlenexpositionen, den man bzgl. der “normalen” Krebsauslöser bereinigen müsste, um dann eine Aussage treffen zu können, welche Krebsfälle von Radioaktivität ausgelöst wurden und welche aus anderen Quellen stammen. Dies hat man in einer Reihe von Metastudien einmal gemacht, von denen ich auch schon mal berichtet hatten, aber so 100% narrensicher sind diese Erkenntnisse auch noch nicht.
Da man also außerhalb dieses Bereiches keine belastbaren Messergebnisse hat, ist man einfach hingegangen und hat eine Linie durchgelegt (linear extrapoliert) die auch den Zusammenhang bei niedrigen Dosen erklären soll, die LNT eben. Das führt dann zu dem Problem, dass auch schon die geringsten Dosen an Radioaktivität eine gewisse Gefährlichkeit aufweisen, auch die natürlich vorkommenden. Wie hier schon oft gesagt, bekommen Menschen in Hannover ca. 1mSv und Menschen im Erzgebirge ca. 3mSv an Strahlung pro Jahr ab. Wenn nun also der Gesetzgeber sagt, dass jede Strahlung gefährlich, weil krebserregend ist, müssten alle Menschen aus dem Erzgebirge nach Hannover ziehen und dürften auch nicht mehr Flugzeug fliegen. Daher ist der Gesetzgeber hingegangen und hat gesagt: “Ja, die Strahlung ist gefährlich, aber mit ein bischen Gefahr müssen die Menschen leben.” und hat die Grenze genau beim Unterschied zwischen Erzgebirglern und Hannoveranern gezogen und festgelegt, dass jeder (normale) Mensch 1-2mSv pro Jahr extra abbekommen darf.
Das Ganze ist hoch unwissenschaftlich, denn es basiert weder auf empirischen Erkenntnissen noch auf einem Modell, das anhand mikroskopischer Wirkmechanismen erstellt wurde. Denn gerade im Niedrigbereich müssen wir tief in die Zellbiologie einsteigen, um uns die Wirkung von radioaktiver Strahlung klar zu machen. Ionisierende Strahlung schädigt hauptsächlich dadurch, dass sie Fehler in die Zell-DNS einbaut. Entweder direkt, indem sie Basenpaare der DNS austauscht, oder indirekt, indem sie in der Zelle freie Radikale erzeugt (zellulären oxidativen Stress), die dann wiederum die DNS bzw. “das Kopieren” ebenjener schädigt.
Die anderen Linien in meiner Skizze repräsentieren andere “Theorien”, die andeuten, wie die Abhängigkeit von Strahlenschäden und Dosis auch aussehen könnte (grün, supra-linear und gelb quasi-quadratisch), die von den jeweiligen politischen Fraktionen ins Feld geführt werden. Am interessantesten finde ich aber die pinke Linie (linear threshold), die davon ausgeht, dass es eine gewisse Schwelle an Radioaktivität gibt, die ein Lebewesen verkraftet und erst danach die Schäden losgehen (ist mitunter auch mit der grünen oder gelben Theorie vereinbar).
Diese Schwellwert-Theorie basiert darauf, dass unsere Zellen Reparaturmechanismen haben, um mit Zell- und DNS-Schäden umzugehen und sie zu reparieren. Sie sagt, dass wir eine bestimmte Menge an Zellgiften (Rauchen, Stress, Radioaktivität) vertragen und dann erst ab einem gewissen Schwellwert Schäden bekommen. Daher kommt auch die, meiner Meinung nach völlig aus der Luft gegriffene, Annahme mancher Leute, dass Radioaktivität in geringen Dosen heilsame Fähigkeiten hat, weil sie die Zellregeneration ankurbelt.
Wirklich bewiesen ist keine der ganzen Theorien, so dass die meisten internationalen Strahlenschutzprogramme, Gesetze und Richtlinien sich immer noch an dem LNT-Modell als konservativem Worst-Case Szenario orientieren. Auch wenn der Strahlenschutz manchmal recht aufwendig ist, so muss ich doch sagen, dass man damit eigentlich gut arbeiten kann und selbst Katastrophen wie Fukushima haben gezeigt, dass auch in Extremsituationen das gesetzliche Kartenhaus nicht automatisch in sich zusammenbricht. Natürlich würde ich mich mal über eine vernünftige Erforschung der Gefährlichkeit von Radioaktivität im Bereich niedriger Dosen freuen… aber ich kann auch so vorerst leben, bis sich mal jemand dieses Themas vernünftig annimmt. Wahrscheinlich, wenn wir irgendwann mal länger in den Weltraum fliegen 😉
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