Wir Menschen sind für den Tod des Universums verantwortlich, weil wir zu neugierig sind. Diese Idee geistert derzeit durch die Medien. Demnach behaupten die beiden Forscher Krauss und Dent, dass unsere Messungen den Zustand des Universums destabilisieren und zu einem neuen Urknall führen könnten.
Mein erster Gedanke: Was für ein Blödsinn! Da hat mal wieder jemand unzulässigerweise Quantenmechanik und Makrokosmos verknüpft und mal wieder Quatsch herausbekommen.
Ich bin bei sowas sehr, sehr vorsichtig. Denn die Quantenmechanik ist derart weit von unserer beschränkten menschlichen Anschauung entfernt, dass ich die Interpretation von quantenphysikalischen Effekten als vermintes Gelände ansehe. Ich halte mich lieber an eine mathematisch stringente Beschreibung. Denn mathematisch gesehen, lässt sich die Quantenmechanik wunderbar logisch und konsistent beschreiben. Na ja, mit einigen Einschränkungen, ich gebe es zu.
Krauss& Dent scheinen diese Skrupel nicht zu haben. Leider kann ich den Artikel aus dem New Scientist nicht lesen, indem die beiden Forscher ihre sehr seltsame Hypothese ausbreiten. Ich finde aber eine Vorabveröffentlichung ihrer Arbeit hier.
Und sieh mal einer an: Die Idee, dass menschliche Beobachtungen Einfluss auf den Zustand des Universums haben können, wird in dieser Arbeit in gerade mal drei Sätzen behandelt – mit einem dicken Fragezeichen versehen.
Also naja, wenn das nicht nach einem Marketing-Gag riecht.
Laut dem Blog Einsteins Kosmos, dessen Autor offenbar den “New Scientist”-Artikel von Krauss &Dent gelesen hat, berufen sich die Forscher auf den Quanten-Zenon-Effekt. Dieser besagt, dass der Akt der Beobachtung den Ausgang eines quantenphysikalischen Experimentes beeinflussen und ändern kann.
Ich hab hier ein großes Problem mit dem Begriff “Beobachtung”. Er ist meiner Meinung nach nicht sauber definiert und führt zu Missverständnissen. Die englische Wikipedia-Version des Artikel ist da etwas genauer. Hier wird der Begriff “environmental coupling” verwendet, der deutlich mehr beinhaltet als bloßes Zugucken. “Beobachtung” ist hier gleichzusetzen mit einer aktiven Messung bzw. Sondierung des quantenmechanischen Systems. Es muss dabei ein Informationsaustausch stattfinden. Nur dann tritt der Quanten-Zenon-Effekt auf.(1)
Wenn dem nicht so wäre, dann hätte ich während meiner physikalischen Praktika in meinem Studium eine ganz schöne Überraschung erlebt. Wir haben den radioaktiven Zerfall eines bestimmten Stoffes untersucht und dabei aufgezeichnet, wieviele Atomkerne nach einer gewissen Zeit zerfallen sind. Dabei haben wir die Strahlungsquelle kurzzeitig auch direkt angeschaut. Mit einem schwachen Beta-Strahler geht das einige Zeit. Da ist die natürliche Radioaktivität aus der Luft und dem Boden weitaus gefährlicher (1). Dennoch hat das reine Zuschauen gar nichts an der Häufigkeit geändert, mit der die Atome zerfallen sind. Schon gar nicht hat das Hinschauen gar verhindert, dass Atome zerfallen sind.
Was bitte soll an einer kosmologischen Beobachtung so viel anders sein? Auch hier sitzen Menschen an Geräten und fangen einfach das Licht und Elementarteilchen aus dem Kosmos auf. Das ist in den allermeisten Fällen eine rein passive Beobachtung. Von einer gegenseitigen Wechselwirkung mit dem Rest des Universums kann nicht die Rede sein. Es ist nicht so, als ob wir mit einem riesigen Scheinwerfer alles rund um uns herum anstrahlen, um zu gucken, was passiert.
Das einzige, was entfernt den Tatbestand einer aktiven Messung des Universums erfüllen könnte, ist folgendes: Wir sondieren die Planeten und andere Himmelsobjekte in unserem Sonnensystem z.B. mit Radar. Allerdings werden dabei immer “nur” Atmosphären und Oberflächen abgetastet – also makroskopische Systeme. Oder ist eine ganz andere Art der Beobachtung gemeint? In modernen Teilchenbeschleunigern wird aktiv immer mehr Energie erzeugt, um möglichst exotische Teilchen herzustellen und die Zusammensetzung von sub-mikroskopischen Objekten zu vermessen. Immerhin werden hier tatsächlich aktiv quantenmechanische Objekte sondiert. Im Rahmen von Beschleunigerexperimenten ist überhaupt erst der Quanten-Zenon-Effekt nachgewiesen worden. Sollten wir daher am besten unsere Teilchenbeschleuniger abschalten oder unsere Teleskope oder unsere Raumsonden.
Wie man sieht: Es hängt alles stark davon ab, was mit dem Begriff “Beobachtung” gemeint ist. In dem Paper von Krauss und Dent kann ich jedenfalls keinen Hinweis finden, wie die Autoren den Begriff verwenden. Solange aber das nicht ordentlich mathematisch beschrieben ist, halte ich diese ganze “Genaues hingucken zerstört Universum”-Idee für pure Spekulation.
Wer außergewöhnliche Aussagen macht, muss auch außergewöhnliche Beweise liefern.
Drei hingeworfene Sätze in einer wissenschaftlichen Abhandlung und ein populärwissenschaftlicher Artikel erfüllen für mich bei weitem nicht diese Voraussetzungen.
Immerhin ein Ziel haben Krauss & Dent ganz sicher damit erreicht. Man redet über sie.
P.S.: Ich beschäftige mich nicht ständig mit der Quantenmechanik. Allerdings habe ich im Bereich Hochenergiephysik mein Diplom geschrieben und kenne mich mit der Materie daher etwas aus, wenn auch meine Diplomarbeit inzwischen ein paar Jahre her ist.
Falls ich irgendetwas falsch verstanden habe, dann lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.
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(1) So habe ich es jedenfalls verstanden.
(2) Für alle, die es noch nicht wissen. Wir sind ständig von Radioaktivität umgeben und das ist auch gut so. Radioaktivität ist einer der Motoren der Evolution.
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