Kahneman spricht in seinem Buch eine Reihe weiterer überzeugender und für jeden nachvollziehbarer Heuristiken an, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte. Das würde bei weiten den Rahmen dieses Beitrags sprengen, und Interessierenden sei dieses Buch ans Herz gelegt. Mein Punkt hier ist vielmehr der, darauf hinzuweisen, dass diese Erkenntnisse kognitiver Entscheidungsforschung als gutes Bindeglied bzw. Ersatzstück für das Theoriedefizit der Neuroökonomie dienen können, über das sich viele Kollegen in den vergangenen Jahren bei der Diskussion zum Thema Neuroforschung im Marketing sicher nicht zu Unrecht beklagt haben. Wenn man sich ansieht, wie häufig Konsumentscheidungen doch unter Zugriff auf das „Sichere“ (oder was man im Produkt als das Sichere erkennt, etwa den Markennamen) getroffen werden, wie häufig der Erfolg werblicher Kreation auf solche Heuristiken zurückführbar ist, dann wird einem auch schnell deutlich, dass das, was in uns Menschen angelegt ist, in vielen Fällen nur einen geringen Spielraum zum Experimentieren lässt. Zumindest da, wo es uns Mühe macht und wir eigentlich gar keine Zeit für großartige Vergleiche verwenden möchten. Was allerdings in sehr vielen Produktbereichen der Fall ist.
Um hier nicht falsch verstanden zu werden: sicher suchen und probieren wir immer wieder auch das Neue aus. Und Produktinnovationen, die unseren Grundbedürfnissen nach zwischenmenschlicher Kommunikation, Flexibilität, Leichtigkeit etc. entgegenkommen, werden natürlich gerne angenommen. Aber hierfür bietet die Motivationstheorie ein ausreichendes Fundament, auf dem sich diese Konsummuster gut erklären lassen. Auch die soziale Orientierung etwa im Modebereich ist psychologisch gut erklärbar. Was uns doch mit der Neuroforschung viel mehr umgetrieben hat sind Erklärungen für die Marken- oder Produktwahl in so genannten low involvement Kategorien und wie man erfolgreich darauf reagieren kann. Und hier konnte der Theorienrückgriff auf die verhaltensbiologischen Aspekte der Psychoanalyse und ihrer Erkenntnisse, auf die letztlich vieles reduziert wurde (vereinfacht ausgedrückt „Entscheidungen sind emotional getrieben, der Verstand wird überbewertet“) nie wirklich überzeugen. Denn die Verhaltensprobabilistik zeigt bzw. bestätigt vielmehr, dass nicht das rein Emotionale das Ausschlaggebende ist, sondern Konsumentscheidungen weit mehr erfahrungsgetrieben sind. Also auf das, was einmal gelernt wurde, in der Mehrzahl der Fälle gerne wieder zurückgegriffen wird.
Warum können beispielsweise Sportartikelmarken wie adidas oder Nike im Lifestylesegment mit Schuhmodellen der 70er Jahre gerade auch bei reiferen Jahrgängen so gut punkten? Nicht ausschließlich, aber auch deshalb, weil hier in jungen Jahren ein Markenvertrauen bzw. eine entsprechende Begehrlichkeit aufgebaut wurde, an das man immer gerne erinnert wird, und sei es durch die identischen Ursprungsprodukte. Das soll kein Plädoyer für ein Retro im Marketing sein, zeigen doch zahlreiche andere Erfolgsbeispiele wie Nivea, das Konstanz und Konsistenz im Auftritt hier die entscheidenden Größen sind. Und da gilt es für Neueinsteiger und weniger erfolgreiche Player im Markt, dort anzusetzen. Bestehende Prägungen aufzubrechen und durch neue, mit angenehmen Erlebnissen verbundene neue Heuristiken, also das Leben vereinfachende Handlungsmuster, zu ersetzen, aus denen rasch eine Gewohnheit werden kann. Aber eben unter Verwendung, Analyse und mit dem tieferen Verständnis dieser Verhaltensmuster, die es nach meiner Überzeugung viel stärker zu beachten gilt, als das häufig der Fall ist. Z. B., indem Aspekte wie Wiederkaufsneigung, die Markenwahl bestätigende Attribute gezielt regelmäßig überprüft und ggf. in die Kommunikation mit dem Kunden stärker einfließen. Ganz gleich ob explizit oder implizit erhoben (beides ist hier wichtig).
Aus der Neuroökonomie hat mir dazu immer stark die Theorie der kortikalen Entlastung der seinerzeit in Münster lehrenden und forschenden Peter Kenning und Michael Deppe imponiert (Männer, die Kaffee kaufen sollen, und dies nur selten tun, wählen eine Ihnen bekannte Marke, weil sie anstrengungslos Bilder in Ihnen wachruft, die eng mit dem Produkt Kaffee verbunden sind. Hierbei ist nicht die Aktivierung einzelner Regionen das Spannende, sondern die Nicht-Aktivierung. Man spart mentale Energie und wählt das Bekannte, statt sich energieintensiv mit Neuem auseinanderzusetzen). Eine runde Sache, d. h. tieferes Verständnis wird bzw. resultiert aber erst dann daraus, wenn man die Theorien der kognitiven Verhaltensforschung eines Daniel Kahneman, Amos Tversky etc. für die Erklärung von Konsumentenverhalten mit heranzieht und für sich nutzbar macht.
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