Herr Erdogan war die Tage in der Köln-Arena und hat sich – natürlich nicht uneigennützig – an die hier lebenden türkischstämmigen Bürger gewandt. U.a. forderte er: Türkischsprachige Schulen in Deutschland, weil die Kinder zunächst ihre eigene Sprache in Wort und Schrift beherrschen müssen, bevor sie Deutsch lernen können.
Ich habe heute dazu u.a. den Kommentar von Lale Akgün gehört und stimme ihr voll zu: Nö!
Ich hätte nichts gegen eine gemischte Schule, an der Deutsch und Türkisch parallel von deutschen und türkischen Pädagogen gelehrt und auch von einer gemischten deutsch-türkischen Schülergruppe besucht wird. Aber seien wir doch ehrlich! Wieviele deutsche Eltern würden ihre Kinder Türkisch lernen lassen? Die Gefahr besteht doch, dass an solchen Schulen türkische Kinder unter sich wären und damit hätten wir der Integration einen Bärendienst erwiesen.
Richtig ist, dass endlich nach über 40 Jahren den Leuten klargemacht werden sollte, dass die türkischen Nachbarn in Wahrheit deutsche Nachbarn sind – nur eben mit speziellen Eigenheiten, die aus einem anderen Kulturkreis stammen. Redet heutzutage irgendjemand groß und breit über italienische Einwanderer und deren Eigenheiten? Selbst nach dem letzten “Mafia-Mord” glätteten sich die Wogen ziemlich schnell und meines Wissens forderte kein deutscher Politiker ernsthaft italienische Jugendliche auszuweisen, denen eine Verbindung zur Camorra nachgesagt wird.
Dabei waren noch in den 60er Jahren die meisten Deutschen gegenüber Gastarbeitern aus Südeuropa eher ablehnend eingestellt (1). Inzwischen ist die zweite und spätestens die dritte Generation hier angekommen. Ich persönlich zähle zur zweiten Generation und abgesehen von meinem Namen, meinem südländischen Aussehen und meinem teilweise recht volatilem Temperament ist eigentlich kaum etwas wirklich Italienisch an mir. (2)
Im Übrigen halte ich die These von Herrn Erdogan für falsch. Dass nämlich die Beherrschung der Muttersprache notwendig sei für die Integration. Tut mir leid, aber wenn das stimmen würde, dann ist bei mir und meinen beiden Geschwistern aber irgendetwas falsch gelaufen. Die Beherrschung der Muttersprache schadet sicherlich nicht. Aber zwingend notwendig ist sie auch nicht.
Offiziell sind Italienisch und Rumänisch unsere Muttersprachen. In der Realität sieht es allerdings so aus, dass unsere Eltern andere Dinge im Kopf hatten als die Förderung der “Muttersprachen”- Geld verdienen zum Beispiel. Außerdem waren ihnen die Leistungen in der deutschen Schule allemal wichtiger, als die 4, welche ich beispielsweise im Italienischunterricht nach Hause brachte.
So kommt es, dass die Geschwister Carone Italienisch nur halbwegs gut sprechen können und kaum in der Lage wären, einen Satz unfallfrei zu schreiben. Wir haben es einfach nie richtig gelernt und es war auch nie wichtig für unseren weiteren Weg.
Der muttersprachliche Unterricht hat daran auch nichts geändert, weil die Lehrer davon ausgingen, dass wir uns zumindest in der Familie auf Italienisch unterhalten würden. In Wahrheit sprachen wir mit unseren Eltern den Großteil unserer Kindheit Deutsch und diese antworteten in Pugliese, einem italienischen Dialekt aus dem Süden Italiens. Stellt Euch vor, als Kind würdet Ihr als einzigen Bezugspunkt zur deutschen Sprache nur Bayrisch von euren Eltern hören und aus dem Fernseher, dem Radio käme nur Englisch. Deutsche Literatur wäre Euch unbekannt, weil Eure Eltern keine Zeit zum Lesen fänden oder gar kein Interesse daran hätten. Alle anderen Menschen in Eurem Umfeld sprächen Englisch. Und dann würde von Euch auf einmal verlangt, ein Diktat in Hochdeutsch zu schreiben. Danach müsstet Ihr Euch auch noch dafür rechtfertigen, dass Ihr “Eure eigene Sprache” nicht beherrscht. So lief das bei uns ab und es hat als Kind die Liebe zu meiner ach so tollen Muttersprache nicht wirklich gefördert.
Das Rumänische wurde zu Hause noch weniger gesprochen. Es reicht aber für eine rudimentäre Unterhaltung.(3)
Natürlich ist es schade, dass wir nicht mehr gelernt haben, als wir noch jünger waren. Aber ich sehe es überhaupt nicht ein, mich dafür rechtfertigen zu müssen, dass meine Eltern die Förderung der Muttersprache versäumt haben. Vielleicht lerne ich es irgendwann mal richtig. Wenn ich Zeit und Lust dazu habe. Aber das ist meine Entscheidung und ich wehre mich gegen jeden, der mich dazu drängen möchte. Sogar mein Mann musste sich schon die reichlich unverschämte Frage anhören, warum er denn kein Italienisch gelernt habe. Zweisprachigkeit ist ja schön und gut. Nur sollte man niemanden dazu zwingen.
Im Übrigen beherrschen meine Geschwister und ich dafür eine andere Sprache richtig gut: Deutsch.
Das ist die Sprache, in der wir denken, in der wir träumen und in der wir 90% unserer Gespräche führen. Es ist nicht unsere Muttersprache – aber es ist unsere Heimatsprache und dafür war die fehlerlose Beherrschung der Muttersprache offensichtlich nicht notwendig.
Aber zumindestens eine Sprache sollte man schon fehlerfrei beherrschen und im Zweifelsfall sollte es die Sprache des Landes sein, indem man auch zu Hause ist. Und das ist nun mal hierzulande Deutsch. Es darf aber nicht das passieren, was ich bei einigen türkischstämmigen Deutschen beobachte und was ich auch bei meinen Eltern erlebt habe.(4) Dass sie nämlich weder ihre Muttersprache noch Deutsch “richtig” beherrschen. Dann ist man nämlich nirgendwo richtig zu Hause und daher kann das Gebot der Stunde nur lauten: Besserer Deutschunterricht. Echte Zweisprachigkeit ist zwar wünschenswert, aber letztendlich zweitrangig.
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(1) Zu diesem Thema kann ich nur Kurt Weils, korrigiert nach Hinweis von Wissenswerkstatt Jan Weilers “Maria, ihm schmeckt’s nicht” empfehlen. Es deckt sich in großen Teilen mit meinen eigenen Erlebnissen und den Erzählungen meines Vaters. Es ist ziemlich erschreckend, mit welcher Borniertheit und Intoleranz deutsche Arbeitskollegen der Ehe zwischen einer Deutschen und einem Italiener begegneten. Genauso erschreckend ist es, wie kriecherisch italienische Gastarbeiter sich gegenüber Deutschen verhielten. Mein Vater redete Zeit seines Lebens jeden deutschen Beamten grundsätzlich mit “Chef” an und stellte sich bewusst dümmer an, als er wirklich war.
(2) Nein, ich schmeisse niemals mit Tellern oder sonstigen Essensutensilien – noch nicht mal mit welchen aus Pappe.
(3) Und für einige unübersetzte Szenen aus diversen Hororrfilmen und Mysterie-Serien. Die Filmemacher halten die rumänische Sprache wohl für ausgesprochen schaurig. Insbesondere wenn sie aus dem Munde des Grafen kommt, welchen man überall auf der Welt nur “der Drache/Teufel” nennt.
(4) Anscheinend neigen Menschen dazu, nach Jahrzehnten in der Fremde mit wenigen bis gar keinen Berührungspunkten zu ihrer alten Heimat ihre Muttersprache zu verlernen. Dieses Phänomen ist nicht nur auf deutsche Gastarbeiter beschränkt, sondern lässt sich auch bei deutschen Kriegsbräuten in den USA beobachten. In einer Dokumentation fiel mir auf, dass viele dieser Frauen Deutsch mit einem deutlichen amerikanischen Akzent sprachen und mit den Worten rangen.
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