Die Erwartungen bei vielen Vertretern der Marketingpraxis wie der Forschungszunft sind groß: das verstärkte Aufgreifen der Neuromarktforschung innerhalb der Marketing- und Medienforschung könnte eine Art Paradigmenwechsel hervorbringen. Im Bereich der Werbeträger- und Werbewirkungsforschung, bei der es um die Leistung der Medien z. B. für Anzeigenwerbung geht, sollte die noch junge Disziplin Neuromarktforschung möglichst ganz neue Einblicke auch in die Funktionsmechanismen von Markenkommunikation bieten.
Alles, was wir über den Leser, Seher, Hörer oder Online-Nutzer bislang mit den Methoden der empirischen Sozialforschung – überwiegend aus Befragungen – herausgefunden haben, kann nunmehr auf den Prüfstand gestellt werden. Mit Mitteln funktioneller Bildgebung (funktionelle Magnet-Resonanztomografie, kurz: FMRT) sind nun Möglichkeiten gegeben, in Interviews Geäußertes dem physiologisch gemessenen sensitiven Erleben gegenüberstellen. Ähnlich der Funktion eines Lügendetektors liegt der Gedanke nahe, z. B. Aussagen eines Befragten zur Wertigkeit oder Anmutung einer Zeitschrift mit dem sensitiven, physiologisch gemessenen Eindruck zu verifizieren.
Doch zeigt eine Bewertung bisher durchgeführter (auch eigener) Untersuchungen: zur Besorgnis, dass bisheriges Wissen über Kommunikationswirkung neu geschrieben werde müsse, besteht wenig Anlass. Bildgebende Methoden bestätigen häufig bestehende Erkenntnisse, die überwiegend klassisch per Fragebogen gewonnen wurden. Überhaupt ist mit dem Aufkommen neuer Messverfahren ja gar nicht angezeigt, ob und inwieweit zentrale Theorien der Informationsverarbeitung (wie z. B. dem Elaboration-Likelihood-Modell von Petty und Cacioppo über „high vs. low involvement communication“ oder “uses-and-gratifications-approach” von Denis McQuail) neu überdacht oder gar revidiert werden müssen.
Der Grund für das (noch) ausbleibende Erkenntniswachstum: Es fehlt der Neuromarktforschung häufig an neuen marketingrelevanten Theorien der Informationsverarbeitung, die Bestehendes falsifizieren könnten. Forschungen aus dem Bereich der Attributionstheorie konnten bereits in den 1970er Jahren zeigen, dass glaubwürdige Medien Vorteile für Werbung bieten, die – wenn als solche erkannt- zunächst zurückhaltend bewertet wird. Die glaubwürdige Medienquelle ist dann eine starke Medienmarke, wenn sie für einen persönlich von hoher Relevanz ist. Folglich bietet Werbung in einer starken Medienmarke mehr Erfolgspotenzial als in einer schwachen.
Ein Paradigmenwechsel ganz anderer Natur ist zudem möglich. Die Neuromarktforschung gibt dem Aspekt von der „Individualität des Verbrauchers“ wieder ein stärkeres Gewicht. Aktuelle eigene Untersuchungen im Bereich der Entscheidungsforschung mittels funktioneller Bildgebung zeigen, dass Verbraucher Informationen primär nach ihrer individuellen Relevanz – zur Erzielung von Belohnung -selektieren. Zentraler Befund dabei: unabhängig von der Produktkategorie belohnen starke Marken ihre Nutzer.
Insofern gibt die Bildgebung der Betriebs- bzw. Marketingwissenschaft doch wichtige Impulse.
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