Die Berufsgenossenschaft hat die Anerkennung meiner Leukämie als Berufskrankheit abgelehnt. Dies war jetzt nicht weiter verwunderlich und ich habe mir etwas Zeit genommen um zu überlegen ob ich dagegen vorgehen möchte und falls ja, in welcher Form. Etwas Recherche und eine Beratung beim Fachanwalt haben mich dazu gebracht erst mal Widerspruch gegen den Bescheid der BG einzulegen um meine Fristen und Rechte zu wahren und dann Schritt für Schritt weiter zu gehen.
Grundsätzlich ist das Ganze eine Art Sozialverfahren. Das heißt es ist kein Kampf zwischen zwei Parteien (die BG und Ich) sondern mehr ein gesellschaftlich initiiertes Verfahren. In der Realität läuft es dann aber erfahrungsgemäß doch wieder auf einen Streit zwischen (Versichertem und BG) hinaus, wobei der Staat dann die Rolle als neutraler Mediator übernimmt. Mit der Ablehnung als BK hat die BG quasi den ersten Stein geworfen und nun habe ich gerade entschieden den Handschuh aufzunehmen und zumindest die ersten Schritte des Tanzes zu begehen. Diesen Schritt werde ich weiter unten noch weiter ausführen, weil es ja gerade das Interessanteste ist, was ich erzählen kann. Aber vorher werde ich noch kurz das gesamte Verfahren erklären.
Mein begründeter Einspruch (sobald ich ihn verfasst habe) landet dann erst mal wieder bei der BG bzw. deren Widerspruchsabteilung. Diese entscheidet dann erneut, ob sie meinen Einspruch gelten und damit die BK anerkennen will oder ob sie weiterhin auf Ihrer Ablehnung beharrt. In letzterem Fall müsste ich mir dann überlegen, ob ich den Weg vors Sozialgericht gehen möchte oder ob ich es dabei belassen will. Bei dem ganzen Verfahren ist die BG, wie schon gesagt, als Teil der Sozialgemeinschaft unterwegs und daher zur Objektivität und Neutralität verpflichtet. Dabei steht für sie natürlich die Frage im Raum ob die hohen Kosten nun von Ihnen oder der gesetzlichen Krankenkasse getragen werden sollen und da wird in der Realität sicher auch der Eigennutz ein Wörtchen mitzureden haben. Vor dem Sozialgericht sieht das dann auch wieder ähnlich aus. Sprich Gutachter etc. werden von dem Gericht bestellt und nicht von einer der Parteien. Das Gericht muss dann letztendlich entschieden welche der beiden verschiedenen Solidargemeinschaften(BG oder Krankenkasse) die Kosten trägt bzw. Ob es eben (rechtlich gesehen) eine BK ist oder nicht.
Dabei meine ich mit “rechtlich gesehen” natürlich das das ganze ein stochastischer bzw. gesellschaftlicher Prozess ist. Auch bei jedem Bandscheibenvorfall kann man nie 100% sagen ob es von der Arbeit oder dem normalen Leben kommt. Das gilt für die Leukämie noch in wesentlich größerem Maßstab, als für eine durchschnittliche BK. Unterm Strich ist es dann einfach nur Konvention. Grundsätzlich ist es mir recht egal, welche der beiden Sozialgemeinschaften die Verantwortung für mich übernimmt. Würde es die BG machen ergäben sich damit für mich zwar ein paar kleinere Vorteile, aber ich habe hier ja schon oft genug erwähnt, wie zufrieden und glücklich ich mit der Betreuung durch die normale gesetzliche Krankenkasse bin, die nichts wirklich vermissen lässt.
Meine eigentliche Motivation die ersten Schritte des Rechtsstreites zu begehen liegen darin etwas mehr Licht auf den Zusammenhang zwischen Leukämie und ionisierender Strahlung zu werfen. Immerhin ist das ja schon seit Jahren vor der Erkrankung mein Steckenpferd gewesen und ich interessiere mich dafür. Aber zu dieser Motivation und auch den Auswirkungen für meine direkte Arbeitsstelle kann und werde ich sicher auch noch mal einen eigenen Artikel schreiben.
Aber mal zurück zu der eigentlichen Ablehnung. Diese kam mit einem entsprechenden Gutachten der Abteilung Strahlenschutz der BGETEM und das finde ich natürlich total toll. Diese ist recht fachkundig verfasst worden, aber hat mehr als nur einen groben Fehler. Das kann man dem armen Mitarbeiter der BGETEM noch nicht mal wirklich vorwerfen. Der hat sich einfach kaum über meine wirklichen Tätigkeiten informiert und sein Gutachten auf die normalen Standard 08/15 Annahmen gegründet. Sprich man kann ihm höchstens vorwerfen, dass er faul gewesen und sich das Leben etwas einfach gemacht hat. Nunja, die Alternative wäre gewesen, dass er sich wirklich in die Materie meiner Werke und Experiemente reinliest, was sicher ordentlich Arbeit bedeutet hätte. Ich meine ich habe die letzen Jahre nicht viel anderes gemacht, als neue Methoden zur Neutronen-Strahlungserzeugung und Verwertung zu erforschen. Das wird für den Gutachter nicht allzu leicht werden, da er nun durch den begründeten Einspruch dazu gezwungen ist ebenfalls mit den ganz konkreten Tätigkeiten und Zahlen zu arbeiten und sich das Leben nicht mehr mit Pauschalanahmen einfach machen kann.
Die Ablehnung der BG besteht grundsätzlich aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird eine Annahme über die Organdosis im Knochenmark angestellt. Sprich wieviel Strahlung mein Knochenmark während meiner Arbeit zusätzlich abbekommen hat. Im zweiten Teil wird dann mit speziellen epedemiologischen Programmen eine Bewertung vorgenommen wie hoch die Wahrscheinlickeit ist, dass die Krankheit durch diese (Organ)Dosis verursacht worden ist, oder nicht. Dabei ist dann die politische Konvention, falls das Programm eine Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50% angibt dies als Berufskrankheit anerkannt wird. Ich habe mich ja schon oft genug hier darüber ausgelassen, dass die Dosis in mSv nur eine grobe Näherung ist und die Auswertung der Programme ist nun wirklich aus Sicht eines Physikers zur Hälfte politische Konvention, die mit eine bischen Statistik und epedemiologischen Daten gefüttert wird.
In diesem Beispiel wurden die Programme NIOSH-IREP und ProZes benutzt. Fundamental benutzen diese Programme Datensätze aus Studien die den Zusammenhang zwischen einer Dosis und Leukämieerkrankung herstellen und extrapolieren damit eine Verursachungswahrscheinlichkeit. Da die härtesten Daten bzgl. Leukämie und Strahlung immer noch von den Atombombenabwürfen in Japan stammen haben die auch dieses Mal wieder den größten Einfluss auf die Rechnungen. Das heißt von den sehr hohen Dosen, die damals entstanden sind, extrapoliert man nach dem linearen Modell (LNT) in den Niedrigdosisbereich um dann meine sehr niedrige Dosis mit einem entsprechenden niedrigen Risiko zu verknüpfen.
Über die Vor- und Nachteile des LNT-Modells habe ich mich hier ja schon oft genug ausgelassen, aber auch dem sporadischen Leser sollte hier direkt auffallen, dass es wissenschaftlich nur mit sehr großen Zahnschmerzen möglich sein sollte ohne weiteres einen so einfachen Zusammenhang zwischen Atombomben und Niedrigdosen im Arbeitsalltag herzustellen. … Nunja, es ist leider das Beste, was wir haben und wir müssen halt damit arbeiten … zu einem gewissen Grad. Denn gerade in den letzten Jahren sind zum Beispiel mit der INWORKS Studie von 2015 ein paar neue Datensätze speziell für den Niedrigdosisbereich zur Verfügung gestellt worden. Ob und wenn ja, in welcher Weise, diese in den Programmen benutzt worden sind kann ich zur Zeit noch nicht sagen. Da muss ich mich auch erst mal hereinarbeiten und das wird bei meiner momentanen Lage sicherlich ein paar Wochen bzw. Monate dauern.
Das ist im ersten Schritt aber auch gar nicht wirklich notwendig, denn entscheident ist sowieso hauptsächlich der erste Teil der Ablehnung, wo meine Organdosis berechnet wird. Diese wurde von der Fachabteilung der BGETEM mit 6mSv über den gsammten Beschäftigungszeitraum angegeben, was sehr wenig ist und dann, sobald man das Programm damit füttert eine eine niedrige Verursachungswahrscheinlichkeit von max. 4,2% angibt. So ein Ergebnis hätte ich auch ohne Programm hervorraten können, denn 6mSv sind gerade mal so viel, wie ein Skilehrer in den Alpen im gleichen Zeitraum abbekommen hätte. Damit qualifiziere ich mich beim besten Willen nicht für eine Berufskrankheit und somit ist der offensichtliche Weg natürlich die Höhe der Dosis bzw. deren Ermittlung anzuzweifeln.
Zum Glück hat mir das Gutachten für diese Kritisierung ausreichend Spielraum eingeräumt und Angriffsflächen in der Größe von Scheunentoren offen gelassen. Wie oben schon gesagt, kann man das dem armen Verfasser auch nur bedingt vorwerfen, da er einfach nur faul gewesen und die pauschalen Annahmen von meinem Strahlenpass abgeschrieben hat ohne zu hinterfragen, was ich wirklich getan habe. Er hat die offiziellen Werte übernommen und ein paar mSv für nicht dokumentierte Tätigkeiten ergänzt um, wie im Strahlenschutz üblich, konservative Annahmen zu treffen. Eine nicht dokumentierte Exposition oder Inkorporation hat er ausgeschlossen, weil die jeweiligen Strahlenschützer (und ich) keine solche dokumentiert haben. Das sowas schon für normale Arbeitssicherheit nicht gemacht werden sollte dürfte offensichtlich sein, aber gerade im Strahlenschutz ist es besonders wichtig, dass man sich eben nicht auf existierende Maßnahmen verlässt, sondern diese immer kontinuierlich hinterfragt. Vor allem wenn es um eine Doktorarbeit geht, die ja per Defintion etwas Neues und noch nicht dagewesenenes darstellt.
Im Detail habe ich das mal auf ein paar pdf Seiten zusammengeschrieben und für euch eine anonymisierte Version hier hochgeladen. Grundsätzlich habe ich viele verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine undokumentierte Exposition oder Inkorporation hätte stattfinden können. Die Wahrscheinlichkeit ob eine solche tatsächlich stattgefunden hat muss man nun der natürlichen Wahrscheinlichkeit meiner Form der Leukämie gegenüberstellen und dann erhält man auch so etwas wie eine Verursachungswahrscheinlichkeit, aufgrund derer die Einstufung als Berufskrankheit erfolgen kann. Der Nachteil ist natürlich, dass dies wesentlich schlechter zu quantifizieren ist, als eine Zahl aus dem Strahlenpass abzuschreiben. Aber das ist eines der inherenten Grundprobleme im Strahlenschutz und wird in der Regel mit einer Worst Case-Rechnung beantwortet. Das heißt man nimmt den schlimmsten Fall einer Exposition oder Inkorporation an und rechnet dann auf dieser Basis weiter. Wenn man das in meinem Fall macht, dann bekommt man auch eine Organdosis von mehreren hundert mSv statt nur 6mSv, was dann wiederum eine entsprechend hohe Verursachungswahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde.
Ich bin jetzt mal gespannt, wie die “Gegenstrategie” der BG aussehen wird. Im Allgemeinen kann ich mir zwei Vorgehensweisen vorstellen. Zum einen können sie sich jeden einzelnen Punkt von mir vornehmen und damit eine entsprechende Dosis abschätzen, die dann (mit der entsprechenden Begründung) wohl niedriger ausfallen wird, als ich sie angesetzt habe. Das würde dann ggf. in einer höheren Verursachungswahrscheinlickeit münden. Zum anderen könnten sie meine Methode anfechten und argumentieren, dass nicht dokumentierte Ereignisse vollständig (oder mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit) ausgeschlossen werden können. Letzteres würde mir am liebsten gefallen, weil ich mich dann leicht in einer Diskussion über Methodik und konkrete Mess- und Strahlenschutzmethoden verlieren kann. Das würde mir wesentlich mehr Spaß machen, als in erstem Fall wie am Fischmarkt um jedes mSv zu feilschen. Aber da lasse ich mich erst mal überraschen, was die mit meinem Widerspruch anfangen werden. Da habe ich alle Zeit der Welt. Ob ich dann wirklich vor Gericht ziehen werde wird wohl nicht nur von meinem beruflichen und privaten Interesse an dem Fall abhängen, sondern auch von meiner beruflichen Situation zu dem Zeitpunkt. Langeweile habe ich zwar seit meinem 16ten Lebensjahr nicht mehr gehabt, aber ich habe aktuell doch wesentlich mehr Zeit für solche Späränzchen zur Verfügung, als wenn ich wieder voll im Labor stehe. Naja, wir werden sehen und ich verspreche euch hier soweit wie möglich auf dem Laufenden zu halten, was den Fortschritt angeht. Vielleicht nützt mein Geschreibe ja auch noch jemand anderem der sich in einer ähnlichen Position befindet und dann wäre das die digitale Tinte allemal wert gewesen.
Begründeter Wiederspruch gegen die Beurteilung der BG .pdf
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