Heute ist der zweite Jahrestag nach Diagnose. Ich habe nie wirklich die – rückblickend – auch sehr lustige und vor allem interessante Geschichte rund um meine Erstdiagnose erzählt. Das liegt daran, dass sie sehr persönlich ist und auch wenn ich bereit bin, meine eigenen Intimitäten in die Weiten des Internet hinauszuschreiben, so sind hier doch so viele liebe Freunde mit ihren eigenen intimen Lebensmomenten involviert, dass ich das nicht einfach so machen kann. Vor allem da auch noch zwei sehr kleine Kinder involviert sind. Sobald ich alles überstanden habe und noch etwas Wasser den Rhein hinuntergeflossen ist, werde ich das hoffentlich nachholen können… als Abschluss sozusagen. Wenn alles durch ist, dann erzähle ich noch die Geschichte, wie alles angefangen hat. Bis dahin ist aber leider noch recht viel zu tun.
Wie in dem letzten Tagebucheintrag berichtet, ist mein perfekter 10/10 Spender nicht verfügbar. Dadurch gerät alles hier über den Haufen und wir müssen total umplanen. Das ist aber durchaus möglich und nun streben wir eine haploide Spende an. Allerdings bin ich momentan gar nicht in der Lage eine Transplantation durchzuziehen, denn meine Hirnanhangdrüse hat offensichtlich entschieden, die Produktion von ACTH für die Nebennierenrinde und damit das natürliche Kortison und das TSH für die Schilddrüse einzustellen. Dadurch kommt die Kurzatmigkeit und allgemeine Schwäche. Jetzt müssen wir diese Hormone erst mal per Tablette geben, bis die Hirnanhangdrüse dazu gebracht werden kann, wieder ihren Job zu tun, bevor wir irgendwie weiter machen können. Ja, well, dann ist das halt so.
Auf der “Haben” Seite bin ich aber gerade mit der zweiten Blinatumomab-Sequenz durch und kann ab gestern ohne Pumpe zu Hause und in der Gegend herumlaufen. Naja, soweit ich überhaupt laufen kann *g*. Die Testergebnisse von der letzten Knochenmarkbiopsie sind zurückgekommen und die Krebszellen sind nicht mehr nachweisbar, sprich sie sind unter 1:10^-6 Verhältnis (mutierte auf eine gesunde Zelle) und das ist sehr gut. Vor allem, weil die Biopsie vor dem letzten Blinatumomab-Durchgang gemacht worden ist und das effektiv heißt, dass nach der molekularen Remission noch mal 3 Wochen lang die Antikörper drübergebügelt sind. Das sollte doch mal was bringen, oder? Am Dienstag kommt die nächste Knochenmarksbiopsie und Verlaufskontrolle per MRT für die Clusterbildung in meinem Becken.
An der nicht medizinischen Front gibt es auch noch gute Neuigkeiten. Im Rechtsstreit mit der Berufsgenossenschaft hat das Amtsgericht gebeten, die Strahlenschutzabteilung der Berufsgenossenschaft möge noch mal ein drittes Gutachten erstellen. Diese hat abgelehnt und gesagt, der Strahlenschutz hätte alles gesagt, was er hätte sagen wollen, man solle externe Gutachter hinzuziehen, wäre mit meinen Vorschlägen für Gutachter einverstanden und würde auch noch selber jemanden vorschlagen. Die AG-Leiterin der PTB, die die Berufsgenossenschaft dann vorgeschlagen hat, ist auch super toll und ich wäre sehr zufrieden, wenn das Amtgericht sie und/oder eine meiner Vorschläge auswählen würde. Das ist genau das, was ich will, dass externe Profis längere Gutachten zu dem Sachverhalt schreiben. Ich bin sehr zufrieden.
Tja, was sind denn meine Gedanken zum zweiten Jahrestag? Es war schon ein heißer Ritt und jetzt gerade fängt eigentlich alles noch mal von vorne an – es ist weit weit davon entfernt vorbei zu sein – eine Hoffnung, die ich vor zwei Jahren durchaus gehegt habe bzw. eigentlich davon ausgegangen bin. Nun ja, neue Runde, neue Wahnsinnsfahrt, diesmal mit Corona im Rücken. Machen wir uns nichts vor, 2020 wird für die meisten von uns – nicht zwangsweise persönlich, aber sicher global – das einschlägigste Jahr ihres Lebens werden. Das gilt für mich natürlich auch, nur dass eben noch meine persönlichen Eskapaden dazu kommen. “Mögest du in interessanten Zeiten leben” und “Pass auf, was du dir wünscht” sind so Sätze, die mir in letzter Zeit immer wieder im Kopf herumgeistern. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel gelernt und meine auch, mit meinen Problemen gewachsen zu sein. Meine Leute behaupten, ich hätte mich kaum verändert, gegenüber früher… Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben kann… oder will, denn zumindest etwas Veränderung ist durchaus etwas, was ich für sehr erstrebenswert halte.
Ich habe weiterhin sehr viele Träume und Pläne für die Zukunft, die ich furchtbar gerne umsetzen würde, von den Millionen kleiner Bastelprojekte, die nur darauf warten irgendwann umgesetzt zu werden, wie zu den richtig großen Projekten mit den Schwimmschweinen und der Familiengründung und dem, was man so im Allgemeinen “Leben” nennt. Ich muss mich selbst immer wieder bremsen und mir auf die Finger hauen und sagen “ein Schritt nach dem anderen, ein Schritt nach dem anderen” – meditationsartig. Ich fürchte sehr oft, nicht wirklich in Synchronisation mit den physischen Realitäten zu stehen, sprich viel mehr zu wollen, als physikalisch möglich ist, aber gerade die Grenzen des Möglichen nach vorne zu treiben ist mMn wirklich wichtig.
Ansonsten empfinde ist sehr viel Dank für all die großartige Unterstützung, die ich von Familie, Freunden und insbesondere meinem medizinischen Personal in den letzten Jahren erfahren habe. Mit fremden Leuten aus dem medizinischen Personal habe ich die nun intimsten Momente meines Lebens geteilt, einer war sogar am besten und am schlechtestens Tag meines Lebens an meiner Seite, was sicher keine halbherzige Sache ist. Die Menschen auf der Isolierstation sind mir echt ans Herz gewachsen, was für den armen objektiven und emotionslos Physiker schon eine arg schlimme Sachen ist, also solche Emotionen zu empfinden 😉
In erster Linie ist ein zweijähriges Jubiläum erst mal nur eine dumme Zahl an der Wand, solange man sie nicht mit Inhalt füllt. Das geschieht bei mir schon fast automatisch, weil eben noch mehrere andere wichtige Ereignisse im Leben meines privaten Umfeldes damit verknüpft sind, es eben nicht im luftleeren Raum stattfindet und daher kann ich es mir schon ein wenig leisten nostalgisch zu werden. Jetzt geht es erstmal in die nächste Runde und in einem Jahr gucken wir dann noch mal zurück und sind hoffentlich einen guten Schritt weiter.
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