Wenn mich ein Masern-Kind ansteckt, dann sterbe ich… nein, das ist kein Witz. Gerade erst musste ich zweieinhalb Wochen zurück auf die Isolierstation im Krankenhaus, weil ich mir einen blöden, normalen, 08/15 Herpesvirus eingefangen hatte. Die Behandlung erfolgte mit so heftigen Medikamenten, dass ich 10kg an Wassereinlagerungen, einen stark erhöhten Blutdruck und diverse andere unschöne Nebenwirkungen bekommen habe, von denen ich euch hier die meisten ersparen möchte.
Falls mich nun ein Kind mit Masern ansteckt, weil deren Eltern es nicht geimpft haben, dann bin ich entweder direkt tot oder liege das nächste halbe Jahr auf der Isolierstation mit Medikamenten, gegen die das Herpesvirus-Medikament wie ein laues Sommerlüftchen aussieht.
Mein Name ist Tobias und ich bin einer von diesen ominösen Leuten, die die vielbeschworene “Herdenimmunität” brauchen. Ich habe Leukämie und gerade von einem tollen Spender ein zweites Leben – in Form eines neuen Immunsystems – geschenkt bekommen. Da dieses neue Immunsystem aber eben noch “neu” ist, zählen alle meine Impfungen und erarbeiteten Resistenzen nicht mehr und ich bin total anfällig gegen jede Form von Virus, Bakterium oder Pilz. Zeitgleich kann ich noch nicht selber geimpft werden, weil mein neues System dazu noch nicht in der Lage ist.
Deshalb bin ich auf die Hilfe der Allgemeinheit, der Gesellschaft angewiesen. Impft euch selber und eure Kinder und stoppt Viren, bevor sie zu mir kommen. Bitte. Ich wäre echt angefressen, wenn ich den Krebs besiegen würde, nur um dann an einer dummen Kinderkrankheit zu sterben, weil Eltern komischen Gerüchten aus dem Internet mehr vertrauen als ihren Ärzten.
Ich habe schon mal das ein oder andere Wort aufs digitale Papier gebracht und kann meinen Ängsten mit einem Text wie diesem Ausdruck verleihen. Meine Leukämie befällt allerdings am häufigsten Kinder wie die beiden 10- und 12-Jährigen, mit denen ich die letzten zweieinhalb Wochen auf der Isolierstation verbracht habe. Die sind sogar noch mehr von ungeimpften anderen Kindern bedroht als ich, können diese Angst aber nicht so gut ins Internet hinausschreien. Also in dem Sinne “Denkt an die Kinder” und impft sie.
PS: Ja, dieser Text unterscheidet sich deutlich von meinen normalen Artikel, in denen ich mich um wissenschaftliche Objektivität, Neutralität und eine Portion Ruhe und Gelassenheit bemühe. Er ist aus dem Moment entstanden, als mir auf Facebook mal wieder eine dieser Impfdiskussionen an den Kopf geflogen ist und ich eben gerade besagte Infektion mit längerem Krankenhausaufenthalt hinter mir hatte. Sprich, der obige Text ist mein persönlicher Rant, der emotionalen Situation geschuldet, und wird sich wahrscheinlich nicht so schnell wiederholen. Ich will ihn aber trotzdem im Internet wissen, um weiter dem Klischee vom Wissenschaftler im Elfenbeinturm (also dem Kollegen im Büro neben mir) entgegenzuarbeiten. Denn trotz aller Polemik und Übertreibung hat obiger Text doch einen sehr wahren Kern und meine Angst ist sowohl vorhanden als auch auch zu einem guten Teil berechtigt.
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