Jahrestag – Also ein Jahr ist jetzt jetzt her seit der denkwürdigen Diagnose. Das Prädikat “die mein Leben veränderte” möchte ich noch nicht benutzen, denn ich bin noch ein gutes Stück davon entfernt, mit Abstand auf die ganze Sache zurück gucken zu können. Tja, der Verlauf ist weiterhin annähernd ideal und außer ein paar kleineren Infektionen und Graft-vs-Host-Reaktionen meines neuen Immunsystems nach der Stammzellenspende bin ich der sprichwörtliche Musterpatient. Ich bin jetzt ungefähr bei Tag 200 nach der Transplantation. Das heißt, eigentlich sollte ich die Immunsuppresiva schon los sein, aber wie in den vergangenen Einträgen beschrieben, hat sich das bei mir noch mal etwas verlängert. Sprich 25mg von ehemals 250mg Immunsuppresiva (Ciclosporin) täglich nehme ich immer noch, aber wenn alles gut geht, dann kann ich die auch in der nächsten Woche absetzen.
Danach brauche ich dann noch etwas Zeit, bis ich die Antibiotika los bin und dann kann ich mich wieder impfen lassen, gegen Masern und Co… Wie das mit Reha und Muskelaufbautraining aussieht, kann ich jetzt auch noch nicht so genau sagen, aber die 20 Kilo, die ich im Krankenhaus gelassen habe, machen sich schon bemerkbar. Tja, kommt auf die Liste.
Was kann ich jetzt so rückblickend sagen?
Teilweise war es schon eine harte Zeit, aber ich hatte immer das Gefühl, gut betreut und informiert zu sein. Darüber hinaus hatte ich immer noch Reserven und auch wenn es psychisch und physisch doch auch schon mal öfter an meine Leistungsgrenzen herangekommen ist, so hatte ich nie das Gefühl, dass es mir über den Kopf hinauswächst. Ich bin mir durchaus bewusst, dass das ein riesiger Luxus ist, denn in meinen langen Krankenhausaufenthalten habe ich natürlich auch eine Menge anderer Patienten kennengelernt, die echt wesentlich mehr Probleme haben als ich. Von Kindern, die teilweise halt einfach nicht verstehen können, was da mit ihnen passiert, bis zu vielen Erwachsenen, die schon aufgegeben haben und nur noch mit dem Strom schwimmen, das machen, was die Ärzte von ihnen wollen und abwarten. Da erlaube ich mir jetzt auch kein Urteil zu, denn auch wenn ich physisch und im übertragenen Sinne quasi im Nachbarbett liege, so ist es doch für jeden etwas anderes.
Dazu kommen dann natürlich die Angehörigen, bei denen wohl das größte Problem darin liegt, dass sie eben nichts oder nur kaum irgendwas tun können, um zu helfen. Diese Hilflosigkeit habe ich als Patient nie gehabt, weil es immer irgendeine Untersuchung oder Heilstrategie gibt, die man irgendwie unterstützen kann. Das haben Angehörige meist nicht. Andererseits kann ich mir jetzt auch nicht irgendwelche Placebo-Aufgaben überlegen, um Angehörige zu involvieren … wenn jemand eine gute Idee hat, immer heraus damit.
Wovon ich weiter hellauf begeistert bin, ist die Betreuung innerhalb des deutschen Gesundheitssystems im Allgemeinen und meiner Klinik und den entsprechenden Stationen und Ärzten im Speziellen. Vor allem die aktuellen Diskussionen im amerikanischen Gesundheitssystem, die ich aus Interesse und Schadenfreude mitverfolge, machen mir noch einmal bewusst, dass das tolle Solidarsystem, welches mich behandelt, eben gar nicht so selbstverständlich ist. Ohne die Investition von nahezu einer Millionen Euro in meine Person durch die Solidargemeinschaft (danke an dieser Stelle noch einmal) wäre ich wahrscheinlich schon tot und auch ein Mittelweg wäre nicht gerade angenehm gewesen. Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Promotion in den USA gemacht hätte und dann dort erkrankt wäre, ist durchaus gegeben. Da habe ich noch mal echt Glück gehabt. Daher meine Nachricht an euch… auch wenn man viel über das deutsche Gesundheitssystem schimpfen kann: Im Zweifelsfall wird es für euch da sein und, wenn möglich, den Hintern retten. Dafür kann man auch mal ein bisschen zu viel deutsche Bürokratie ertragen 😉
Ich habe im letzten Jahr auch viel gelernt über Themen, in die ich mich unter normalen Bedingungen nicht mehr eingearbeitet hätte. Ich hatte zwar schon immer ein Faible für Medizin, bin ausgebildeter Rettungssanitäter und hatte Medizin im Studium als Nebenfach, aber das wäre es dann auch gewesen. Ohne die Leukämie hätte ich mich sicher nicht in der Tiefe mit Genetik und dem menschlichen Immunsystem auseinandergesetzt. Als Physiker in der Forschung neigt man dazu, sich immer mehr zu spezialisieren und ich hätte im gesunden Zustand sicherlich das letzte Jahr damit verbracht, mich weiterhin auf niedrigdimensionale Neuronenmoderatoren zu spezialisieren. Das hat natürlich auch seine Daseinsberechtigung und das entsprechende Forschungsgebiet weiter gebracht, wäre außerhalb der engen Community wahrscheinlich aber nur für ein paar Handvoll Leute interessant.
Daher hat vielleicht sogar meine Schreibe hier in SB davon profitiert. Denn auch wenn ich immer eine lange Liste an Artikeln vor mich herschiebe, die ich noch mal machen will, so musste ich mir in der Zeit vor der Diagnose doch schon mal das ein oder andere Thema, über das man mal schnell was schreiben konnte, an den Haaren herbeiziehen. Das ist jetzt dank meines unfreiwilligen Ausflugs in die Welt der Medizin auch passé und das aktuelle Repertoire dementsprechend erweitert worden. Ich weiß, dass das kein Anreiz für die Hardcore-Detektorenbastler hier ist, aber um ehrlich zu sein war mein Blog dafür ja auch noch nie wirklich da.
Tja, mit jedem Tag geht es weiter bergauf. Ich werde wieder leistungsfähiger und kann auch die ein oder andere Zeile digitale Tinte mehr aufs Papier schmieren. Meine berufliche Zukunft und die bei SB hat unterm Strich ein einjähriges Sabbatjahr eingelegt. Die Frage, wie es in Zukunft weitergehen wird, steht jetzt immer noch an dem gleichen Punkt wie vor einem Jahr, so dass wir einfach mal sehen müssen, was dabei herumkommt.
Beste Grüße
Tobi
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