Wieder zu Hause und kaum schlauer. Ich habe letzte Woche im Krankenhaus diverse neue Antibiotika bekommen, von denen einige auch antivirale Eigenschaften haben und das Fieber hat sich verzogen. Gleichzeitig waren die Kulturen etc. meist negativ, so dass wir nicht wirklich wissen, woran es gelegen hat. Da ich aber ein zuverlässiger Kerl bin und es schaffe, meine 21 verschiedenen Pillen jeden Tag zu managen und selber Fieber und Körpergewicht messen kann, darf ich wieder nach Hause. Juppie
Ich werde das Krankenhaus auch nicht wirklich vermissen, obwohl ich mittlerweile einen Schwungvollen, naja, nennen wir es “Handel”, mit der einzigen Ware angefangen habe, die ich zu bieten habe, Wissen über Strahlung. Wie ja schon erwähnt studiert ein Kumpel von mir gerade Medizin im dritten Semester in just dem Krankenhaus, in dem ich als Patient untergebracht bin. Nachdem er vor zwei Semestern halbwegs locker durch die Physikklausuren gekommen ist, steht nun noch Strahlenmedizin und bildgebende Verfahren auf dem Plan. Ich habe also die letzten Tage hauptsächlich mit armen gestressten Medizinstudenten in Nachhilfesessions verbracht, die mir als Dank für meine Dienste die ein oder andere Pizza oder nen Döner ins Krankenhaus schmuggeln.
Was mich dabei am meisten schockiert ist, wie die Mediziner alle Sachen von Röntgen-CT, Magnet-MRT bis Strahlentherapie oder Seed-Implantation in einen Topf werfen. Ich bin ja die Physik-Vorlesung für Mediziner gewohnt, wo sie alle klassische Physik, also alles außer Relativität und Quantenmechanik, in einem Semester durchprügeln, wofür die Physikstudenten 4 Semester Zeit haben. Aber das ist mal eine neue Qualität. Röntgen-CT ist was vollkommen anderes als Magnet-MRT und absolut nichts von alledem hat irgendwas mit Ultraschall zu tun, aber für die Mediziner ist irgendwie alles das gleiche, weil am Ende ein Bild rauskommt… und irgendwo an die Seite wird dann noch mal die Strahlentherapie gequetscht. OK, ich verstehe, dass ihr in eurem Zeitplan nicht mehr als eben dieses halbe Jahr dafür aufwenden könnt, aber das hält mich nicht davon ab, diese Oberflächlichkeit für bedenklich zu halten.
Das ganze hat bei mir zwei Erkenntnisse reifen lassen, deren erste Anzeichen ich schon vorher bei “meinen“ Ärzten auf der Station festgestellt habe. Zum einen ist der Großteil der Ärzte wesentlich näher an der (Bio)Chemie gebaut als an der Physik und zum zweiten geben sie alles Physikalische einfach nur in die Hände der Spezialisten und haben wenig Gefühl dafür, was am Ende bei rauskommt. Mit näher an der Biochemie meine ich die Benutzung von Medikamenten. Medikamente und deren Wirkung sind den Medizinern wesentlich vertrauter als physikalische Maßnahmen und wenn die Wahl zwischen Medikament (Chemo) und z.B. Bestrahlung besteht, dann wird idR. das Medikament bevorzugt. Diese Weichenstellung wird schon früh im Studium gelegt, wo der Fokus eben wesentlich stärker auf (bio)chemischen als auf (bio)physikalischen Prinzipien liegt. Letzteres machen hauptsächlich diejenigen, die nachher auch in das Spezialgebiet einsteigen wollen.
Das Verlassen auf die entsprechenden Radiologen und Nucularmediziner ist erstmal ja auch eine gute Sache und man kann mit Fug und Recht sein komplettes Arbeitsleben damit zubringen, sich in dem entsprechenden Bereich zu spezialisieren, ohne dass einem langweilig wird, aber es ist eben auch einen weitere Schritt von der eigenen Position entfernt als das Arbeiten mit Medikamenten. Das meine ich sowohl im wortwörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Für alle tollen Bilder oder Strahlentherapien muss man von der Station runter in den Keller zu den komischen anderen Leuten, eine rein physische Hürde – und lässt den Patienten in eine Black-Box stecken, bei der dann hinten was herauskommt, was eben auch noch mal eine psychologische Hürde ist. Naja, sowas fällt mir halt einfach so auf, ohne auch nur im entferntesten eine praktikable Lösung dafür zu haben.
Eine andere Sache, die mir noch so aufgefallen ist, kommt aber eher in systemischer Natur daher. Die allerneuesten, experimentellen, Millionen Euro Medizingeräte hinken mal mindestens 10 Jahre hinter den aktuellen Möglichkeiten der Technik hinterher. Das fällt mir halt sehr explizit bei den Teilchenbeschleunigern zur Strahlentherapie auf, kann aber wohl auf die meisten Bereiche erweitert werden. Die Technik, die in den modernsten Geräten der Uniklinik eingesetzt wird, finde ich bei mir in Jülich im Grabbelkeller auf dem Ablagestapel, wenn ich mal wieder schnell irgendeinen Detektor improvisieren muss. Systemisch ist die Sache daher, dass Medizingeräte eben immer eine recht lange Zeit von der Zulassung bis zum Einsatz brauchen. In der Zeit ist dann meist schon wieder eine aktuellere Version verfügbar und auch wenn dann vielleicht noch ein Softwareupdate nachgeschoben werden kann, so bleibt die Hardware doch dieselbe. Naja, konstruktiv werde ich da wohl eher wenig beitragen können, aber auffallen tut es mir dann eben schon und… zumindest ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, ist sich auch nicht jeder Mediziner dieser Tatsache bewusst.
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