Nach der neuen Erhebung des Allensbacher Institutes genießen Ärzte mit 78% das höchste Ansehen. Ansehen bedeutet aber nicht unbedingt Vertrauen, denn irgendwie beschleicht mich bei so manchem Blick in die Zeitung das Gefühl, dass wir die Hand beissen, die uns heilen soll.
Natürlich gibt es auch unter Ärzten Betrüger, Pfuscher und Bestechliche, da sollten wir uns nichts vormachen. Vermutlich sind die Kontrollen und Strafen für Kunstfehler verbesserungsbedürftig. Ärzte sind auch nur Menschen – allerdings Menschen mit großer Verantwortung unter teilweiser extremer Belastung. Aber wenn Fehler passieren, dann sind nicht selten Leben und Gesundheit von Menschen bedroht. Insofern ist Kritik sicherlich angebracht.
Warum wird dann an Heilpraktiker nicht derselbe Maßstab angelegt?
So hieß es noch am Wochende in der Lokalzeitung anlässlich einer Gesundheits- und Wellnessmesse in der Region, welche einen Arzt vorstellte, der auch Heilpraktiker ist: “Heilen ist für mich, wenn ich den Menschen ohne Medikamente helfen kann!” – Die Pharmaindustrie wird diesen Arzt nicht mögen.
Na, was haben wir hier wieder für ein mustergültiges Beispiel ausgewogener Berichterstattung! Was soll das denn heißen? “Normale” Ärzte, die bei Bedarf Medikamente verschreiben, sind also Handlanger der ach so bösen Pharmaindustrie, welche dummerweise auch Substanzen herstellt und vertreibt, die Leben retten?
Sollen wir einem Diabetiker sein Insulin vorenthalten? “Heilen” Heilpraktiker eine akute Blinddarmentzündung ohne Medikamente und ohne Skalpell? Und was ist mit offenen Brüchen und Wunden? Warum bespricht die kein Heilpraktiker, damit sie sich ohne “Schulmedizin” schließen? Warum ist die Zahnheilkunde im Heilpraktikergesetz ausdrücklich ausgenommen? Können die etwa keine Löcher in kariösen Zähne durch Energiebahnen und Akupunktur schließen? Das ist aber ganz schön beschränkt, wo doch einige sogar versprechen, Aids und Krebs zu heilen. Ist doch komisch, dass die immer dann zum Einsatz kommen, wenn die Erkrankung oder die Verletzung oder das Unwohlsein nicht akut oder offenkundig für jedermann sichtbar ist. Bösartige Tumore wollen manche Wunderheiler entfernen, aber wenn man blutend auf der Straße liegt, dann darf gerne der Schulmediziner ran.
Während Ärzte in der Presse und in den Medien immer wieder gescholten werden, scheinen für Heilpraktiker andere Regeln zu gelten. Da wird so getan, wie in dem Zeitungsbeitrag an Wochenende, als ob sie nur aus reiner Nächstenliebe handeln und natürlich nicht daran denken, wie sie mit ihren Kügelchen und Sitzungen ihren nächsten Mercedes finanzieren können. Man könnte den Eindruck gewinnen, es seien alles Heilige, weil sie Dinge vertreiben, welche angeblich keine Nebenwirkungen haben. Seien wir aber doch ehrlich: Dieser Satz, den der Heilpraktiker-Arzt von sich gegeben hat; das ist doch reiner Marketingsprech. Wenn ich ganz gemein wäre, könnte ich behaupten: Der will Patienten, die nicht wirklich krank sind und für ein paar nette Worte und Handauflegen Geld von der Krankenkasse einkassieren. Wir sollten zudem nicht so tun, als ob niemand ein wirtschaftliches Interesse an der Herstellung von homöopathischen Kügelchen nutzlosen Zuckerkügelchen und sonstigem esoterischen Schnick-Schnack hat und da keine Industrie hintersteckt.
Außerdem finde ich es entsetzlich, dass wir Menschen ohne ausreichend geprüfte Kenntnisse der Anatomie oder nachgewiesene Erfahrung Nadeln in den Rücken stechen lassen. Immer wieder lese ich, dass selbst bei der ach so tollen Akupunktur immer mal wieder Nadeln nicht ausreichend sterilisiert oder zu tief eingestochen werden, weil die Leute anscheinend keine Ahnung haben, was sie tun. Weil sie z.B. nicht wissen, wie die menschliche Haut aufgebaut ist und weil sie niemals in einem entsprechenden Sezierkurs gesessen und sich das bei einer Leiche oder wenigstens einem toten Schwein angesehen haben. Ist ja auch für die Zulassung nicht nötig. Es reicht völlig aus, jeweils eine mündliche und schriftliche Prüfung beim Amtsarzt abzulegen. Wie lange müssen noch mal Ärze studieren, bevor wir sie lange Nadeln in den Rücken stechen lassen? Hier reichen aber unter Umständen ein paar Monate Auswendiglernerei und schon darf ich lustig punktieren, was das Zeug hält.
Geht`s noch?
Da Heilpraktiker alle keine kleinen Englein sind, wird es auch dort ganz sicherlich einige schwarze Schafe geben, die sich aber wunderbar verstecken können, weil die ganze Zunft praktischerweise ein “Zutritt Verboten”- Schild für Verstand, Kritikfähigkeit und Qualitätskontrolle vor die Tür gehängt hat.
“Eure Regeln gelten hier nicht,” heißt es dann “und wenn es doch hilft.”
Doch natürlich gelten hier unsere wissenschaftlichen Regeln, denn unsere Regeln bestimmen, alles nachzuprüfen, was in dieser unserer Realität stattfindet und wenn es in dieser Realität Menschen nach dem Schlucken einer Zuckerpille besser gehen sollte, als wenn sie ein wirksames Herzmedikament nehmen, dann kann man das auch nachweisen. Dass das Herz regelmäßiger schlägt, das Blutbild sich verbessert etc. Wieso sollte der Heileffekt verschwinden, wenn man sehr viele Menschen untersucht und genau hinsieht? Oder hilft es nur bestimmten ausgewählten Personen und wer oder was entscheidet dann, wer geheilt werden darf und wer nicht?
Aber eins muss man den Heilpraktikern lassen: Sie erzählen den Menschen schöne Geschichten und sorgen dafür, dass sie sich (erstmal) wohlfühlen – ob das langfristig anhält, das ist eine völlig andere Frage. Nicht umsonst hatten diese Gesundheitstage den Zusatz “Wellness”. Die Menschen wollen nicht nur, dass sich ihr Blutzuckerspiegel oder ihr Blutdruck senkt, sie wollen sich auch noch wohl dabei fühlen. Und genau da haben die Ärzte ein Problem.
Kann es sein, dass Ärzte vergessen, die Psyche ihrer Patienten mitzubehandeln? Oder einfach auch dafür keine Zeit haben, selbst wenn sie wollten? Kann es sein, dass Menschen nicht nur ein paar Pillen und medizinische Fachbegriffe haben möchten, sondern auch jemanden, der ihnen zuhört und ihre Sorgen und Ängste Ernst nimmt? Kann es andererseits sein, dass es viele Patienten gibt, die nur Pillen für ihr Wehwechen verlangen, egal ob sie es brauchen oder nicht, und die gar nicht an einem Gespräch interessiert sind? Die sozusagen den Arzt als Tankstelle sehen? Kann es sein, dass der Arzt als unangreifbare, ja, einschüchternde Autorität angesehen wird? Dem zunehmend aufgrund so vieler Ärzteskandale das Vertrauen entzogen wird und man sich deshalb ausgeliefert fühlt?
Vielleicht sollte man genau hier angreifen und den Heilpraktikern diesen Wellnessbereich streitig machen. Vielleicht sollten Ärzte diese mechanistische Behandlung von oben herab mit unverständlichem Fachvokabular überdenken. Vielleicht sollten wir ihnen aber auch genau das ermöglichen, indem wir ihnen die Zeit dafür zugestehen. Vielleicht sollte der Arzt zu einem Partner in der Behandlung werden, zu einem väterlichen/mütterlichen Freund, der Ratschläge erteilt, statt von oben herab Pillen durch die Gegend zu werfen. Dafür bedarf es auch der Mithilfe der Patienten, die als selbstbewusste Partner in diese Beziehung eintreten sollten. Wäre das nicht wahre ganzheitliche Behandlung?
Aber ich fürchte, dass es eine unbezahlbare Utopie bleiben wird.
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