Hach ja der Herr Jauch.

Als Moderator mag ich denn sehr gerne. Als Journalisten sehe ich ihn eher ambivalent. So macht er derzeit für eine Show am Sonntag Werbung: “Die Weisheit der Vielen”.

Wie sagte er gestern bei “Wer wird Millionär” sinngemäß?

RTL will testen, ob die Masse mehr weiß als echte oder selbsternannte Experten. Und hier fängt mein Problem bereits an: Es macht einen Riesenunterschied, ob derjenige wirklich ein Experte ist oder sich selbst als einen Experten verkauft. Was habe ich im Fernsehen bereits für “Experten” gesehen…

Unter anderem sah ich bei RTL (!) mal einen Hobbyastronomen als Kometenexperten sitzen. Es war Samstag und die echten Experten an den Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen wahrscheinlich einfach nicht erreichbar. Das soll nicht heißen, dass ein Hobbyastronom nicht viel über Kometen wissen kann. Aber es macht doch schon einen Unterschied, ob man sich damit professionell beschäftigt oder als Hobby. Alleine deswegen, weil einem Experten ganz andere Quellen zur Verfügung stehen z.B. Fachartikel und Konferenzen, zu denen Laien in der Regel keinen Zugriff haben.

Die Sache mit der “Weisheit der Vielen” ging dann in der Sendung direkt schief ging. Es ging um die richtige Schreibweise einer italienischen Kaffeespezialität mit Milchschaum:
(a) Capucino
(b) Capuccino
(c) Cappucino
(d) Cappuccino

48% waren für Antwort b). Da war schon abzusehen, dass mehr als die Hälfte falsch liegen musste. Richtig war dann aber Antwort (d), was ich als Halbitalienerin direkt hätte sagen können.

Die Weisheit der Vielen hat also versagt. Das kann man auch nicht wegdiskutieren, indem man behauptet, dass das nur daran liegt, dass es nirgendwo richtig steht. Denn auch das ist eine große Gefahr der angeblichen Weisheit der Vielen. Wenn man es nicht besser weiß, kann es passieren, dass ganz falsche Ideen als wahr übernommen werden. Und leider hapert es gerade bei den Naturwissenschaften ganz gewaltig mit der vielbeschworenen “Weisheit der Vielen”.

Der CSI-Effekt ist die extremste Ausprägung von falschen Vorstellungen, die zur Wahrheit erklärt werden, weil man es ständig falsch vorgesetzt bekommt. Chris Larssen hat gerade eine Umfrage zu Wissenschafts-Nonsense in Filmen laufen.

Die Gefahr besteht, dass wir unbewusst falsche Filmvorstellung in Ermangelung anderer alternativer Wissensquellen übernehmen. Ich zitiere mal aus dieser Studie: (1)
“Empirical evidence shows that most people learn about law from the media, and specifically, television. Ninety eight percent of Americans have at least one television set, and watch
at least twenty five hours of television programming per week. This amounts to approximately 1,500 hours per year. This positions television as an institutionalized story-teller, telling us
how things work and what to do.”

Übersetzt heißt das, sehr viele Menschen in den USA “lernen” über die Arbeit von Gerichten aus den Medien und da vor allem aus dem Fernsehen. 98% aller Amerikaner haben mindestens ein Fernsehgerät und sehen 25 Stunden pro Woche bzw. 1500 Stunden pro Jahr fern. Der Fernseher ist ein institutionalisierter Geschichtenerzähler, der uns erzählt, wie die Dinge funktionieren und was wir tun sollen.

Tatsächlich haben nicht viele Menschen je einen Gerichtssaal betreten, aber die allermeisten haben einen im Fernsehen oder im Kino gesehen.

Diese Studie untersuchte zudem einen bestimmten Aspekt des CSI-Effektes: Die Annahme, dass Geschworene beeinflusst durch die Serie nach ausgiebigen wissenschaftlichen Beweisen verlangen und bei Fehlen dieser, eine Verurteilung verweigern. Die Forscher konnten keinen Unterschied zwischen häufigen Konsumenten der Serie finden und denen, welche kaum mit der Serie in Berührung kamen. Die Forscher stellten vielmehr einen “Tech-Effekt” fest.

Die meisten Probanden erwarteten tatsächlich wissenschaftliche Beweise, um die Schuld des Angeklagten zu beweisen, selbst wenn sie keine regelmäßigen CSI-Seher waren. Insbesondere wenn es sich um Kapitalverbrechen wie Mord handelte. Das sei aber laut der Forscher etwas, an das sich das Rechtssystem anpassen und nicht bekämpfen sollte.

Obwohl also die Wissenschaftler eine starke Beeinflussung der Menschen durch die Medien annehmen und diverse Studien zitieren, welche dies belegen, scheint der CSI-Effekt zumindest in der untersuchten Hinsicht nicht zu existieren. Allerdings scheint mir die Probandenzahl mit knapp 1000 Leuten etwas zu klein, insbesondere wenn man berücksichtigt, inwieviele Untergruppen unterteilt wird.

Außerdem wird in der Studie selbst erwähnt, dass der Einfluss der Medien durch das inzwischen sehr differenzierte Angebot schwerer zu analysieren ist. Früher gab es nur ein paar Programme, die von sehr vielen Menschen gleichzeitig konsumiert wurden. Da war der Einfluss einer einzelnen Sendung wesentlich besser nachzuweisen als heute.

Aber ein Einfluss scheint dazusein. Soviel also zur stillschweigenden Annahme, dass die Menschen natürlich zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden können. Was sagte noch letztens eine Kandidatin bei “Wer wird Millionär?” (2): “Ich weiß aus “Jurassic Park”, dass “Carnivor” “Fleischfresser” heißt.”

Immerhin versöhnte mich dann ihre Aussage, dass sie gerne ins Kunstmuseum geht und deswegen ein Gemälde richtig zuordnen konnte.
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(1) “A Study of Juror Expectations and Demands Concerning Scientific Evidence: Does the “CSI Effect” Exist? ” Donald E. Shelton, Young S. Kim and Gregg Barak
(2) Ja, ich bin ein TV- und ein Quiz-Junky. Ich schaue sogar CSI sehr gerne. Immerhin werden in der Serie zur Abwechslung mal spröde Naturwissenschaftler und Nerds in einem positiven Licht gezeigt werden.

Kommentare (2)

  1. #1 Chris
    Januar 15, 2008

    Schlimmer finde ich, dass (amerikanische) Studenten laut Paper enorme Probleme haben, “physikalische” Stunts etc. auf ihre Realisierbarkeit hin einzuschätzen. Die Dozenten schlagen Alarm, weil ihre Zöglinge durch Kino & Co. vollkommen falsche Vorstellungen haben. Wenn selbst die angehenden Wissenschaftler damit schon Probleme haben, was ist dann erst in der nicht vorbelasteten Bevölkerung?

  2. #2 Christian
    Januar 15, 2008

    Dies ist bei uns nicht anders – auch in Deutschland gibt es genügend Menschen die (zum Glück) noch nie einen Gerichtssaal betreten mussten und die ihr Wissen über den Ablauf solcher Verhandlungen aus den schrecklichen TV-Gerichtsshows ziehen. Ich hatte an der HS mal einen Jura-Dozenten, der uns Erstsemester gleich in der zweiten Vorlesungswoche für einen Tag in einige seiner Verhandlungen mitgeschleift hat, allein schon um den Viel-TV-Sehern die falschen Vorstellungen von der Juristerei aus dem Kopf zu treiben, bevor er dann in den Stoff eingestiegen ist.

    So gesehen schon erschreckend – eventuell ramponieren wir den ja tatsächlich existenten “Weisheit der Massen”-Effekt zumindest in einigen Bereichen langsam aber sicher durch zunehmende Volksverdummung im TV. Wobei ich CSI noch in die harmloseste Kategorie einordnen würde – man denke nur an die Realitätsferne der besagten Nachmittags-Gerichtsshows.

    Wissenschaftliche Perlen wie die Sagan-Verfilmung “Contact” gibt es eben leider zu wenig. Auch wenn eine Astronomin dort sicher auch noch ein Haar in der Suppe finden kann…