Ich mag die Anti-Atom(kraft)-Sonne sehr gerne, weil sie ein Teil meiner Kindheit war und der kleine Tobi die lachende, grellbunte Sonne immer schon toll fand. Jahre später muss ich mir natürlich eingestehen, dass die Anti-Atom(kraft)-Sonne totaler Schwachfug war. Naja, weil die Sonne ja ein großer heißer Gasball ist, der wenig anderes macht außer durch Atomkraft Energie (und Atommüll) zu produzieren. Sprich, das Logo macht das größte Atomkraftwerk unseres Sonnensystems zum Symbol gegen Atomkraft?! – Tja, offensichtlich ist das halt so 😉
Ja, natürlich weiß ich, dass die erste Assoziation der meisten Menschen mit der Sonne eben nicht “Kernenergie”, sondern etwas anderes ist. Aber genau darauf möchte ich ja hinaus. Ich bin mir eben bewusst, dass ich als Naturwissenschaftlerin anders denke als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das gilt auch für die meisten Stammleserinnen hier bei Scienceblogs, die in einem Nimbus zwischen den Sprachen des Wissenschaftsjournalismus und dem Normalsprech leben. Aber wir bemühen uns ja alle so zu kommunizieren, dass möglichst viele Menschen uns verstehen können. Nicht oder?
Dabei müssen halt entsprechende Abstriche gemacht werden. Wenn ich in meinen Artikeln von “Atomkraftwerk” spreche, dann meine ich idR. ein Kraftwerk, dass durch Kernspaltung von Uran Wärme bzw. Strom produziert. Auch wenn der Begriff natürlich falsch ist und man genausogut eine Windkraftanlage als “Atomkraftwerk” bezeichnen könnte. Immerhin treffen ja Atome auf die Rotorblätter und deren Energie wird in Strom umgewandelt. Oder wenn ich davon spreche, dass Uran annähernd doppelt so schwer ist wie Blei, dann meine ich damit natürlich, dass ein gleiches Volumen der jeweiligen Stoffe unterschiedliche Massen mit einem Verhältnis von ca. 9/11 hat – klar oder?
Diese Vereinfachungen fallen in die Kategorie “das ist soooooo nicht ganz korrekt”, aber faktisch falsch sind sie eben auch nicht und auch die Naturwissenschaftlerin muss sich eingestehen, dass sie recht pedantisch wirkt bzw. mutwillig eine andere Lesart gewählt hat als dies die Durchschnittsbürgerin tun würde. Ich könnte jetzt natürlich hingehen und von “Kernkraftwerken” schreiben. Das wäre zwar richtiger als “Atomkraftwerk”, aber damit entferne ich mich sprachlich von dem Durchschnitt der Bevölkerung, den ich ja durchaus auch erreichen will.
Wenn ich ein wissenschaftliches Paper, einen Antrag (Proposal) oder Abstract schreibe, dann sieht das ganze natürlich sehr viel anders aus. Hier wird jedes Wort dreimal umgedreht und es kommt sehr genau auf die Definition von bestimmten Begrifflichkeiten an. Vor allem weil es an der Front der Wissenschaft ja erst mal eine Weile dauert, bis sich eine bestimmte Definition etabliert hat. Ich hatte letztens noch eine recht angeregte Diskussion ob man ein bestimmten Phänomen als Spindichtewelle bezeichnen könnte, was darin verwurzelt war, dass meine Kölner Gruppe der Überzeugung war, man können es so bezeichnen, dies in Jülich aber wohl offensichtlich nicht der Fall ist und man dort eine andere Meinung hat. Wir waren uns beide absolut einig, was genau in dem entsprechenden Kristall passiert, aber eben uneins, ob dies nun die Definition einer Spindichtewelle erfüllt und konnten dies auch nicht in unserem Gespräch zufriedenstellend lösen. Sprich, obwohl wir von dem gleichen “Ding” geredet haben, konnten wir uns nicht auf ein Wort dafür einigen.
Viele Physikerinnen haben an solchen pedantischen Definitionen einen Heidenspaß und ich kann dem auch eine Menge abgewinnen. Darüber hinaus ist es ab einem bestimmten Arbeitsniveau auch unerlässlich, sich so präzise wie möglich auszudrücken. Das gilt aber ausdrücklich nicht für Artikel, die ich hier schreibe und veröffentliche und in diesem Kontext bin ich absolut bereit die Sonne als Symbol für die Natur zu sehen, welche in Opposition zur technischen, künstlichen Atomkraft steht. Ja, in meinem stillen Kämmerlein (oder auf Nachfrage in den Kommentaren *g*) denke ich mir schon meinen Teil dazu, aber diese Gedanken werden nur unter besonderen Umständen ihren Weg an die Öffentlichkeit finden. Ich kicher dann halt leicht, wenn ich die Anti-Atom(kraft)-Sonne sehe, aber halte dann auch meinen Mund und versuche nicht die Fahnenschwenkerin in der Demo rechts neben mir darüber zu belehren, dass sie das Bild eines riesigen leuchtenden Atomkraftwerks auf ihre Fahne gemalt hat 😉
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