Ionisierende Strahlung, Radioaktivität und die neuesten Neutronenquellen dieser Welt sind zwar echt toll und vor allem letztere machen auch in der Realität einen großen Teil meiner Arbeit aus, aber eigentlich bin ich ja Festkörperphysiker. Das zeigt sich auch immer wieder ganz konkret in dem, was ich im Alltag tue oder hier schreibe, vor allem, wenn ich mit oder parallel zu einem Kernphysiker arbeite, wie das in meinem Projekt ja öfter vorkommt. Höchste Zeit, das Ganze mal ein wenig näher zu beleuchten und eine kleine Reihe zur Festkörperphysik zu machen.
Dabei fange wir mit der Bragg-Bedingung an, der Allzweckwaffe im Arsenal jedes Kristallographen und Neutronenphysikers. Die kommt ganz regulär im Studium von fast allen Physikern, Chemikern, Geologen, Medizinern, etc.pp. vor und ist dementsprechend weit verbreitet aber eben auch total wichtig und super praktisch. Grundsätzlich besagt sie, dass wenn Strahlen (Wellen) auf eine periodische Struktur fallen (z.B. Atome in einem Kristall(Gitter)) dann interferieren die ausgehenden Wellen konstruktiv, wenn 1.) die Wellenlänge des einfallenden Strahls die richtige Größe im Vergleich zur periodischen Struktur (z.B. Kristallgitter) hat und 2.) der Einfalls- und damit auch Ausfallswinkel stimmt.
Zusammengefasst wird das durch die sog. Bragg-Gleichung n λ = 2d sin(θ) und in diesen tollen Bildchen. Weil sich das aus den Bildern, wenn man es einfach mal nur aufgemalt hat, ziemlich leicht herleiten lässt, ist das immer eine extrem beliebte Einstiegsfrage bei jeder Experimentalphysik-Prüfung, weil das eben jeder aus dem Handgelenk kann, der in diese Prüfung geht. Hauptsächlich wurde und wird das in der Kristallographie verwendet, um Kristallstrukturen zu analysieren. Denn auch wenn bis zum heutigen Tag unsere Mikroskope nicht gut genug sind, um einzelne Atome “sehen” zu können (gerade aktuell gibt es da einen wichtigen Evolutionsschritt) können wir mit dieser Methode die Advokado-Konstante nun für uns arbeiten lassen und die reflektierten, aufaddierten Strahlen aller einzelner Atome (insg. 10 ²³ * Kristallgröße Stück) in einer periodischen Struktur nutzen, um eine Art von Atomen zu “sehen”.
Ich will aber gerne schon schnell weiter zu den tollen Anwendungen, die wir alle so für dieses Prinzip gefunden haben, und behaupte einfach mal ganz faul, dass die Funktionsweise fähigere Leute schon besser erklärt haben. Für den Einstieg habe ich auch schon direkt einen kleinen Teaser: Gut ein Drittel der Doktoranden in meinem Institut arbeitet in der Nanotechnologie und die benutzen die Bragg-Bedingung eben nicht an Kristallen, wo ein Atom < 1Å und der Gitterabstand um die 3Å ist, sondern mit Nanomaterialien, die wesentlich größer sind, weil sie eben aus Atomen aufgebaut sind. Diese Nanomaterialien formen unter bestimmten Bedingungen ebenfalls periodische Strukturen (sog. Mesokristalle), die dann auch EM-Wellen oder Neutronen unter den entsprechenden Bedingungen reflektieren und somit “gesehen” werden können.
Wir Neutronenphysiker benutzen die Bedingung für alles Mögliche. Wenn wir einen monochromatischen Neutronenstrahl haben wollen, der nur Neutronen einer Wellenlänge enthält, dann halten wir wir einfach einen Kristall (dessen Gitterabstand wir kennen) in den “weißen” Neutronenstrahl und stellen den Winkel so ein, dass er uns die Neutronen rausfiltert, die wir brauchen. Pyrolithischer (002) Graphit ist da z.B. eine einfache Möglichkeit, denn der besteht nur aus einzelnen Graphen-Schichten, die einen Abstand von ca. 3,5Å zueinander haben und somit reflektiert er Neutronen mit 4,75Å mit einem θ von 45° genau im rechten Winkel. Damit kann man Neutronenstrahlen also nicht nur herausfiltern, sondern sogar noch um die Ecke lenken. Mit anderen Kristallen funktioniert das genauso, nur ein wenig komplexer, weil es noch mehr Streuebenen gibt.
Mit dem Verfahren (und Neutronen) kann ich auch die Kristallqualität bestimmen. Während die entsprechenden Röntgenstrahlen nur die Oberfläche der Kristalle untersuchen und nach wenigen µm stecken bleiben, benutzen Neutronen alle Atome im Kristall zum Reflektieren und können daher eine Aussage zu der Kristallqualität (meist Mosaizität genannt) machen. Wenn ein Strahl reflektiert wird, dann ist der reflektierte Strahl etwas “verschmiert”. Wie bei einer Glühbirne und einer Lochblende ist diese “Verschmiertheit” normalverteilt, so dass man eine Gausglocke anfitten kann und die Breite der Gausverteilung sagt sowohl etwas über die Qualität des einfallenden Strahls als auch über die Qualität des Kristalls (sitzen in der periodischen Struktur alle Atome an der richtigen Stelle?) aus. Dieses Bild stammt z.B. aus meiner Diplomarbeit von einem multiferroischen Kristall, den ich gezüchtet hatte und dessen Qualität (für die Verhältnisse) recht gut ist.
Ein Schweizer Uhrenhersteller hatte Saphirglas hergestellt, um es für seine Uhren zu verwenden, weil es sehr hart und kratzsicher ist. Dabei hatte er aber gemerkt, dass das Glas beim Reflektieren von Licht viele Regenbögen und typische Ölschlieren machte, was er bei seinen hochpreisigen Uhren nicht haben wollte. Für den Kristallographen war das Problem klar und nachdem die Kristallqualität bei der Züchtung wesentlich verbessert werden konnte, gab es auch keine Probleme mit Regenbogenstreifen mehr (außer denen der ersten Exemplare, die nun als Sammlerobjekte sehr hoch gehandelt werden).
Grundsätzlich funktioniert das Ganze auch mit anderen Wellen, die interferieren können und ich habe immer mit Faszination die Geophysiker in Köln mit ihren Hämmern und Stahlplatten auf der Uniwiese herumlaufen sehen, um seismische Wellen zu erzeugen, die sie dann mit ihren Geophonen detektiert haben. Aber davon habe ich viel zu wenig Ahnung, um irgendwie drüber berichten zu können. Bei der oben beschrieben Hammerschlagmethode wird z.B. mit der Laufzeit der Wellen gearbeitet und nicht mit Interferenz, wobei es das mWn bei der Methode aber auch gibt und es eben nur etwas komplexer ist.
Wer tiefer in die Materie einsteigen will, kann sich gerne die Wikipedia-Artikel (alle recht gut und fehlerfrei zu dem Thema) nehmen und dann die Fachliteratur schnappen. Ich werde beim nächsten Mal dann hier voraussichtlich über Spinstrukturen in Festkörpern reden, denn damit wird man mich voraussichtlich auf der DPG-Tagung in Berlin in drei Wochen wieder überschütten.
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