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  Die Werbepsychologie als Anwendungsfach der Sozialpsychologie sowie die Radiologie/Neuromedizin und der verhaltenswissenschaftliche Zweig der Betriebswirtschaft (Marketing) bilden die wesentlichen akademischen Säulen der “Neuroökonomie”. Für den “Forschungsalltag” des Markt- und Medienforschers sind letztlich aber die praktischen Ableitungen daraus in der Summe interessant. Zusammengefasst sehen die 6 interessantesten Erkenntnisse dabei m. E. folgendermaßen aus:

  1. „Freier Wille”?! – das Gehirn hat schon entschieden, bevor wir uns entscheiden

    Es gibt Areale im Stammhirn (limbischen System) die Aktivität zeigen, bevor eine (Konsum-)Entscheidung bewusst wird. Diese Aktivitäten sind aber handlungsleitend. Daraus folgt: Entscheidungen werden vorbewusst gefällt, wobei gelernte Erfahrungen (z. B. mit einer Marke/einem Medium) eine „bahnende” Rolle spielen (priming). Umgekehrt ergeben sich daraus interessante Überlegungen, wie eine solche Bahnung erzeugt werden kann, wenn ein neues Produkt/eine neue Marke auf den Markt gebracht werden soll. Crossmedia spielt dabei eine zentrale Rolle, ausgehend von der Formel „crossmedial = crosssensual”, d.h. über eine mehrkanalige Ansprache erreicht man eine nachhaltigeres emotionales Lernen.

  2. Das „Ökonomische Prinzip” starker Marken

    „Kortikale Entlastung” war ein Schlüsselbegriff der vergangenen Jahre. Dabei werden sog. „starke Marken” anderen vorgezogen. Neben Sozialisationseffekten („schon als Kind gab´s immer Jacobs Kaffee”) spielen Wiederholungseffekte („mere exposure”; immer Jacobs Kaffee bei best. Anlässen) und Energieverbrauch im Gehirn (das Organ mit dem volumenmäßig mit Abstand größtem Energieverbrauch bei Arbeit) eine Rolle für zum einen langfristige Verankerung und zum anderen späteres anstrengungsloses Abrufen. Dieses Verständnis zielt insbesondere auf die Bestätigungsfunktion von Markenwerbung (gekauft wird, was man kennt), hilft aber nicht weiter bei Launch-Massnahmen für Marken bzw. Produkte!
    Nicht ein Mehr sondern ein Weniger an Aktivierung im Gehirn führt somit zum Markenerfolg. Interessant: dieses „Weniger” konnten wir in eigenen Studien bei Print und Online, nicht aber bei TV feststellen.

  3. Brain branding beim Image Transfer

    Medienmarken erzeugen einen Bedeutungsrahmen, der auf das Bild (Image) des Mediums auch im Hinblick auf seine Werbeträgerleistung abstrahlt. Studien mit der Uni Münster haben gezeigt, dass ein solches Markenbild das Glaubwürdigkeitsurteil (fiktiver) headlines maßgeblich beeinflusst. Folgeuntersuchungen konnten dann einen Effekt verdeutlichen, der (mediengruppenspezifisch) auch eine Art „Kompetenztransfer” auf geschaltete Anzeigen aufzeigt.

  4. Belohnung und Relevanz: gefiltert wird, was individuell bedeutsam ist

    Basierend auf dem ökonomischen Prinzip und unter Bezugnahme auf anthropologische Erkenntnisse (welche Fertigkeiten waren in Zeiten der Jäger und Sammler erforderlich und finden sich entsprechend im Gehirn des homo sapiens) werden Marken/Medien genutzt, wenn sie individuelle Belohnung erzeugen (Aktivierung im Nucleus accumbens/Präfrontaler Cortex im limbischen System). D. h. aber auch z. B. für Werbung, Bedürfnisse sind im Organismus (latent) vorhanden (oder eben nicht), können nicht erzeugt sondern lediglich – zur Befriedigung – bedient werden. Letztlich könnte das interessant werden, wenn man für die Vermarktung von Medien über GRP´s (Reichweite) vs. CPO oder CPI (Transaktion) disskutiert.


  5. „soziales Gehirn”: Schlüsselreize steuern die Aufmerksamkeit

    Eigene Studien zur Wirkung von Anzeigen konnten zeigen, das überdurchschnittlich häufig Abbildung von Menschen (Gesichter, in sozialer Interaktion) unter den gut getesteten Motiven waren (über den Abverkaufserfolg kann man freilich keine verbindlichen Aussagen liefern). Das macht deutlich: das menschliche Gehirn ist auf den Austausch mit Mitmenschen – die soziale Interaktion ausgelegt. Redaktionelle Konzepte, die Titelseitengestaltung etc. sollten hiervon profitieren. Es erklärt auch den Erfolg des People-Journalismus und gibt Implikationen für die Adaptation dieser Themen in digitalen Medien (sicherlich momentan nur rudimentär).


  6. Paradigmenwechsel: rezeptionsorientierte- statt soziodemografischer Zielgruppenmodelle

    Bereits seit einigen Jahren ist deutlich: Alter, Geschlecht oder Einkommen sind keine ausreichenden Prädiktoren mehr für eine erfolgreiche Kommunikation bzw. zielgruppenadäquate Platzierung von Werbemitteln in Werbeträgern. Verbraucher sind bedürfnisgesteuert und befinden sich in wechselndem Konsumkontext in unterschiedlicher Bereitschaft, Kommunikationsbotschaften für sich anzunehmen (Rezeptionsverfassungen). Das neue Zielgruppenverständnis offenbart den Typus eines Mediennutzers, der nicht nur passiver Konsument (klassischer Medien) ist, sondern zugleich aktiver Produzent („Prosumer” n. A. Toffler) und zunehmend mit rückkanalfähigen Medien (Web2.0) vertraut ist. Diese Zielgruppe ist Programm für eine moderne, medienkonvergente, kanalübergreifende Vermarktung.