Und wieder mal aus der Kategorie: “Können wir den dummen Scheiß nicht mal sein lassen?” taucht ein alter Bekannter auf… der Muskelfaserriss. Da freut man sich gerade, dass die ganzen kleinen Baustellen der Nebenwirkungen abgearbeitet werden können und so mir nichts, dir nichts kommt aus dem rechten Außenfeld ein alter Bekannter daher und schmeißt sich mit ins Gedränge. Der allseits beliebte Muskelfaserriss im Adduktoren-Bündel, der sich schon vor einem Jahr mal so beliebt gemacht hat. Irgendwie dumm aufgestanden oder das Bein aus dem Bett geschwungen und schon quittiert ein signifikanter Teil des Muskels seinen Dienst. Bugger. Aber im Gegensatz zu “Außer Schmerzen nix gewesen”, wird es diesmal schöner, denn die ganzen Blutverdünner, die meinen Körper überschwemmen, werden nicht nur verhindern, dass das dämliche Teil in vernünftiger Zeit wieder abheilt, sondern auch noch während des Prozesses dafür Sorge tragen, dass es viel mehr Abbauprodukte und Müll ins Blut entlässt als normalerweise für so eine Aktion veranschlagt werden würde. Doppelmist!
Naja, fairerweise muss man sagen, dass wir noch genau abklären müssen, ob es nicht doch noch ein Leistenbruch oder was noch dümmeres ist, aber zumindest die ersten Ultraschallaufnahmen deuten eigentlich ziemlich weit darauf hin, dass es doch nur der obligatorische Muskelfaserriss am rechten Adduktoren-Bündel ist… Mal wieder. Hach, vielleicht gibt’s ja noch mal ein MRT, das hatte ich ja schon fast eine Woche lang nicht mehr. Ich wette, ich darf wieder den gleichen Fragebogen ausfüllen. Ach mecker mecker mecker, das will doch keiner hören, sprechen wir doch mal lieber über den Tod.
Ich hatte gerade für kürzere Zeit einen Stubenkameraden, der tot ist. Also keinen Corona-Zombie, sondern einen Patienten, der mit angrenzender Sicherheit (also 95%) im nächsten halben Jahr sterben wird. Grundsätzlich ist das jetzt nichts Besonderes, denn davon gibt es hier auf den Krebsstationen eine Menge Patienten, aber der gute Mann ist mir sehr ähnlich und daher komme ich natürlich nicht drum herum, mich mit ihm – in einer gewissen Weise – zu identifizieren.
Aber fangen wir mal vorne an. Der gute Mann hat AML-Leukämie und ist älter als ich (gerade in Rente gegangen). Bis auf ein paar andere Nebenwirkungen ist er aber auf dem gleichen körperlichen Stand wie ich, das heißt, er kann alleine laufen, essen etc. pp. ist bei klarem Verstand usw. Seine Diagnose und der bisherige Krankheitsverlauf hielten sich auch so wie bei mir im Rahmen von zwei Jahren mit einer vollständigen Stammzelltransplantation. Wir kannten uns auch schon vorher vom Sehen, von der ambulanten Station und aus dem Wartezimmer, wo man sich zumindest freundlich zugenickt hat.
Sein großer Unterschied ist nun: Bei ihm hat quasi nichts richtig geklappt. Sowohl die Chemo-Therapien vorher und nachher, als auch die Transplantation haben nicht funktioniert, oder immer nur sehr kurzfristig dafür gesorgt, dass die Leukämiezellen mal kurz zurückgedrängt wurden. In eine Remission ist er, im Unterschied zu mir, nie wirklich gekommen und jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht, das Pulver verschossen, der Köcher leer und der Weg zu Ende. Sprich, er ist austherapiert. Es gibt keine Medikamente mehr, keine Optionen, die man noch ausprobieren könnte und damit war’s das dann. Auf gut Deutsch: Er wird sterben, bald, dann, wenn die Blasten und Tumorzellen die gesunden so weit verdrängt haben, dass das Blut nicht mehr funktioniert und dann die Organe eines nach dem anderen versagen. Dann wird er auf die letzte Reise gehen und herausfinden können, ob es ein “danach” gibt.
Ziemlich genau so würde es bei mir auch aussehen, wenn bei mir alle Behandlungsmethoden versagen würden. Ich habe ja noch eine ganze Menge Pulver auf der Pfanne und mein Köcher an Optionen ist noch halb voll… ziemlich genau halb voll, wenn man genau hinguckt, aber ich bin halt mittlerweile dem Ende der Fahnenstange doch signifikant näher gekommen und kann es besser sehen als bei Erstdiagnose. Wie im vorletzten Beitrag schon geschrieben, ist es kein Grund rumzuheulen, aber ich merke doch schon deutlich, dass meine Toleranz für Bullshit und Erste-Welt-Probleme abnimmt. Zum Glück haben wir aber in Deutschland zur Zeit durchaus auch echte Probleme, denn ich glaube, wenn ich in “nicht interessanten” Zeiten leben müsste, würde ich verrückt werden.
Mir fällt gerade rückwirkend auf, dass ich mich in den letzten Tagebucheinträgen recht untypisch ausgekotzt und richtiggehend beschwert habe. Das ist eigentlich nicht mein Stil, aber offensichtlich gerade mal notwendig. Dennoch möchte ich an der Stelle schnell versichern, dass unterm Strich bei mir noch alles im Lot ist. Ich hatte ein obligatorisches Gespräch mit meiner Psychoonkologin und außer ein wenig Herumgemecker lässt die existenzielle Krise noch auf sich warten… so wie ich mich kenne auch noch für eine längere Zeit. Um auf einer (sehr) positiven Note zu enden, möchte ich hier mal verkünden, dass ich geradezu von Babys überrannt werde. Drei Stück der Kinder meiner besten Freunde werden/sind mit dem Osterhasen neu auf die Welt gekommen und dazu kommt mein bestes Patenkind von Welt und die Kinder von meinem Bruder und meinen Mitbewohnern, die jetzt gerade jeweils 1 Jahr alt sind. Alles sehr Ostereihasig und geradezu philosophisch, mit “Da, wo der Tod ist, da ist auch das Leben, in seiner pursten Form”, also nichts wie rein in den Frühling und so.
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