Strahlentherapie mit Neutronen hat es immer schon irgendwie gegeben, seit man in den frühen Fünfzigern freie Neutronenstrahlen für allgemeine Experimente benutzt hat. Damals waren dann einfach die Neutronen ein normaler Bestandteil des Kanons an ionisierender Strahlung, die eben auch unter anderem zu diversen heilenden Therapien (vor allem Krebstherapie) genutzt worden sind. In den kommenden Jahrzehnten sind dann natürlich die Verfahren entsprechend verfeinert und standardisiert worden und ein halbes Jahrhundert später hat das Röntgen z.B. eine ganz eigene Disziplin mit Legionen an Wissenschaftlern und Ressourcen hervorgebracht, während die Ionenstrahltherapie derzeit immer noch erbittert um die Existenz in der medizinischen Fachwelt kämpfen muss, wie ich hier ja auch schon des öfteren mal berichtet hatte.
Wenn ich einen Tumor zerstören will, dann sind Neutronen schon eine echt tolle Sache. Im Allgemeinen möchte man ja idealerweise Doppelstrangbrüche in der DNS verursachen und dafür eignet sich am idealsten ein möglichst großes Kaliber, wie eben Partikelstrahlung. Da ist es dann in guter Näherung mit den anderen Nachbarn, wie He, C oder N Atomen schon relativ gut aufgehoben, aber hauptsächlich wegen der elektrischen Neutralität nimmt es auch dort mal wieder eine Sonderrolle ein.
In diesem kleinen Bild habe ich mal die Relative Biologische Effizienz von verschiedenen Teilchen gegenüber gestellt. Je höher eine Teilchenart auf der Y-Achse steht, desto besser macht sie eine (Tumor)Zelle auch kaputt. Da sieht man dann auch direkt, dass die schwereren Teilchen einen großen Vorteil haben, was vor allem daran liegt, dass sie nicht nur indirekt über den oxidativen Stress in der Zelle wirken, sondern auch direkt die DNS beeinflussen können. Dabei haben Protonen (und auch He und C) erstaunlicherweise einen niedrigeren mittleren Energieübertrag als Neutronen, was ja eigentlich erst mal verwirrend ist, denn kinetisch gesehen wirft das Neutron ja eben auch nur ein U in die Waagschale.
Das liegt, wie weiter oben angedeutet, an der elektrischen Neutralität. Von den geladenen Teilchen (Protonen etc.) interagiert jedes einzelne Teilchen, das in die Materie hereinkommt. Durch die Coulombkräfte hat es auch bei noch so hoher eigener Energie kaum eine Chance, die Materie ohne viele Interaktionen wieder zu verlassen. Stattdessen ist es bei dem Neutron relativ normal, dass es nur ein/zwei Interaktionen hat und dann auf der anderen Seite wieder herausfliegt. Wenn ich nun also über die einzelnen Interaktionen mittele, dann überträgt mein geliebtes Neutron pro Interaktion mehr Energie (Linearer Energietransfer LET) als die meisten geladenen Teilchen, obwohl es dafür kinetisch auf den ersten Blick nicht als der ideale Kandidat erscheint.
Diesen Vorteil bezahlt man beim Neutron allerdings bitter mit Präzision. Während ich mittlerweile Protonen auf den µm genau platzieren kann, wie ich in dem entsprechenden Artikel ja schon geschrieben hatte, werden meine Neutronen leider nach der zweiten Interaktion schon total isotrop und flitzen überall in der bestrahlten Materie herum, was natürlich ein riesiger Nachteil für die präzise ortsspezifische Bestrahlung eines Tumors ist. Daher gibt es konkret in der Strahlentherapie mit Neutronen zwei Disziplinen: Die Bor Neutron Capture Therapy (BNCT), über die ich hier ja auch schon mal einen längeren Artikel geschrieben hatte, sammelt die wild herumfliegenden Neutronen mit einem Medikament ein, das die Strahlen in den Tumor leitet und die Fast Neutron Radiographie bestrahlt einfach einen großen Bereich und verzichtet zu Gunsten der Effektivität auf die Präzision.
Wer mir in den letzten Jahren hier ein bisschen zugehört hat, der weiß nun, dass gerade die präzise Produktion und Lieferung von Neutronen mit den richtigen Energien an den richtigen Ort unsere Kernaufgabe und Kompetenz (Badabum!) geworden ist. Daher hegen wir ganz konkret die Hoffnung, durch unsere Techniken, die wir nun in der eher technischen, naturwissenschaftlichen Ecke gesammelt haben, in naher Zukunft den Neutronen in der Strahlentherapie noch den extra Kick geben zu können, die sie brauchen, um öfter genutzt zu werden und das allgemeine Repertoire der Strahlentherapien erweitern.
Die einzige echte Studie (außerhalb von BNCT), bei der Photonen und Neutronen direkt verglichen wurden, ist über 15 Jahre alt und beschränkte sich auf Patienten mit einem speziellen Speicheldrüsenkrebs. Bei dieser Studie waren die Ergebnisse der Neutronenbestrahlung denen der Photonen sehr stark überlegen. Das ging sogar soweit, dass die Studie aus ethischen Gründen abgebrochen werden musste, da es ethisch nicht mehr vertretbar gewesen wäre, die Kontrollgruppe mit einer Therapie zu behandeln, die wesentlich schlechtere Ergebnisse erzielte.
Es gibt genug Einzelanwendungen und Einzelexperimente, die (abseits der in Japan geläufigen BNCT) Behandlungen mit schnellen Neutronen für viele Arten von Tumoren propagieren, aber der richtigen Durchbruch (also die Stelle, an der die Protonentherapie gerade steht) haben die Neutronen noch nicht erreicht und wir haben da noch einige Arbeit vor uns. Naja, wir heißt in dem Fall hauptsächlich eine neue Generation enthusiastischer Mediziner, die dann mit meinem coolen Moderator herumspielen darf. Man kann ja nicht alles alleine machen. 😉
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