Ich habe nach einer sehr hohen Strahlendosis eine Woche lang Blut gehustet und im Bett am Morphintropf gehangen. Ich weiß, wie es ist, nur jeden zweiten Gedanken klar fassen zu können und gleichzeitig mit der Angst klarzukommen, dass, was da passiert, irgendwie überstehen zu müssen. Damit bin ich aber als Strahlenphysiker und potentieller Gutachter/Experte einer von Wenigen. Sachbearbeiter auf Ämtern, Gutachter in Instituten, Justizbeamte und wissenschaftsbegeisterte Menschen in Foren haben diese Erfahrung (mit ein paar Ausnahmen) nicht … und das ist gut so.

Nur wenn man die Emotionen und menschlichen Schicksale hinten anstellt, dann können ordentliche, sachliche und objektive Urteile gefällt, Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden. Wenn wir unseren Ängsten die Oberhand überlassen, dann enden wir im Chaos und es wird der Gesellschaft als solches schlechter gehen. Daher will ich von Anfang an eine Lanze brechen für die kranken Menschen, die eben gerade an einem wirklichen Tiefpunkt schreiben, diskutieren, berichten und ebenso für die Offiziellen, die objektiv sein wollen, sollen und müssen.

  1. Gesundheit ist das Wichtigste. Bevor ihr loslegt und einen Schuldigen dingfest macht, eine Behörde zum Eingreifen bringt oder jemanden verklagt, seht erstmal zu, dass es euch gut geht. Akute Gefährdungssituationen müssen entschärft sein und Medikamente müssen stabil eingestellt sein. Klar gibt es genug Krankheiten, die sehr lange dauern und tendenziell immer schlimmer werden. Aber auch diese haben stabile Phasen (und wenn auch nur für ein paar Tage) und Achterbahnfahrten, wenn neue Medikamente oder Symptome dazu kommen. Seht zu, dass ihr nur in den stabilen Phasen was tut und sonst die Ressourcen zur Erholung und Heilung einsetzt.
  2. Holt euch psychologische Hilfe. Das sind die besten Verbündeten, die ihr haben könnt. Therapeuten, Psychiater und Psychoonkologen helfen mit den Ängsten besser fertig zu werden, die alle ganz natürlich in einer solchen Situation haben. Wenn man mit diesen besser klar kommt, dann hat man viel mehr Ressourcen für Heilung und letztendlich auch für “den (Gegen)angriff” zur Verfügung.
  3. Einen Freund: Es ist genauso, wie wenn man mit dem Ex-Partner per Brief und Mail um das Sorgerecht der zuvor noch verhassten Zimmerpflanze streitet. Dann geht es plötzlich nicht mehr um die Zimmerpflanze, sondern alle Emotionen kochen hoch und beide werfen sich nur noch Beleidigungen und die kleinsten Kleinigkeiten an den Kopf, die in der Beziehung schief gelaufen sind. Da braucht ihr einen guten Freund und dem gebt ihr dann alles, was ihr schreibt, im Internet verfasst und sonstwie in die Welt hinaustragt, erst mal zum drüberlesen. Wenn der dann sagt: “Ne, das kannste aber so nicht sagen”, dann hört auf den und schreibt es notfalls noch mal neu.
  4. Holt euch Hilfe: Am besten Selbsthilfegruppen und Organisationen wie das rote Kreuz oder Greenpeace. Zur Not irgendwelche Diskussionsforen im Internet (wie diese hier). Aber Vorsicht, da treiben sich die wildesten komischen Gesellen (wie ich) herum, von denen man nie wirklich wissen kann, wer sie sind oder was sie eigentlich wollen. Wir Menschen sind Herdentiere und die Gemeinschaft macht uns stark. Holt Hilfe.
  5. Bleibt ruhig: Bei jeder “Attacke gegen eine Behörde” lasst dem “Gegner” eine Rückzugsmöglichkeit und setzt ihm nicht die Pistole auf die Brust. Wenn ihr merkt, dass eine Behörde mauert, abblockt, sich unendlich lang Zeit mit der Bearbeitung lässt… dann lasst sie. Ruft nicht täglich einen Sachbearbeiter an, sondern nehmt eine Auszeit und überlegt in Ruhe, ob eine andere Strategie an einer anderen Stelle nicht sinnvoller wäre. Das gleiche gilt für euch selber. Lasst euch immer eine Rückzugsmöglichkeit offen. Wenn ihr euch immer nur mit dem Bundesamt für Strahlenschutz beschäftigt und die euch schon in Lawinen von Gutachten begraben haben, die euch haarklein erklären, warum euer Fall unmöglich ist… dann gebt euch geschlagen. Zieht euch zurück und kämpft an einem anderen Tag an einer anderen Stelle. Wer sich absolut verbissen an einer Stelle festkämpft, der hat nicht nur verloren, der wird auch sonst nichts mehr anderes machen. Wo Leben ist, da ist noch Hoffnung und wenn es an einer völlig neuen Stelle passiert.
  6. Lasst ab von Drachen: Redet nicht von Geheimdiensten, Regierungsverschwörungen und dergleichen. Da könnt ihr nur verlieren, selbst wenn es wahr ist. Behaltet es für euch, aber hängt es nicht an die große Glocke.

Beispiel: Fallbeispiel NHL

  1. Nur so halb. Grundsätzlich ist er in ärztlicher Behandlung bzgl. des NHL-Krebs, aber es gibt verschiedenen Behandlungsmethoden, manche Medikamente nur bei Studien etc. pp. Würde die vermeintliche Strahlungsbehandlung in der Kindheit als ursächlich angesehen werden, könnten evtl. zusätzliche, neue medizinische Verfahren (wie Antikörperbehandlung) eine Option sein. Aber eigentlich sollte mit der klaren jetzigen Diagnose ein stabiler Zustand erreicht sein.
  2. Keine Angaben. Bei Leuten “vom alten Schlag” ist psychologische Hilfe oft stigmatisiert. Ich hoffe, hier ist das nicht der Fall.
  3. Keine Angaben. Aber wenn Behörden die gleichen Briefe mit gleichem Satzbau wie ich bekommen haben, dann hat da garantiert kein zweites paar Augen drüber geguckt. Bitte unbedingt ändern.
  4. Keine Angaben. Er ist wohl im Internet aktiv, was ihn auch hier auf Scienceblogs gebracht hat, aber das ist die schwächste Form von Hilfe, die es geben kann. Wie sieht es in dem Fall mit Greenpeace oder den Grünen aus?
  5. Da hat er sich wohl durch alle möglichen Behörden und Institutionen telefoniert und geschrieben. Empfehlungen siehe oben.
  6. Keine richtigen Drachen in Sicht, nur Beamte und Verantwortliche, die im Zweifelsfall den eigenen Pelz retten wollen. Das kann man denen dann auch sicher nicht vorwerfen. Also kein Problem an dieser Front.

Zurück zur Einleitung und dem Fallbeispiel

 

Kommentare (2)

  1. #1 PP
    Wien
    19. Juni 2019

    Hi Tobias!

    Ich würde gerade in Sachen Strahlung Greenpeace NICHT befragen, für die ist ja jedes Atom absolut tödlich. 😉 Richtige Fachleute zu dem Thema hätte ich dort noch nie gesehen, oder die sind zu still. Das Rote Kreuz ist aber ein guter Tip 🙂

    Gute Besserung, ich lese aus persönlichen Gründen jeden Beitrag deines Blogs!

    glg Peter*

    *selbst als Physiker manchmal mit ionisierender Strahlung arbeitend und nebenbei seit 17 Jahren Survivor einer B-ALL ;). Damals war ich aber noch jugendlich, also war die Strahlung wohl unschuldig

  2. #2 Tobias Cronert
    19. Juni 2019

    Na gerade deshalb würde ich das Greenpeace mit reinnehmen. Klar sind die absolut eingleisig unterwegs, aber bei aller eindeutigen Agendapolitik, die die betreiben habe ich ihre Experten zu meinen relevanten Themen noch nie dabei erwischt, dass sie gelogen oder Daten in ihrem Sinne beschönigt hätten. Sie haben die zwar total engstirnig und einseitig interpretiert, aber nicht manipuliert und das rechne ich ihnen hoch an. Aber wie du schongesagt hast gibt es auch andere, neutralere Stellen.

    … und vielen Dank für die guten Wünsche. Nach einer B-ALL Physiker werden und dann mit ioniserender Strahln arbeiten hört sich auch interessant an 😉