Die Berufsgenossenschaft schreibt, dass meine Leukämie nichts mit meinem Umgang mit ionisierender Strahlung zu tun hat. Das ist zumindest einer der Briefe, die mich zu Hause erwartet haben, als ich gestern endlich wieder die Isolierstation verlassen durfte. Die Virenlast ist soweit runtergeprügelt, aber ich habe 10kg mehr auf den Rippen als noch vor einer Woche und diese 10kg extra Wasser im Körper tun dumme Dinge, vor denen ich euch hier größtenteils verschonen möchte. Belassen wir es dabei zu sagen, dass ich in meinem Beauty-Blog noch mehr tolle Kompressionsstrumpf-Bilder posten könnte 😉
Der Brief von der Berufsgenossenschaft hat mich aber direkt wieder aufgemuntert und die Lebensgeister bei mir geweckt. Zum einen, weil sie sich in kurzer Zeit annehmbare Mühe gegeben haben und zum anderen, weil die Begründung, warum die Leukämie nicht von meiner Strahlenexposition herrührt, 8 Seiten reinen Text mit einer entsprechend ausführlichen Beschreibung u.a. von Methodik und verwendeten Programmen umfasst. Außerdem ist sie von einer fachkompetenten Person geschrieben worden, die wusste, was sie tut… und sie hat mindestens zwei grobe, objektive Fehler *g*.
Diese Fehler kann man dem Verfasser auch noch nicht mal vorwerfen, denn für eine “handelsübliche”, strahlenexponierte Person sind seine Annahmen vollkommen richtig, aber meine Tätigkeit in der experimentellen Wissenschaft führt halt zu Ausnahmesituationen, die der arme Kerl einfach nicht einschätzen kann, ohne sich richtig tief in mein Spezialgebiet reinzuarbeiten. Und ob man das von einem Gutachter der Berufsgenossenschaft erwarten kann… werde ich herausfinden 😉 .
Ich denke, ich werde dem Bericht widersprechen und in dem entsprechenden Widerspruch die Fehler benennen und um Korrektur bitten. Im ersten Schritt unter uns Pastorentöchtern. Ob ich wirklich den ganzen Weg gehe und anwaltlich bzw. gerichtlich versuchen werde, die Anerkennung als Berufskrankheit durchzufechten… das weiß ich noch nicht. Da muss ich noch ein paar Nächte drüber schlafen. Denn unterm Strich bringt es mir kaum etwas, falls eine Berufskrankheit anerkannt werden würde. Ich würde ein paar Euro fuffzig an Zuzahlungen für Medikamente sparen, aber im Großen und Ganzen wäre es kein großer Unterschied (für mich), ob meine Behandlung nun von der gesetzlichen Krankenkasse oder der BG gezahlt wird. Für die Kasse bzw. BG wäre es wahrscheinlich schon ein Unterschied, denn was mittlerweile schon an Euros in mich reingeflossen ist, das schlägt def. im höheren sechstelligen bzw. niedrigen siebenstelligen Bereich zu Buche (danke an dieser Stelle noch mal an die Solidargemeinschaft). Daher werden die sich wohl schon ein wenig wehren, wenn ich’s drauf anlegen würde.
Ein weiterer signifikanter Nachteil ist, dass, falls die Berufskrankheit anerkannt werden würde, es bedeutet, dass wir bei unseren Arbeiten im Strahlenschutz etwas falsch gemacht haben. Da ich weiter in meinem Job arbeiten will, heißt das, dass ich mir damit selber ins Bein schießen und ggf. strengere Sicherheitsrichtslinien auslösen würde. Etwas, dass ich partout vermeiden will… mal ganz davon abgesehen, dass ich meinen Kollegen und Freunden in dem Bereich ggf. das Arbeiten schwerer machen würde… und wofür? Nur um Recht zu haben? Hört sich nach nem dummen Deal an. Wie gesagt, werde ich da noch mal drüber nachdenken müssen.
Für die fachliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten der BG werde ich hier in jedem Fall noch eigene Artikel schreiben. An dieser Stelle sei dazu nur angemerkt, dass das Gutachten aus zwei Teilen besteht. Im ersten Teil wird die Organdosis des roten Knochenmarks berechnet, die ich in meinem Berufsleben abbekommen haben (sie wurde mit 6mSv festgelegt). Im zweiten Teil wird dann epidemiologisch/medizinisch festgelegt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass besagte Organdosis die Krankheit ausgelöst hat.
Teil Zwei basiert auf Programmen, von denen ich keine Ahnung habe. Allerdings scheinen sie einfach nur überall ein paar Gauße draufzuwerfen, was ja quasi auch die Alltagsbeschäftigung jedes Neutronenphysikers ist. Trotzdem werde ich im Falle einer Gutachtenschlacht sicher die Ermittlung der Organdosis angreifen und nicht den nachfolgenden stochastischen Prozess. Denn die oben genannten zwei objektiven Fehler liegen natürlich auch in der Ermittlung der Organdosis, bei der eine Tritiuminkorporation ignoriert und eine Inkorporation von langlebigen Aktivierungsprodukten ausgeschlossen wurde.
Der Verfasser des Gutachten hat, soweit ich das nachvollziehen konnte, mehr oder weniger die gleiche Ausbildung wie ich. Mit dem großen Unterschied, dass er (die Kollegin, die mich im Krankenhaus besucht hat, war eine (Geo)Physikerin, aber der Verfasser des Gutachtens war ein Mann) eben von der “Standard”-strahlenexponierten Person ausgeht, während ich unser Spezialgebiet mit den ganzen Besonderheiten halt schon ziemlich gut kennen. Ich fürchte, ich werde da einiges an Arbeit verursachen, falls ich mich entscheiden würde, mit den Gutachtern die Klingen zu kreuzen.
Ansonsten genieße ich erst mal wieder die Freiheit und das gute Essen. Denn ich nähere mich nun Tag 180 nach der Transplantation und nehme mir deshalb auch schon das Recht zu gewissen, vorher verbotenen, Lebensmitteln heraus. Es ist wirklich der Himmel auf Erden, wenn man auf sein Frühstücksbrötchen eine Scheibe frische Tomate und ein Salatblatt mit einem Kleks Mayo geben kann… ihr habt ja keine Ahnung. 😉
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