Leserfragen, die bei den Wissenschaftsnerds hier bei SB Kopfschütteln oder sogar noch wesentlich heftigere Reaktionen auslösen, habe ich ja schon des öfteren präsentiert. Nun finde ich, ist es mal Zeit, die Frage zu stellen, was man eigentlich als Gesellschaft an “Bildungsniveau” erwarten kann? Bei welchen Fragen sollte ich denken: “Ja, sowas macht man eben nicht in der Schule, dann versuch ich es mal zu erklären” und bei welchen Fragen kann ich mich ernsthaft ärgern und mich bei meiner Mutter beschweren: “Hey, sowas sollte doch eigentlich jeder wissen, oder?”
Dabei sitze ich natürlich vollkommen in der Filterbubble, wie die meisten Leser dieses Artikels auch. Ich habe mich seit frühester Kindheit für Naturwissenschaften interessiert und mein Wissen in diesem Bereich war eigentlich zu jeder Zeit überdurchschnittlich. Genauso wie das meiner Freunde und Bekannten, mit denen ich mich umgeben habe. Selbst die ganzen Humanisten und Künstler in meinem Bekanntenkreis sind so tief in SciFi-Literatur involviert, dass für sie “Wellenlänge” kein ungewöhnliches Wort ist. Daher müssen wir mal ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um diesen einen Schritt zurück zu gehen und das größere Bild zu betrachten.
Als Aufhänger sollen mir dabei wieder mal ein paar Leserfragen dienen, die ich zum Thema Radioaktivität und ionisierende Strahlung hereinbekommen habe (siehe unten). Diese offenbaren halt schon, dass die Fragenden intelligent sind und auch eigenständig Probleme recherchieren und lösen können (sonst hätten sie den Weg auf meine Seite ja gar nicht erst gefunden), aber die absoluten Fundamente von ionisierender Strahlung nicht gelernt (oder wieder vergessen) haben. Ausgehend von meiner Erfahrung mit Leserfragen und E-Mails muss ich davon ausgehen, dass ich absolut kein Vorwissen erwarten darf, also einen Bildungsstand von 0. Ist das zu pessimistisch gedacht? Generieren Leserfragen und E-Mails auch wieder eine Filterbubble, nur in die andere Richtung? Offensichtlich fehlen mir Beispiele mit normalen Menschen *g*
Um darauf ein wenig zu reagieren, habe ich ein paar Basic Artikel geschrieben, die für die SB-Stammleserschaft nicht unbedingt interessant sind, aber ein paar der üblichen Fragestellungen in der Bevölkerung ansprechen, die sich hierhin verlaufen:
Ist Radioaktivität ansteckend?
Wie kann ich Radioaktivität in Nahrung messen?
Beispiel 1:
Eva:
Sehr geehrter Herr Cronert,
ich hätte eine wichtige Frage. Habe zwar schon in Netz ihre Meinung darüber gelesen, aber bin mir nicht ganz sicher,
ob ich es richtig verstanden habe.
Ich habe eine Patientin, die unmittelbar in der Nähe von Fukushima war als das Erdbeben passierte.
Nun habe ich Sorge, dass es mir gesundheitlich schadet.
Ich habe eine Erkrankung, bei der ich extreme Reaktionen auf alle energetische Strahlung bekomme.
UV-Strahlung, W-Lan , Handy,… was sehr lebenseinschränkend ist. Vermuttet wird von mehreren Profs eine Erythropoetische Protoporphyrie,
aber ich reagiere bereits nach ein paar Sekunden an einem W-lan betriebenen PC mit klaren Reaktionen (Herzrasen, Austrocknung der Finger als ob ich stundenlang in der Badewanne gelegen hätte, Schwächegefühl). Bei Lichtexposition mit Tagelicht nach 2 sekunden mit brennender, schmerzender Haut, nach Halogenlampenexposition das gleiche.
Jedes Mal wenn ich die Patientin am Kopf berühre krippeln stark meine Hände, wenn ich mit der Hand mir ins Gesicht fasse, krippelt/brennt es an dieser Stelle ebenso stark
Meine Krankheit schränkt mich schon genug ein, ich habe Angst, dass ich auch noch schlimmer durch ansteckende Strahlung erkranken könnte.
Was würden Sie mir in Bezug auf den Kontakt mit der Patientin oder mit Menschen, die radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren raten?
Was könnte in meinem Körper passieren?
Vielen herzlichen Dank für ihre Antwort
viele Grüße
Eva
Tobias:
Liebe Eva,
also grundsätzlich gibt es verschiedenen Arten von Radioaktiver Strahlung und nur eine davon, die sog. Gamma-Strahlung, ist eine Elektromagnetische Strahlung, wie UV, W-LAN, Handy und dergleichen. Wenn sie also sensibler auf Elektromagnetismus reagieren, als andere Leute, dann wäre von den radioaktiven Strahlungen nur die Gamma-Strahlung für Sie besonders schädlich und auf Alpha, Beta und Neutronenstrstrahlung würden Sie genauso wie alle anderen Menschen auch reagieren, weil das eben echte Teilchen sind, die da durch die Luft fliegen (also Elektronen, Neutronen oder Heliumkerne).
Gamma-Strahlung ist aber zum Glück auch die Strahlung, die sich am leichtesten messen lässt und gerade nach Fukushima hat es da eigentlich viele Messungen gegeben. Wie ich in meinem Artikel geschrieben hatte ist Radioaktivität nicht ansteckend. Es kann halt nur passieren, dass radioaktive Teilchen bzw. Staub sich eben in Haaren, Kleidung oder ähnlichem festsetzt. Eigentlich müsste bei Leuten aus Fukushima jede Kontamination nachgeprüft worden sein und die Leute müssten entsprechend gewaschen worden sein.
Das Kribbeln und Brennen nach der Berührung der Patientin kann ich mir nicht wirklich erklären. Denn Gamma-Strahlung schädigt die Zell-DNS und sorgt in der Zelle für Kopierfehler, die dann Krebs verursachen. Das heißt wenn ein durchschnittlicher Mensch zu viel Gamma-Strahlung abbekommt, dann bekommt er nach mehreren Jahren (z.B. 5 Jahre) Krebs. Das würde man aber eben nicht direkt merken (gerade deshalb ist Radioaktivität ja auch so tückisch). Im Zweifelsfall würde ich dazu raten einfach einmal nachzumessen, ob es bei der Patientin eine erhöhte Gamma-Strahlung gibt. Das sollte eben recht einfach sein, weil Gamma-Strahlung von allen Strahlungsarten eben am einfachsten aufgespürt werden kann.
Oder sie forschen einmal nach, ob es nicht noch eine andere Quelle sein könnte, die für das Kribbeln und brennen verantwortlich ist. Vielleicht laden sich die Haare mit staatischer Elektrizität auf und die wirkt dann wie Elektromagnetische Strahlung bei Ihnen. Oder die Patientin benutzt ein besonderes Schampoo, das die statische Aufladung noch verstärkt?
Radioaktivität sollte auf jeden Fall keine sofortigen Auswirkungen haben, sondern eben (bei niedrigen Dosen) nach Jahren zu Zellschäden und Krebs führen. Das schon sehr weit davon entfernt, was Sie beschrieben haben.
Mit besten Grüßen
Tobias Cronert
Beispiel 2:
Alex: Hallo ich bin gerade auf deinen Blog gestoßen und hoffe es ist OK wenn ich dir schreibe… Ich mache mir Vorwürfe weil ich mit meinen Kindern Donnerstag beim Zahnarzt war und dort wurde gerade jemand geröngt.. Wir kamen nach ihm ins Behandlungszimmer… Vielleicht hört es sich sehr dumm an aber wie ist das mit der Strahlung wenn jemand kurz zuvor geröngt wurde und sich dann auf den Stuhl im Behandlungsraum setzt, kann da Strahlung auf den Stuhl übergehen und dann auf meine Kinder? Ich hoffe es hört sich nicht dumm an aber ich hab wirklich Angst… Ich Weiss nicht ob Röntgenstrahlen gleich weg vom Patient sind oder eine Weile bleiben und ja ich weiß viele Kinder werden selbst geröntgt aber ich bin total dagegen… Ich dachte vielleicht können sie mir das beantworten weil bei Google liest man mal man strahlt nicht danach und mal ja man gibt Sekundärstrahlung ab nach dem Röntgen was mich nicht wirklich beruhigt.. Und wie sieht es mit der Zahnarzthelferin oder dem Arzt aus.. Können sie strahlen vom vorherigen Patient weitergeben? Ich Weiss es hört sich mit Sicherheit sehr komisch an aber ich mach mir sehr viel Gedanken deswegen und wäre froh wenn mir jemand helfen könnte, falls sie die Antwort wissen… LIEBE GRÜßE Alex
Tobias Cronert: Hallo Alex, solche Fragen können bei mir immer gestellt werden. Kein Problem, dafür bin ich ja da … also unter anderem.
Also grundsätzlich ist Röntgen nicht ansteckend oder übertragbar. Röntgenstrahlen sind schädlich, wenn das Gerät an ist und harmlos, wenn das Gerät aus ist. Ober noch präziser gesagt: Es ist nur gefährlich während es Röntgenstrahlen produziert und aussendet, also nur in dem kleinen Moment, in dem das Bild gemacht wird. Das ist so, wie mit einer normalen Kamera. Wenn das “Klick” kommt, werden Strahlen ausgesendet und empfangen. Davor und danach nicht. Es gibt auch Geräte, die sind dauern an (wie z.B. an Flughäfen), aber die werden eben nur bei Gepäck benutzt und nicht mit Menschen.
Gerade deswegen wird Röntgen in der Medizin eingesetzt, weil es relativ einfach zu handhaben ist. Gerade für den Arzt und die Zahnarzthelferin wäre das ja sonst ein enormes Gesundheitsrisiko, weil die ja annähernd täglich mit sowas umgehen (müssen). Die wollen sich ja auch nicht verstrahlen. Bei echter Radioaktivität wäre das etwas ganz anderes, aber die gibt es ja nur in Spezialkliniken und für spezielle Krebsbehandlungen.
Sowas wie Sekundärstrahlen gibt es auch nur bei sehr hochenergetischen EM-Strahlen. Das existiert auch wieder nur in absoluten Spezialeinrichtungen in der Medizin und der Forschung und diese Einrichtungen haben auch sehr strenge Auflagen, was die konkrete Handhabung und den Umgang mit Patienten angeht.
Wenn es sonst noch Fragen gibt, immer her damit. Beste Grüße Tobias Cronert
Alex: Vielen Dank für deine ausführliche Antwort…Die hat mich dann doch gut beruhigt…Also ist es so gut wie ausgeschlossen daß wir irgendwelche Reststrahlung abbekommen haben oder? Wir waren auch ca als dieser andere Patient geröntgt würde 2 Meter von dieser kleinen Röntgenkammer entfernt, wie weit reicht die Strahlung dann eigentlich in etwa? Die Tür war zwar geschlossen aber wir standen kurz 2 Meter davor… Ich hatte eben Angst das wenn die Zahnarzthelferin bei dem Patient war und dann gleich meine Kinder behandelt hat (paar Minuten später,)vielleicht Strahlung übertragen kann da sie wahrscheinlich bei dem Patient war der geröntgt würde bevor sie dann zu uns in den Raum kam…Der Zahnarzt hat ihn denk ich auch nochmal nach dem Röntgen behandelt bevor er zu uns kam….Sorry das ich um so viele Ecken herumdenke aber wenn man sich nicht gut auskennt malt man sich glaub ich manchmal das schlimmste aus..
Tobias: Hallo Alex,
sich Gedanken zu machen ist immer gut und Fragen zu stellen auch. Also Röntgen übertragen von Arzthelferin oder Arzt auf jemand anders (also anstecken) funktioniert nicht. Röntgenstrahlung ist nur da, wenn das Bild gemacht wird. Danach ist sie sofort (also mit Lichtgeschwindigkeit im wahrsten Sinne des Wortes) weg. Restlos, ohne das irgendwas an Mensch oder Material zurückbleibt.
Während des Fotos kann man natürlich schon Röntgenstrahlen abbekommen. Vor allem, wenn irgendwo nicht vernünftig gearbeitet wird. Die Praxen haben deshalb extra diese Röntgenräume, die so ausgelegt sind, dass eigentlich nichts aus dem Raum herauskommen sollte (die meisten Röntgenstrahlen kommen in Beton (oder Blei) nur Millimeter weit). Das hilft natürlich nicht, wenn Fehler bei der Berechnung oder beim Bau gemacht wurden oder jemand beim Röntgen-Bildermachen die Tür offen lässt (menschliches Versagen halt). Aber das halte ich für recht unwahrscheinlich. Möglich ja, aber eben unwahrscheinlich. Außerdem werden die Sicherungen auch immer besser und bei den modernen Räumen kann man z.B. nur ein Foto machen, wenn die Tür auch wirklich geschlossen ist etc. pp.
beste Grüße Tobi
Kommentare (72)