Schlechte Nachrichten, richtig schlechte Nachrichten. Die Krebszellen sind zurück und zwar in so großer Zahl, dass man sie mit dem bloßen Auge sehen kann. Das ist wirklich die dummste Möglichkeit zur Entwicklung der Krebszellen, die man an diesem Punkt so haben kann. Eigentlich war die Knochenmarksbiopsie kurz vor der zweiten Transplantation nur noch dazu gedacht sicher zu gehen, dass die Krebszellen weiterhin in molekularer Remission sind und dann so ein Scheiß! Unter den Bedingungen kann ich die Transplantation erst mal vergessen und wir müssen zuerst wieder ein (molekulares) Rezidiv erreichen, bevor wir mit unserem so schön geplanten “nächsten drastischen Schritt” weiter machen können.
Naja, genug rumgeheult. Der Schritt, um wieder in Remission zu kommen, ist nämlich aus wissenschaftlicher Sicht ein gutes Stück interessanter, als die Tyrosinkinase-Inhibitoren, die bislang bei mir ausgereicht haben, um die Krebszellen wieder unter die Nachweisgrenze zu drücken. Jetzt bekomme ich Blinatumomab, den ersten zugelassenen BiTE-Antikörper. Wie die TKI greift der hauptsächlich die Krebszellen an und lässt alle andere in Ruhe. Aber da hören die Ähnlichkeiten auch schon auf, denn das Blinatumumab ist eine molekulare Brücke, die auf der einen Seite an die Tumorzelle andockt und auf der anderen Seite an einen körpereigenen Antikörper und diesen aktiviert, so dass dieser die Krebszelle vernichten kann. Das heißt, es ist quasi ein Zielsystem für die eigene Immunabwehr, um für diese die Tumorzelle als Ziel zu markieren und dann die normale T-Zelle ihren Dienst machen zu lassen. Weil es das eigene Imunnsystem benutzt, kann die Immunantwort durchaus recht heftig werden und bei Anfang der Gabe wird erst mal mit niedrigeren Dosen angefangen, um sich die Nebenwirkungen anzugucken… unter EKG-Überwachung auf der Isolierstation mit allem drum und dran. Das habe ich jetzt gerade hinter mir und das war auch recht sinnvoll, denn ich hatte 4 Tage lang Fieber und habe Paracetamol gefuttert wie Karnevalsbonbons, während die Abbauprodukte der toten Zellen mein Blut überschwemmt und meinem Herzen einen Schluckauf versetzt haben. Naja, das heißt zumindest, dass die Zellen was Sinnvolles tun und nicht nur träge in der roten Suppe herumschwimmen. Wie effektiv genau sie waren, das wissen wir noch nicht, das wird dann erst die nächste Knochenmarkbiopsie sagen können. Im Allgemeinen wird das ganze auch recht lange dauern, denn das Binatumomab wird kontinuierlich über 4 Wochen gegeben, jede Stunde ein paar ml – 24/7, damit nicht zu viele tote Zellen auf einmal ausgeschieden werden müssen und andere Dinge kaputt machen. Das heißt, dass ich auch aktuell zu Hause immer ein Medikamentenpumpe mit mit herumschleppen muss, die mich IV mit dem “Chemo”-Medikament (was eigentlich kein richtiges Chemo- Medikament ist) versorgt. Das ist dann schon wieder ein wenig nervig.
Blina wurde 2015 zugelassen und gehört damit zu den neueren (und teureren) Medikamenten auf diesem Gebiet. Als ich 2018 diagnostiziert worden bin, hatte das für mich aber noch auch noch nicht die ganzen Krankenkassenfreigaben etc. durchlaufen und selbst jetzt praktizieren wir das im sog. “off-label use” (von wegen Zeit in der Medizin usw.). Dass wir es jetzt “erst” einsetzen, hat dann natürlich auch noch den Grund, dass bis jetzt die etablierteren Medikamente (vor allem die TKI) bei mir recht gut gewirkt hatten. Also, wenn wir die Wahl haben, dann benutzen wir erst mal die etablierten Therapien, bevor wir das neumodische Zeug ausprobieren, weil man erstere besser einschätzen kann. Es gibt z.B. eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass Blina gut gegen Tumore im Blut, aber eher schlecht gegen Klustertumore im Knochmark ist und das wäre bei meinen Klustern im Knochenmark nicht die ideale Wahl. Andererseits basiert diese Studie auf wenigen Patienten und einem rel. kurzen Überwachungszeitraum. Daher ist sie halt mit Vorsicht zu genießen und wird in Zukunft wohl noch signifikant verbessert werden. Wir werden sehen.
Warum die TKI nicht (mehr) ausreichend gut wirken, wissen wir auch noch nicht. Wir haben noch mal eine zytogenetische Untersuchung gemacht, um herauszufinden, ob sich irgendwas an den Oberflächenmarkern getan hat und die Krebszellen im Allgemeinen von der ersten Tumordiagnose wegmutiert (evolutioniert) sind. Wenn von so einem Verfahren die Krankheitsheilung abhängt, bekommt man auch noch mal ein bißchen weniger Gedult für Leute, die “nicht an Evolution glauben”, aber davon gibt es ja hier zum Glück relativ wenige.
Also Neuigkeiten gibt’s dann wieder in einem Monat, wenn das Antigen seinen Dienst getan hat… oder auch nicht. Grundsätzlich sind zwei Durchgänge à einem Monat geplant und dann eben die Stammzellentransplantation im Frühling/Sommer. Langsam kommen wir bei meiner Behandlung ans Ende der Fahnenstange, was die Optionen bzgl. machbarer Medikamentenoptionen etc. angeht. Das ist natürlich jetzt nicht sonderlich toll, aber auch noch kein Weltuntergang. Bei anderen Leuten hat das alles von Anfang an nicht geklappt und die Entwicklung neuer Medikamente in diesem Bereich ist so rasant… vor allem aus der Sicht eines Wissenschaftlers. Das heißt zu gucken, dass man die nächsten 2-5 Jahre überlebt, bis eine neue Behandlungsmöglichkeit vorhanden ist, ist durchaus eine sinnvolle Strategie, erschreckenderweise. Aber ich mag ja eigentlich ein gutes Wettrüsten, ich wünschte nur, dass der Einsatz nicht ganz soooo hoch wäre.
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