Aktuell geistert in den Medien die Nachricht herum, dass Donald Trump per EPA die Grenzwerte für ionisierende Strahlung erhöhen will. Das fällt natürlich in eine Zeit des amerikanischen Wahlkampfes, in der das Land noch gespaltener ist als es sowieso schon die letzten Jahre war. Sprich jeder, der sowieso gegen Trump ist, ist automatisch gegen eine Erhöhung der Grenzwerte und davon überzeugt, dass die orangene, russische Sockenpuppe Atommüll in den Indianerreservaten verklappen möchte. Gleichzeitig ist jeder gute Republikaner sofort davon überzeugt, dass geringe Mengen an Radioaktivität heilende Wirkung haben und bestellt sich im Webshop von Alex Jones sein eigenes Stück Radium für unters Kopfkissen (das kommt dann neben die Magnum). Ach ja, das habe ich ganz vergessen: Nach Berichten soll die EPA auch die *hüstel* exotische Meinung vertreten, dass ionisierenden Strahlung in geringen Mengen eine heilende Wirkung haben soll.
Das macht sinnvolle Diskussionen über Grenzwerte und Regelungen nun auch in den USA so gut wie unmöglich – also so wie bei uns in den letzten Jahrzehnten. Aber da wir hier in Deutschland das Thema Atomkraft mittlerweile abgehakt haben (der Hambacher Forst liegt mehr oder weniger direkt neben dem Forschungszentrum Jülich), möchte ich diese Gelegenheit der Nachrichten aus den USA mal nutzen, um das Thema zu beleuchten.
Die Grenzwerte für ionisierende Strahlung sind in den USA mehr oder weniger dieselben wie hier bei uns in Deutschland und auch die Handhabung im Alltag unterscheidet sich nicht sonderlich von den hier üblichen Methoden. Also zumindest in den Bereichen, in denen ich Erfahrung habe und entsprechende Vergleiche anstellen kann (Forschungsreaktoren etc.). Vielleicht mit dem kleinen Unterschied, dass die Amerikaner die Sicherheitsschranken ein gutes Stück idiotensicherer bauen – wobei man sich dann natürlich fragt, wie viele Idioten in deren Reaktoren arbeiten (ich schätze eher nicht so viele). Aber das kommt natürlich auch aus dem Land, wo man keine Katzen zum Trocknen in die Mikrowelle stecken und die Folie von der Tiefkühlpizza entfernen soll, bevor man sie in den Ofen steckt. Der Alptraum eines amerikanischen Reaktorbetreibers ist natürlich, dass ein Mitarbeiter Krebs bekommt und ihn dann auf zig Millionen Dollar verklagt. Sowas wird in Deutschland erfahrungsgemäß eher entspannt angegangen.
Dass Grenzwerte und Habitus in den USA und Deutschland mehr oder weniger die Gleichen sind, hängt vor allem damit zusammen, dass sie sich auf die LNT-Theorie stützen. Diese ist seit den 60ger/70ger Jahren der Goldstandard für alles, was mit Grenzwerten bei niedrigen Dosen zu tun hat. Ich hatte dazu mal einen eigenen Artikel geschrieben, aber kurz zusammengefasst besagt die LNT-Theorie, dass jede auch noch so kleine Dosis ionisierender Strahlung schädlich ist (linear mit der Dosis). Diese Theorie hat allerdings Nachteile. Unter anderem basieren die zugrunde liegenden Daten nur auf Expositionen im Hochdosisbereich (hauptsächlich die Atomwaffeneinsätze in Japan) und die Wirkungen bei niedrigen Dosen sind nur von diesen Werte extrapoliert worden und basieren nicht auf eigenen experimentellen Daten. Sprich, wenn man es ernsthaft durchrechnet, dann sterben auch Leute von der natürlichen Strahlung in den Alpen, weil… ja, weil eben alle Strahlung, egal wie gering, schädlich ist.
Trotz der offensichtlichen Schwächen hat uns und allen Leuten im Strahlenschutz die LNT-Theorie seit Jahrzehnten gute Dienst erwiesen. Mit den aktuellen Grenzwerten kann man eigentlich gut arbeiten und sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung, zumindest mMn, vernünftig geschützt ist. Die Einzigen, die öffentlich eine Neuordnung fordern, sind Interessengruppen, wie z.B. die Nuklearia in Deutschland und jetzt wohl eben auch der amerikanische Präsident. Sollte man deshalb aber die Idee direkt mit der Grenzmauer auf den Haufen der Trumpschen Ideologien werfen? Ich denke nicht.
Seit ich live beobachten kann, wie ionisierende Strahlung und Zytostatika im menschlichen Körper wirken, habe ich hier ja schon einige Artikel zu den mikroskopischen Wirkmechanismen von ionisierender Strahlung in den menschlichen Zellen geschrieben. Ich habe hier von oxidativem Stress, Doppelstrangbrüchen, Basenschäden und Reparaturmechanismen gesprochen. Auch wenn es keine Absicht war, kann man als naturwissenschaftlich gebildeter Mensch diese Artikel (oder die entsprechend zugrunde liegende Zellbiologie) nicht lesen, ohne dass sich das Gefühl breit macht: So einfach, wie in der LNT-Theorie beschrieben, wird es in der Realität nicht sein. Ja, sogar die spinnerte Idee, dass geringe Mengen an Radioaktivität eine heilende Wirkung haben könnten, hört sich dann plötzlich gar nicht mehr so gaga an. Dieser Gedankengang ist nicht neu und im privaten – also wie hier auf SB – haben sich schon viele darüber ausgetauscht, ob die LNT-Theorie nicht mal langsam durch etwas aktuelleres und wissenschaftlich Fundierteres ersetzt werden sollte, was dann auch vielleicht zu anderen Grenzwerten führen könnte.
Meine Meinung dazu: Ja gerne! Ich fände es total toll, wenn man groß angelegte experimentelle und theoretische Studien zu der Wirkung von ionisierender Strahlung im Nedrigdosisbereich machen würde und daraufhin dann ggf. den aktuellen Habitus überarbeitet. Leider traut sich keiner an das heiße Eisen ran und weil damit auch kein Geld zu machen ist, wird sich das wohl in absehbarer Zeit nicht ändern. Dafür müssen wir wohl auf den Massen-Weltraumtourismus warten. Wo ein paar gut trainierte Astronauten keine wirkliche Datenlage produzieren, da würden Touristenmassen im Orbit eine ganz andere Herangehensweise erfordern. Bis diese tollen Studien, die ich mir so sehr wünsche, dann abgeschlossen sind, müssen wir wohl mit der LNT-Theorie leben. Aber das ist OK so, denn damit lässt sich erfahrungsgemäß recht gut arbeiten, auch wenn’s manchmal was umständlich werden kann und zu paradoxen Situationen führt … aber die kann man dann ja dann in SB-Artikel verwursten, wodurch sie zumindest noch einen kleinen Zweck erfüllen.
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