Astrophysiker sind die Rockstars unter uns Physikern und auch für mich gibt es nichts Schöneres, als Florian Freistetter oder Neil deGrasse Tyson dabei zuzugucken, wie sie auf der Bühne mit absoluter Überzeugung und miterlebbarer persönlicher Faszination berichten: “Wir Menschen sind alle aus Sternenstaub gemacht. Nicht im übertragenen oder bildlichen Sinne, sondern wortwörtlich. Jedes einzelne Atom, aus dem unsere Körper bestehen, wurde im Inneren eines Sterns geschmiedet und auf den Weg geschickt, als dieser Stern dann gestorben ist.”
Im Gegensatz zu den Philosophen und Träumern der Physik, die die Menschheit verändern, indem sie große Dinge tun, deren Sinn objektiv vielleicht etwas fragwürdig ist – wie z.B. einen Menschen auf den Mond zu bringen – sitzen wir Festkörperphysiker in unseren dunklen Kellern, bauen neue Chips, Quantencomputer oder Solarzellen, die manchmal sogar wirtschaftlich sinnvoll sind. Ja, OK, das verändert auch die Weltgeschichte und gerade aktuell haben wir ja sehr damit zu kämpfen, dass wir Festkörperphysiker es möglich gemacht haben, dass jeder Depp einen Computer mit Twitter in der Tasche haben kann, aber irgendwie ist so eine Raumstation im Orbit schon ein bisschen cooler als iPhones in jeder Hand, oder?
Das heißt, einer von uns würde die berühmten Zeilen über den Sternenstaub in etwa so ausdrücken: “Wir sind alle Atommüll. Jedes unserer Atome ist ein hoch angeregtes Abfallprodukt mehrerer kernphysikalischer Reaktionen, das wahrscheinlich Jahre und tausend Jahrtausende brauchte, um in einen stabilen Grundzustand zu fallen, in dem man irgendwas mit diesem Atom anfangen konnte, ohne dass es alles verstrahlt.” Ziemlich unsexy, oder? Ich meine, wir sind ja noch nicht mal Kernphysiker, die ihre Leidenschaft mit höchst angeregten superschweren Isotopen mit Lebenszeiten im Pikosekundenbereich befriedigen können. Ich meine, dabei muss ich immer an meinen japanischen Kollegen mit den Löchern in den Socken denken, der bei der Entdeckung den Nihoniums mitgearbeitet hat und der tatsächlich drei Ereignisse in 8 Jahren vorzeigen konnte. Dabei heißt ein Ereignis natürlich ein nachgewiesenes Atom … eines … alle drei Jahre.
Transmutation bzw. Alchemie ist seit dem Atomzeitalter ein recht normaler Vorgang geworden. Während man sich vorher immer nur Gedanken über irgendwelche chemischen Reaktionen machen musste, ist es heute – in meinem Arbeitsbereich zum Beispiel – Alltag, dass wir uns auch Gedanken machen müssen, welches Element in welches andere umgewandelt wird. Als Basis dafür dienen normalerweise die Tabellen über Wirkungsquerschnitte verschiedener Kernreaktionen und eine vernünftige Nuklidkarte. Dabei wird dann meist nach radioaktiven Produkten gesucht, die eben teuer als Atommüll entsorgt werden müssen; aber auch Elemente, die besonders stark die Struktur von Konstruktionsmaterialien, wie z.B. Stahl schädigen sind oft von Interesse. Ausreichend Leute versuchen Transmutation in industriellem Maßstab möglich zu machen und die potentiellen Einsatzgebiete reichen von der Entsorgung von Atommüll, bis hin zum Erbrüten von seltenen Erden oder anderen wertvollen Ressourcen, die man nicht mehr aus dem Boden kratzen kann oder will. Meistens ist das Ganze “nur” noch ein Energieproblem, denn die grundlegenden physikalischen Prinzipien und die eben erwähnten Datenbanken sind ausreichend bekannt, so dass man alles vorher schon mal mit dem Supercomputer simulieren kann und voraussichtlich in der Zukunft noch wesentlich mehr von Transmutationsanwendungen hören wird.
Naja, mit einer kleinen Ausnahme. Denn auch wenn die existierenden Modelle und Datenbanken für viele Anwendungen ausreichend sind, so ist die Präzision immer sehr relativ. Wenn man jetzt z.B. berechnen will, wieviel Kernbrennstoff so ein Stern hat und wie lange er lebt, dann machen da ein paar kleine Prozentpünktchen schon mal einen Unterschied von mehreren Millionen oder Milliarden Jahren aus. Darum kümmern sich dann die totalen Exoten von FRANZ. Das sind Neutronen-Astrophysiker aus Frankfurt, die gerade ihre eigene Neutronenquelle an der dortigen Uni aufbauen. Normalerweise lässt sich mit Neutronen keine Astrophysik betreiben, weil freie Neutronen mit einer Lebensdauer von ca. 12 Minuten niemals von irgendeinem Stern zur Erde kommen würden. Aber wenn man nun Neutronenreaktionen dazu nutzt, um die Wirkungsquerschnitte für die Kernreaktionen innerhalb von Sternen besser zu berechnen und damit dann die Entstehung von Galaxien und sonstigen coolen Sachen besser voraussagen kann, dann kann man auch Neutronen zur Astrophysik nutzen.
Also wenn ich mal meine eigene Neutronenquelle haben, dann will ich auch eine Station für Neutronen-Astrophysiker, um von Sternenstaub träumen zu können und keinen Atommüll wegräumen zu müssen. Vielleicht darf ich dann auch mit den coolen Kids spielen.
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