Jugendkriminalität ist ein Problem und jedes Gewaltopfer ist eines zuviel. Was aber jetzt gerade für ein Medienhype herrscht wegen der angeblich so verdorbenen, ausländischen Jugendlichen – das ist einfach unvernünftig.

Prof. Dr. Michael Walter vom Institut für Kriminologie erklärt in einem Interview mit dem WDR, was er von dem ganzen Hype und den überdrehten Forderungen der Union hält: Gar nichts. Außerdem befürchtet er: “Es besteht die Gefahr, dass viele aus der Häufigkeit der Berichterstattung auf die Häufigkeit der Fälle schließen – darin läge eine Täuschung.”.

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Im Laufe der letzten Woche wurden dann einige Städte lobend erwähnt, weil sie besonders viele ausländische Jugendliche in die Realschule oder im Gymnasium integriert haben. Aber was bedeutet das im Umkehrschluss für die Hauptschulen? Das diese inzwischen zu einem Auffangbecken für schwierige Fälle verkommen sind. Das ist leider nichts Neues, aber in dieser gesamten Debatte ist das anscheinend Nebensache.

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie das für ein Kind sein muss, wenn es nach der Grundschule auf die Hauptschule richtiggehend aussortiert wird. Der Junge oder das Mädchen ist 10 oder 11 Jahre alt und weiß schon jetzt, dass der Zug eigentlich schon abgefahren ist – vor allem in den Großstädten. Verwundert es da irgendwie, dass dieses System frustrierte Jugendliche hervorbringt? Das soll keine Rechtfertigung für die brutalen Taten sein, aber man kann auch nicht völlig die Augen verschließen vor dem Zusammenhang zwischen Gewalt und schlechten Zukunftsaussichten.

Ich weiß auch, dass es möglich ist, von der Hauptschule aus aufzusteigen. Meine Schwester hat diesen Durchmarsch bis hin zum Gymnasium geschafft. Aber ich weiß auch, dass das eher Einzelfälle sind und dass im Falle meiner Schwester auch starke familiäre Unterstützung sehr hilfreich war.

Aber wenn die aus irgendeinem Grund fehlt…

Im Übrigen, wenn harte Strafen wirklich vor schweren Verbrechen schützen würden, dann wäre das Mittelalter in Europa das sicherste Zeitalter aller Zeiten gewesen, angesichts solcher barbarischer Strafen wie z.B. das Rädern und Schleifen für Mörder.

Kommentare (5)

  1. #1 Peter Artmann
    Januar 9, 2008

    Ne, es geht ja nicht unbedingt um härtere Strafen. Das fordert kaum jemand. Aber was sicher helfen würde, wären schnellere Strafen, die direkt auf die Tat folgen.
    Denn wenn so einer, der schon am Dienstag vergessen hat, dass er am Mittwoch in die Schule muss – erst sechs Monate später wegen einer Gewalttat ein Sträfchen bekommt (Tischdienst im Altersheim), dann wird er sein Verhalten sicher nicht ändern (sofern er überhaupt zur Gerichtsverhandlung erscheint und nicht zum dritten Mal in Folge den Termin verpennt hat und von seiner Anwältin aus dem Gerichtssaal auf dem Handy angerufen wird …).

  2. #2 Christian
    Januar 9, 2008

    Das Argument mit den schlechten Zukunftsaussichten wird ja von vielen Seiten immer wieder vorgebracht – und sicher ist es auch korrekt. Es ergibt sich nur die Frage, wie die Gesellschaft mit dem Problem der daraus erwachsenden Jugendgewalt umzugehen hat.

    Die Konsequenz aus dieser Argumentation wäre ja, dass man den frustrierten Jugendlichen bessere Aussichten für die Zukunft aufzeigt – nur wie soll dies funktionieren? Wenn solche Chancen nicht über den freien Markt sondern künstlich erzeugt werden, beispielsweise über staatlich subventionierte Beschäftigungsprogramme, die auch lernunwilligen Jugendlichen (denn die gibt es ja auch) gute Aussichten böten – wäre dies nicht eine einzige gesamtgesellschaftliche Erpressung?

    Frei nach dem Motto: Die Gesellschaft wird sich schon darum kümmern, dass ich mein Auskommen und meine guten Zukunftschancen bekomme – sonst muss sie alternativ sehen wie sie mit meiner Gewalt klarkommt. Das kann es doch auch nicht sein, oder?

  3. #3 L.Carone
    Januar 9, 2008

    @Peter: Ja, das ist völlig unstrittig. Ich behaupte nicht, dass es keine Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

    Aber im Moment wird so getan, als ob uns der Untergang des Abendlandes bevorsteht und die Kriminalität derzeit extrem hoch sei. Das ist aber rein objektiv nicht der Fall. Ich kann mich spontan an zwei ähnliche Fälle schwerer Jugendgewalt im letzten Jahr hier in Köln erinnern, die bei weitem nicht dieses Medienecho hervorriefen.

    Und was Herr Koch da fordert: “Abschiebung für jeden im Ausland geborenen Jugendlichen bei Straftaten” Das SIND härtere Strafen, die so in unserem Katalog nicht vorgesehen sind.

    @Christian: Es ist aber unstrittig, dass es bei uns in Deutschland Kinder aus sozial schwachen Familien viel schwerer haben als im europäischen Vergleich. Das wurde damals im Zusammenhang mit der PISA-Studie publiziert und ist auch jetzt noch gültig. Die Hürden für den sozialen Aufstieg werden schon frühzeitig recht hoch gesetzt und ich denke, dass liegt z.T. an unserem Schulsystem, dass bereits 10jährige als “Versager” auf die Hauptschule aussortiert. Jeder versucht irgendwie, seine Kinder möglichst aufs Gymnasium zu peitschen, mit den Folgen, dass hier in Köln z.B. die Gymnasien völlig überlaufen sind.

    Natürlich darf es nicht in die Richtung umschlagen, die Du beschreibst. Es ist eine Gratwanderung, bei der wir aber gerade langfristig viel gewinnen können. Sonst bekommen wir in 10-20 Jahren das, was wir derzeit in Frankreich erleben und wundern uns dann, wie das passieren konnte.

    Wir sind ja nicht das einzige Land auf der Erde mit Einwanderern und den entsprechenden Problemen. Wir sollten und Frankreich, GB und die USA ansehen und aus deren Fehlern lernen, anstatt sie zu wiederholen.

    Das was gerade in der politischen Diskussion vorgeschlagen wird, das sind alles kurzfristige Lösungsansätze, die einfach nur die Panik der Bevölkerung beruhigen sollen, uns aber langfristig mehr Probleme einhandeln werden – und die alle bereits in irgendeiner Form in den USA, GB oder Frankreich ausprobiert wurden. Ganz abgesehen davon, dass man vieles fordern kann, aber niemand hinterher bezahlen will.

    Würden die jetzt existierenden Programme besser unterstützt und gefördert und das Gerichtssystem entlastet, dann würde sich bereits viel verbessern. Schnellere Strafen, besser Eingliederung.

    Das Don-Bosco-Haus in Siegburg versucht z.B. gezielt Jugendliche aus der dortigen Jugendvollzugsanstalt einzugliedern und das seit Jahren. Die Programme existieren alle. Darin sollten wir investieren, anstatt in puren Aktivismus zu verfallen und das Geld von dort abzuziehen, um ganz neue Baustellen aufzumachen. Darauf laufen die überzogenen Forderungen nämlich hinaus.

    Mir wäre es wirklich lieber, alle die Leute, die jetzt Zeter und Mordio schreien, würden ein bisschen Geld locker machen und auf die Konten dieser Förderprogamme überweisen. Aber reden kostet ja bekanntlich nichts.

  4. #4 Christian
    Januar 10, 2008

    Reden kostet schon etwas – Koch wird es vermutlich in diesem Falle sogar den Wahlsieg kosten…

    Ich persönlich finde Programme, mit denen versucht werden soll, problembehaftete Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren, anstatt sie aufs Abstellgleis zu schieben ja auch gut – keine Frage.

    Ob allerdings noch mehr solcher Programme bzw. mehr Geld das Problem lösen, wage ich doch zu bezweifeln.

    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang eine Szene aus der “Hart aber fair”-Sendung des WDR vom gestrigen Abend. Da wurde ein Jugendlicher befragt, inwiefern er sich mehr solcher Hilfsprogramme wünschen würde. Die Antwort lautete sinngemäß, dass es wirklich schon sehr viele Programme dieser Art gäbe, und dass es eher das Problem sei, dass gerade die Jugendlichen, die es nötig hätten, diese nicht nutzen.

    Unsere Justizministerin Frau Zypries beschwerte sich daraufhin übrigens beim neben ihr sitzenden Grünen-Politiker Mutulu, dass der Jugendliche angesichts solcher Aussagen wohl vor der Sendung “nicht richtig gebrieft” worden wäre – versehentlich ging der Kommentar dann aber ins offene Mikrofon. Wer sich davon überzeugen will findet die schöne Szene im WDR-Mittschnitt in Minute 62:

    https://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?p=4&b=178

    Angesichts dessen habe ich so meine Zweifel, dass mehr solcher Programme viel bewirken würden, solange die Zielgruppe nicht bereit ist, sich darauf einzulassen. Wenn man über das “gebrieft sein” nachdenkt, könnte man sogar auf den Gedanken kommen, dass hier aus ideologischen Gründen eine Lösung gepusht wird, die ebenso kurzsichtig ist wie der Ruf nach drakonischen Strafen. Mit beiden Ansätzen wird man das Grundproblem nicht lösen können.

    Solange Bildung im Bewusstsein vieler Menschen – und eben auch vieler Eltern – einen so niedrigen Stellenwert einnimmt wie jetzt, solange wird sich auch nichts an der Unlust der Jugendlichen ändern. Die Motivation, sich zu bemühen und etwas für seine eigene Zukunft zu tun ist doch gar nicht da, wenn der familiäre Rückhalt fehlt, und man sich in seiner Altersgruppe durch Lernen nur zum Außenseiter macht. Hier müsste dringend Abhilfe geschaffen werden – leider fehlen da von beiden Seiten in der aktuellen Debatte konkrete und umsetzbare Lösungsvorschläge.

  5. #5 L.Carone
    Januar 11, 2008

    @Christian: Ich geb Dir völlig Recht. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ich verlange auch nicht nach mehr Programmen. Schon die jetzt existierenden können teilweise mangels Geld die Nachfrage nicht befriedigen.

    Ein weiterer interessanter Aspekt: Was nützt es langfristig die Jugendlichen 6 Wochen aus ihrer Umgebung zu holen, sie intensiv zu schulen und zu betreuen, und sie dann in ihr altes Milieu zu entlassen, das diese Bemühungen wieder zunichte macht.

    Mein Mann hatte z.B. zwei Suchtkranke in seinem Laden beschäftigt. Bewusst und im Rahmen der Wiedereingliederung. Willig waren sie beide und nett und verständig und alles, aber das alte Milieu hat sie dann leider doch wieder eingeholt. Aber man kann andererseits die Leute ja nicht zwangsweise deportieren.

    Den Willen mit dem alten Umfeld zu brechen und sich radikal zu ändern, der kann nur von einem selbst kommen – und es ist sehr schwer. Besser wäre es natürlich, wenn es gar nicht so weit kommen würde.