Wieder zu Hause und ein gutes Stück schlauer. Meine Granulozyten sind wieder da und zwar auch in einer Zellstärke, die es mir erlauben, nach draußen in den Supermarkt zu gehen. Yay! Aber erst mal rekapitulieren, was im letzten Monat passiert ist. Vor ziemlich genau drei Wochen habe ich mich morgens mit eine Fülle von Symptomen vom Taxi in die Notaufnahme bringen lassen. Starke Schmerzen in der Leistengegend, Erbrechen, Durchfall (24/d), Haarausfall und Fieber (38,5°C). Das erste Blutbild in der Notaufnahme addierte dann noch 0,00 * 10^3/µL neutrophile Granulozyten zu den aktiven Symptomen dazu. Das ist echt schlecht und für sich alleine schon das direkte Ticket auf die Isolierstation (obwohl andere weiße Blutkörperchen noch da waren).
Jetzt, wo ich wieder zuhause am Schreibtisch sitze, haben wir wohl herausgefunden, was die ganzen einzelnen Punkte waren. Die Schmerzen in der Leistengegend waren ein Muskelfaserriss im Adduktorenbündel. Fieber, Erbrechen und Durchfall eine Graft-vs-Host-Reaktion meines neuen Immunsystems. Das Fehlen der Fresszellen eine Granulozytopenie, wahrscheinlich verursacht durch das Medikament Rituximab, das ich vor drei Monaten bekommen habe. Ach ja, und der Krebs ist zurück. Zwar nur gerade mal so über der Nachweisschwelle, aber molekular nachweisbar.
Die ganzen einzelnen Punkte haben jetzt per se auch nicht direkt was miteinander zu tun. Klar, kann man in einem so interaktiven System wie einem menschlichen Körper ein einsames Ursache-Wirkung-Schemata niemals vollkommen isoliert betrachten, aber grundsätzlich sind die, für medizinische Verhältnisse, doch schon arg disjunkt. Darüber hinaus darf ich mich sogar darüber freuen, denn ohne die Granulozytopenie wäre meine nächste Knochenmarkspunktion erst in einem Monat fällig und somit hätten wir die Rückkehr des Krebses auch erst einen Monat später bemerkt.
Der Muskelfaserriss wird durch Ruhe behandelt. 3 Wochen auf der Isolierstation => Check. Die Graft-vs-Host-Reaktion durch Kortison und ein neues Einstellen der Immunsuppressiva. Nachteil, das Kortison will, dass ich nen Marathon laufe und die Isolierstation und der Muskelfaserriss wollen mich im Bett behalten, doof. Wieder 7kg an Wassereinlagerungen zugenommen und ich darf bei der Visite den jungen Medizinstudenten als Anschauungsobjekt für Schwangerschaftsstreifen dienen, merkwürdig. Die Bildung der Granulozyten mit G-CSF Spritzen ankurbeln, führt zu Knochen- und Gelenkschmerzen und tollem Morphium, yay! Für die neuen Krebszellen als Willkommensgruß der freundliche Tyrasinkinase-Inhibitor aus der Nachbarschaft als nettgemeinten Schuss vor den Bug, damit der Krebs ja nicht auf dumme Gedanken kommt. Also “Schuss vor den Bug” auf Klingonisch, also ohne das “vor den”.
Tja, die ganzen kleinen Arbeitsstellen sind schon etwas Mühe, aber durchaus handhabbar. Was mich halt doch ordentlich wurmt ist, dass da wieder Krebszellen sind und ich damit zurück im molekularen Rezidiv bin. Noch ist alles harmlos und mit leichten Anpassungen behandelbar, aber allein die Tatsache, dass er zurück ist, ist nicht nur ein psychologischer Rückschlag, sondern drückt sich auch ganz konkret in einer schlechteren Landzeitprogrose für meinen ganzen Krankheitsverlauf aus. Das ist dann auch nur noch bedingt witzig, denn hier geht es um echte Prozentpunkte auf meinem Überlebenskonto und echte Jahre an allgemeiner Lebenserwartung.
Okay, okay, es ist Jammern auf hohem Niveau und 1-2% mehr Überlebenswahrscheinlichkeit und/oder 5 Jahre Lebensalter sind nicht der Weisheit letzter Schluss, aber wenn es hart auf hart kommt, dann finde ich mehr Leben immer besser als weniger Leben. Das wird mich wohl viel, viel Süßigkeiten und tolles ungesundes Fast Food kosten, um das zu kompensieren. Seufz.
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