Nicht nur im Strahlenschutz oder der Kerntechnik, sondern in vielen Dingen, die mit (Natur)Wissenschaften zu tun haben, schmücken sich eine Menge Leute mit illustren, aber oft nichtssagenden Titeln, wie “Fachmann” oder “Experte”, die sich bei näherer Betrachtung aber als Schwachfug herausstellen. Darum möchte ich hier einmal festhalten, was meiner Meinung nach einen “echten” Wissenschaftler bzw. Experten oder Fachmann ausmacht. Warum ich mir diese Arroganz heraus nehme, genau dies zu tun, obwohl ich selber nur sehr bedingt zu einer der Kategorien gezählt werden kann, habe ich in einem längeren Disclaimer am Ende dieses Artikels festgehalten, den ich dem geneigten Leser empfehlen möchte, bevor zu viel Aversion gegen meine Anmaßung aufgebaut wird. *
Die Qualität eines Fachmannes oder Experten in eher allgemeinen Themen kann man meiner Meinung nach schon recht früh erkennen. Vor allem in Deutschland, wo es zu jedem Fachgebiet einen entsprechenden (Berechtigungs)Schein oder eine Ausbildung gibt. Du bist ein Experte für Atomkraftwerke? Dann hast du bestimmt eine Operatorausbildung oder einen Abschluss als Ingenieur mit der Spezialisierung auf Reaktortechnik. Du bist Experte für Elektrosmog? Dann hast du sicher eine Ausbildung als Fernmeldetechniker, E-Techniker und eine medizinische Ausbildung (von MTA bis Arzt). Du kannst Strahlenschutz? Dann zeig deinen Fachkundenachweis. Das ist mMn recht einleuchtend und auch leicht zu überprüfen. Auch wenn man selber nicht in dem Feld unterwegs ist. Die einzige Besonderheit, auf die man dabei mMn aufpassen muss ist, dass praktische und akademische Ausbildungen meist stark ineinander greifen. Ein Physiker mag zwar mehr Ahnung von der Dipol-Dipol-Wechselwirkung in korrelierten Elektronensystemen haben, aber wenn ich etwas über die Abstrahlcharakteristik einer Dipolantenne wissen möchte, dann frage ich lieber den Fernmeldetechniker. Ein eher allgemein gebildeter Akademiker wird oft von einem praktischen Experten in dessen Spezialgebiet geschlagen, solange sich ersterer nicht auch noch selber spezialisiert.
Bei der Bezeichnung “Wissenschaftler” ist die Einordnung da direkt schon etwas schwieriger, denn oft wird mit der akademischen Ausbildung und “dem Doktor” da schon einiges an Fachkompetenz vorausgesetzt, von dem ich jetzt, da ich mich selber an dieser Stelle befinde, mit Fug und Recht sagen kann: “Dem ist nicht so.” Nur weil ich einen Dr. in Physik habe, heißt das nicht, dass ich sonderlich qualifizierte Aussagen über z.B. Elektrosmog tätigen kann. Zumindest nicht weiter führend als das allseits beliebte: “Ja, da muss ich mir mal etwas zu anlesen”.
Aber dafür gibt es auch innerhalb der “Wissenschaftscommunity”, unter den lieben Doktoren, eine Methodik, etwas über die Fachkompetenz auf diesem Level auszusagen, die Publikationsstatistik. Publikationen sind nicht nur die Währung der Wissenschaft (sie werden benötigt, um Gelder einzuwerben und die Effektivität von Aufwendungen zu rechtfertigen), sondern werden darüber hinaus auch benutzt um die Qualität von Wissenschaftlern zu bestimmen… z.B. bei Vorstellungsgesprächen. Dabei sind vor allem zwei Größen interessant: Die Anzahl der Publikationen und deren Impact (also, wie oft diese Publikationen von anderen zitiert worden sind). Darüber hinaus gibt es auch noch die Qualität der Journale, in denen publiziert worden ist, aber dies steckt in dem “Impact” oft schon irgendwie eingebaut mit drin. Allzu tief möchte ich hier auch nicht in die Details der Bewertungen einsteigen, denn gerade da gibt es genug Manipulationen von Gefälligkeitszitierungen und -koautorenschaften bis hin zu “Publish or Perish”-Clustern und Gruppen, die mal eben ihre eigenen Journale erfinden um ihre Statistiken voranzutreiben. Von den hoch politischen Verhandlungen um OpenAccess mal ganz zu schweigen. Wer sich dafür weiterführend interessiert, mag die entsprechenden Begriffe googeln und Florian hat hier bei SB auch unlängst mal ein paar gute Artikel zu auf den Weg gebracht.
Was aber unter dem Strich gesagt werden kann ist, dass die Qualität eines Wissenschaftlers von seinem Nutzen für die Allgemeinheit (Publikation) und der Akzeptanz seiner Kollegen (Zitation) abhängt und auch wenn man nur schwerlich eine Rangliste von Platz 1000 bis 10000 führen kann, so kann man doch mit ziemlich guter Sicherheit sagen, wer gar nicht erst darauf gehört. In den USA werben viele (jung)kreationistische Organisationen damit, dass “auch Wissenschaftler” der Theorie anhängen, dass die Welt (wie in der Bibel beschrieben) ca. 6000 Jahre alt sei. Diese vermeintlichen Wissenschaftler werden dann immer mal wieder gerne von echten Wissenschaftlern unter die Lupe genommen und bestehen meist den ersten Test, einen Blick in ihre Publikationsliste, nicht. Denn auch wenn das Positiv (wann ist man ein Wissenschaftler) nicht genau bestimmt werden kann, so kann man das Negativ recht leicht herausfinden und wenn jemand keine Publikationen hat oder die Publikationen niemals von anderen zitiert worden sind, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, nur eine Person mit akademischem Abschluss, aber sicher keinen Wissenschaftler vor sich zu haben.
Das gleiche Verfahren lässt sich mit Sicherheit auch hier in Deutschland anwenden, wenn man es mit “Wissenschaftlern” zu tun hat, die Homöopathie, Quantenerinnerung von Leitungswasser oder Atomstromfilter bewerben. Das kann man auch ohne Paywall recht einfach über Google scholar oder www.researchgate.com tun oder wenn man einen Bibliothekszugang hat über das Web of Science. Die Wahrscheinlichkeit, einen echten Wissenschaftler zu haben, der wegen seiner legitimen, aber revolutionären Ideen dermaßen von dem Establishment abgelehnt wird, dass er keine Anerkennung in der Community genießt, ist mMn zu vernachlässigen. Es hat in der Vergangenheit genug revolutionäre Ideen gegeben, die mitunter Jahrzehnte brauchen, bis sie nicht mehr als Hirngespinste abgetan wurden, aber all diese Leute haben vorher (oder währenddessen) auch durchaus akzeptierte Beiträge geliefert und hätten somit den “Wissenschaftler?”-Test bestanden.
Das Ganze hilft jetzt natürlich nicht, wenn auf der “Glyphosat gut oder schlecht” Bank zwei Parteien sitzen, die beide renommierte “Wissenschaftlerhorden” in den Kampf schicken und die Ergebnisse der Studien auffällig stark mit der politischen Maxime der Finanziers (auf beiden Seiten) korrelieren. Da muss man dann schon tief in die Methodik der entsprechenden Studien einsteigen und sich mit dem Thema selber beschäftigen. Zeitgleich gibt es dann auch noch die ganzen Fragestellungen, die zwar von den Geldgebern (also den Steuerzahlern) gewollt, aber niemals wissenschaftlich untersucht werden. Das hatte ich damals z.B. schon bei meinem Artikel zur LNT-Theorie angemerkt, aber man kann halt auch keinen Wissenschaftler dazu zwingen, sich mit einem Fachgebiet auseinanderzusetzen, auf das er keine Lust hat und/oder er befürchtet, egal mit welchem Ergebnis keinen Blumentopf gewinnen zu können.
Ich bin selber kein Wissenschaftler, würde aber gerne einer sein. Als Wissenschaftler werden meistens nur diejenigen bezeichnet, die sich ihr ganzes Leben, als Full-Time Job mit einem Spezialgebiet auseinandersetzen – sprich Professoren und akademischer Mittelbau an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Heutzutage forschen aber Professoren mit einem festen Lehrstuhl kaum noch selber, sondern managen weitestgehend ihre Arbeitsgruppe. Klar haben sie die entsprechende Fachkompetenz, aber 80% ihres Arbeitsalltags geht dafür drauf, Anträge zu schreiben, die Post-Docs und Doktoranden zu betreuen und von Zeit zu Zeit auch noch Lehre zu machen. Der akademische Mittelbau ist seltener als die (permanenten) Professorenstellen und meist sehr fest in Vorgänge eingebunden, die unbedingt benötigt werden, um den Laden am laufen zu halten. Wirklich viel forschen tun die meisten auch nicht. Den meisten rohen Content, also Daten, Messergebnisse etc. pp. produzieren die Post-Docs und Doktoranden auf ihren kleinen, befristeten, unbedeutenden Stellen, aber die haben eben noch nicht die Erfahrung und erst einen Teil der Fachkompetenz und können somit ebenfalls nur schwer als etablierte Wissenschaftler bezeichnet werden.
Meiner Meinung nach liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen und die Wissenschaftler und Experten sind irgendwo in diesem durchaus weiten Feld zu finden, weshalb es sich mMn eben auch mal lohnt, bei einem Autor auf den Werdegang und die “Credentials” zu schauen. Ob das nun nach der Lektüre eines “Spiegel”-Artikels unbedingt nötig ist, glaube ich nicht unbedingt, aber bevor man sich mit einem würdigen Gegner in eine Internetdiskussion über Glyphosat, Elektrosmog oder Edelsteinkristallenergien stürzt, lohnt es sich vielleicht, die eigenen Quellen anhand einer der hier vorgestellten Gedankengänge zu hinterfragen.
*Disclaimer: Ich bin sicherlich kein Experte darin, die Qualität eines Wissenschaftlers zu beurteilen, sondern nur ein (bedingt) junger Student, der in den letzten Jahren überhaupt erst einmal eine Ausbildung bekommen hat, was wissenschaftliches Arbeiten ist und was Arbeiten in der Wissenschaft überhaupt bedeuten. Aber ich denke, dass gerade in dieser Funktion bzw. mit diesem Hintergrund meine Meinung, darüber, wie man die Qualität eines Wissenschaftlers bestimmt und bestimmen sollte, eine Daseinsberechtigung hat – als Momentaufnahme und subjektive Meinung. Idealerweise würde ich diesen Artikel in 10 Jahren noch einmal schreiben (und hätte ihn vor 10 Jahren schon einmal schreiben sollen) um eben nicht nur Momentaufnahmen zu machen, sondern sogar noch eine Entwicklung aufzuzeigen. Nunja, vornehmen kann ich mir das ja mal. Außerdem habe ich als (Experimental)Physiker in der deutschen Forschungslandschaft natürlich auch nur einen sehr begrenzten Blickwinkel, der keinesfalls repräsentativ ist. Dessen bin ich mir bewusst. Diesen Artikel habe ich trotzdem geschrieben und vertraue dem Leser, dass er den Inhalt mit den Informationen über meine Person (die ich ja hier recht freigiebig präsentiere) in einen Gesamtkontext setzen kann.
PS: Im letzten “NeutronCast 005 – Qualität von Wissenschaftlern” haben sich Lars und ich auch noch mal verbal mit dem Thema auseinandergesetzt.
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