Es gibt fiese Krankheiten und einige davon können durch ionisierende Strahlung hervorgerufen werden. Oftmals verlassen sich die betroffenen Personen dann nicht nur auf die Meinung ihrer persönlichen Ärzte, sondern gehen selber im Internet und anderen Informationsangeboten auf die Suche, um sich selber zu helfen. Schon bevor ich als Strahlenphysiker selber an Leukämie erkrankt bin, habe ich über meinen Blog regelmäßig Anfragen wegen ganz konkreter Fälle bekommen und seit ich mein Leukämietagebuch schreibe und mein Repertoire und Schwerpunkt dementsprechend erweitert habe um so mehr.
Dabei ist das Ganze aber alles andere als einfach, denn die Leute, die über eine Suchmaschine oder einen Link in einem Forum zu mir finden, haben in der Regel sehr unterschiedliche Fälle und Probleme und auch eigene Vorgeschichten und Lebenssituationen. Da ist alles dabei, von der Mutter, die nach einer neuen Strahlentherapie für ihr krebskrankes Kind sucht, bis zum Verschwörungstheortiker, der von Geheimdiensten mit Strahlung beschossen wird. Alle diese Fälle haben ihre Daseinsberechtigung und selbst so manch eine Verschwörungstheorie hat durchaus einen wahren oder zumindest interessanten Kern.
Wie das “Teil 1” oben schon andeutet, werde ich über die folgenden Links mal ein paar Nachschlageseiten aufbauen, mit Do´s und Dont´s bei der Kommunikation mit Fachexperten (wie mir), Medizinern und Behörden und dann werde ich direkt mit einem super Beispiel in den Kampf um die Meinungshoheit einsteigen. Dazu hat mir ein Mann, der hier als User “NHL-Opfer” zu meinen Kommentarzeilen gefunden hat, freundlicherweise seinen Fall zur Verfügung gestellt, in dem er an Krebs erkrankte und eine Nagelpilzbehandlung mit Strahlung in den 60er Jahren für diese Krankheit verantwortlich macht.
Das Wichtigste ist erstmals, dass man nie mit 100%Sicherheit sagen kann, dass eine bestimmte Strahlenexposition mit einer bestimmten Krankheit zusammenhängt. Das sind alles immer nur Wahrscheinlichkeiten. Aber man kann eben eine Zusammenhangswahrscheinlichkeit angeben und wenn man sagen kann “Die Bestrahlung war mit 95%-Sicherheit Auslöser für die Krankheit”, dann ist das was ganz Anderes, als wenn man sagen muss “die Bestrahlung hat nur mit 4%-Wahrscheinlichkeit zu der Krankheit geführt”. Offizielle Behörden wollen meist eine bestimmte Wahrscheinlichkeit auf dem Papier sehen und erkennen dann z.B. ab 50% Verursachungswahrscheinlichkeit die Krankheit an, zahlen Entschädigungen, eröffnen Verfahren etc. pp.
In dem Beispielfall ist bei einem Mann ein Non-Hodkin-Lymphom diagnostiziert worden (Details im .pdf). Dies ist eine Art Krebs, die das lymphatische System befällt. Es kann wie alle anderen Krebsarten auch durch ionisierende Strahlung verursacht werden und/oder natürlich auftreten. Da er als Kind in den 60ern eine Nagelpilzbehandlung wahrscheinlich mit einer Strahlenquelle bekommen hat, macht er diese ursächlich dafür verantwortlich und sucht nach Möglichkeiten, dies nachzuweisen. In den Kommentaren (und auch wohl anderen Foren) ist dies aber schnell abgedriftet, weil auch von staatlichen Vertuschungsaktionen und Mordanschlägen geredet worden ist, wodurch sich viele wissenschaftsorientierte Leser hier viel zu schnell an unhaltbare Verschwörungstheorien bis hin zu ins Lächerliche übersteigerte Flachwelt-Zion-Mythen erinnert sehen. Daher fange ich erst mal mit Fakten an, die in dem Fall zu 90% oder mehr wahr und undiskutabel sind:
- Es gibt eine klar definierte Krankheit (NHL mit eindeutigem medizinischen Befund)
- NHL kann, wie andere Krebsarten auch, durch ionisierende Strahlung verursacht werden
- NHL kann langwierig und tödlich verlaufen
- Der Patient hat in den 60ern eine Behandlung (nicht klar mit was) wegen Fußpilz bekommen
- In den “wilden” 60er Jahren hat man Behandlungen mit ionisierender Strahlung gemacht, die man heute so nicht mehr machen würde, weil das Gesundheitsrisiko als zu hoch für einen möglichen Vorteil angesehen wird.
Dann stelle ich dem gegenüber einige Behauptungen des Patienten, wo ich mit Sicherheit von über 90% sagen kann, dass sie falsch sind:
- Die Fußpilzbehandlung erfolgte nicht mit einer Neutronenquelle, sondern mit etwas anderem. Mehr Informationen habe ich in den Kommentaren hier und hier gegeben. Ich bin einer der 100 oder 1000 absoluten Experten in Deutschland auf dem Gebiet kleiner Neutronenquellen. Ich weiß, wovon ich rede und bin mir sicher.
- In Erlangen hat es bei Siemens keine Toten durch die Herstellung von Neutronenquellen gegeben. Zumindest keine direkten Toten per Strahlenkrankheit, sondern “bestenfalls” in langfristig per erhöhtem Krebsrisiko. Das ist selbst in den “wilden” 60ern ausreichend dokumentiert worden.
Alle anderen Vermutungen und Behauptungen liegen irgendwo dazwischen. Ich könnte jetzt Vermutungen anstellen, welche Strahlenquelle eingesetzt worden ist und mit welchen Aktivitäten, aber da ist immer viel Vermutung dabei. Das sind alles keine harten Fakten und kann daher eben nur Anhaltspunkte geben. Ein professioneller Gutachter kann diese Anhaltspunkte bewerten und sagen, wie das mit Strontiumquellen, Chromosomenabberation etc. pp. zu bewerten ist. Aber das kann ich hier per Ferndiagnose im Internet nicht leisten und es erfordert einiges an Arbeit.
Recht schädlich im Umgang mit Behörden und Experten im Internet ist es, zu viele Emotionen in die Bewertung einfließen zu lassen. Ob jetzt ein Beamter mit der “Hand auf den Tisch” geschlagen oder der Ärztin “bei gerötetem Gesicht entsetzt geschüttelt schreiend mit “Nein!!! […]” ein Kronleuchter aufging, mag für den Patienten zwar extrem wichtig sein, aber das will weder Behörde noch Experte wissen. Diese Informationen sind für eine objektive Beurteilung der Situation schädlich.
In diesem speziellen Fall kann halt jetzt von einer Infrarotbestrahlung und natürlicher NHL bis hin zu einer richtigen Verstrahlung mit einer Co60-Quelle alles passiert sein. Mein “Expertenwissen” war also gerade mal dafür gut, ein paar von den Extrempositionen vom Tisch zu nehmen. So wird das leider bei den meisten Fällen sein. Aber vielleicht hilft dieses bisschen ja schon mal einen Schritt weiter.
Als ich mit meiner Strahlenkrankheit, Blut aus der Lunge hustend, auf der Isolierstation gelegen habe, sind mir so manche Gedanken durch den Kopf gegangen, unter denen auch viele der Patienten hier leiden. Angst, Schuldzuweisung und vieles mehr. Psychologische/therapeutische Betreuung, in meinem Fall durch die Psychoonkologie, will hier viel helfen und das kann ich nur wärmstens empfehlen. Im Zweifelsfall erst mal Ruhe bewahren und gesund werden, bevor man irgendwelche Behörden verklagt.
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