Man sollte meinen, dass es eigentlich keinen guten Grund gibt, der gegen das Tragen von Fahrradhelmen spricht. Vor allem finde ich es sehr übertrieben, deswegen Glaubenskämpfe auszufechten.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Recherche bin ich über eine australische Studie von D.L. Robinson gestolpert (1), in der behauptet wird, dass die Einführung der Fahrradhelm-Pflicht in Australien Anfang der 90er Jahre kaum Kopfverletzungen vermeiden half, sondern eher die Leute davon abhielt, überhaupt radzufahren – jedenfalls in den ersten beiden Jahren.
Nun basierte diese Untersuchung auf Zahlen von drei australischen Bezirken aus den Jahren 1990-1992. Niemand sagt, ob sich langfristig nicht doch wieder mehr Leute auf’s Fahrrad bequemten, nachdem sie sich an die Helmpflicht gewöhnten. Tatsächlich zeigten zumindest die Zahlen aus dem Bezirk Victoria bereits im zweiten Jahr nach Einführung des Gesetzes wieder eine deutliche Zunahme an Fahrradfahrern.
Die Sache mit der Kopfverletzung ist außerdem schwierig zu bewerten, wie die Autorin selber zugibt, weil zeitgleich andere unfallreduzierendes Maßnahmen wie stärkere Kontrolle von überhöhter Geschwindigkeit und Alkohol am Steuer durchgeführt wurden. Vielleicht ist die spezielle Situation in Australien einfach nicht zulässig, um zu studieren, inwiefern die Einführung der allgemeinen Helmpflicht wirklich zu einer Reduktion von Kopfverletzungen beiträgt.
Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2001, welche eine Reihe von Studien aus verschiedenen Ländern auswertete, kommt dagegen zu einem ganz anderen Schluss:(2)
Demnach verringert sich durch einen Fahrradhelm sehr wohl das Verletzungsrisiko um 45% für Kopfverletzungen, 33% für Verletzungen des Gehirns, um 27% für Verletzungen im Gesicht und 29% für tödliche Verletzungen.
Im Jahr 2006 wärmte D.L. Robinson in weiten Teilen ihre alte Studie aus den 90er Jahren (3) wieder auf und ergänzte sie lediglich mit ein paar Zahlen aus einem kanadischen Bezirk und aus Neuseeland. Demnach zeigte die Einführung einer allgemeinen Helmpflicht Anfang der 90er immer noch keine großartige Verbesserung in den Unfalldaten. Welche große Überraschung! Das erklärt Robinso damit, dass behelmte Radfahrer risikoreicher fuhren als unbehelmte, weil sie sich durch den Helm zu sicher fühlten. Außerdem könnte es sein, dass weniger Radfahrer unterwegs waren und daher die Autofahrer “vergaßen”, dass sie auf diese Verkehrsteilnehmer auch Rücksicht zu nehmen haben. Sie wirft anderen Studien, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen, eine unzureichende Methodik vor. Ihrer Meinung nach hatte die allgemeine Helmpflicht nur einen sichtbaren Effekt: Die Anzahl der Radfahrer nahm ab – zumindest in den drei australischen Provinzen. Nur diese Zahlen verwendet sie, weil die Zahlen aus anderen Bezirken und Ländern ihrer Meinung nach nicht zu verwenden sind.
Interessanterweise zeigt D.L. Robinson nicht, ob die Zahl der Radfahrer nach über 10 Jahren in den drei untersuchten australischen Bezirken immer noch so niedrig ist. Sie beschränkt sich lediglich auf einen kurzen Zeitraum – auf das eine Jahr vor Einführung und auf die zwei Jahre nach Einführung des Gesetzes, um ihre These von der eher abschreckenden Wirkung von Fahrradhelmen zu untermauern. Das belegt sicherlich einen kurzfristig abschreckenden Effekt. Aber man sollte meinen, dass im Jahr 2006, über 10 Jahre danach, mehr Daten zur Verfügung ständen, um die langfristigen Effekte der Helmpflicht für Fahrradfahrer zu bewerten. Aber dieses naheliegendeThema wird noch nicht mal angerissen, was mich mehr als stutzig macht.
D. Robinsons Schlussfolgerung, dass die Helmpflicht sich nicht in einer Verminderung des Unfallrisikos niederschlägt, wird noch in der gleichen Ausgabe der BMJ von den Autoren Brent Hagel, Alison Macpherson, Frederick P Rivara und Barry Pless auseinandergenommen. (4) Diese werfen wiederum Robinson unsaubere Methodik vor. Ihrer Meinung nach zeigen auch die australischen Daten einen Zusammenhang zwischen Helmpflicht und einem Rückgang der Kopfverletzungen – allerdings einen recht schwachen. Außerdem geben sie zu Bedenken, dass in dem untersuchten Zeitraum Inline-Skating populär wurde und dass vielleicht auch deswegen weniger Radfahrer unterwegs waren. Sie wechselten das Transportmittel. Andere Studien zeigten zudem, dass Radfahrer mit Helm eben nicht risikoreicher fuhren – sondern ganz im Gegenteil. Also fällt das als Erklärung für die australischen Daten aus.
Auch ich muss nach dem Lesen sagen, dass ich Dorothy Robinsons Zahlen alles anderes als überzeugend finde. Sie gibt in der 1996er Studie selber zu, dass ihre Zahlen wahrscheinlich durch andere Einflüsse verfälscht sein könnten, was sie aber nicht davon abhält, selbst im Jahr 2006 einen positiven Effekt von Fahrradhelmen abzustreiten. Außerdem sind ihre Daten stark regional und zeitlich begrenzt und sie gibt in der 2006er Studie an einigen Stellen indirekt zu, dass sie sich nur ganz bestimmte Datensätze rausgesucht hat. Einige hat sie verworfen, weil sie ihrer Meinung nach fehlerhaft waren. Darunter waren auch Daten aus Ontario, die ihrer These vom allgemeinen Rückgang der Fahrradfahrer widersprachen.
Im besten Fall würde ich sagen, dass Robinsons Daten nicht aussagekräftig genug sind, um ihre Thesen zu untermauern. Ich kaufe Frau Robinson jedenfalls nicht ab, dass sie auf weiter Flur die einzige ist, welche den Durchblick hat. Nicht mit diesen handverlesenen Daten.
Nur an ihrer Warnung, dass der Helm das Radfahren zumindest kurzzeitig unattraktiv macht, daran könnte wirklich was dran sein.
Aber dem lässt sich z.B. mit einer Gesundheitskampagne und Bonusprogrammen gegensteuern, bis sich die Menschen an die Helme gewöhnt haben. Zu diesem Schluss kommt z.B. auch eine weitere Studie, die sich mit den ethischen und juristischen Fragen der Einführung einer allgemeinen Helmpflicht auseinandergesetzt hat.(5)
Diese Autoren geben zu Bedenken, dass natürlich eine allgemeine Helmpflicht ein Eingriff in die persönliche Freiheit ist und dass Helme das Freizeitvergnügen vermiesen könnten. Aber der Helm sei ein geringer Eingriff, dem gegenüber eine deutlicher Nutzen für die Gemeinschaft durch verringerte Kosten für das Gesundheitssystem stehe – wegen dem verringerten Verletzungsrisiko. Zudem hätten die Menschen langfristig auch den Sicherheitsgurt akzeptiert, warum soll das beim Helm anders sein?
Tatsächlich erscheint mir diese Helmdebatte wie die alte Sicherheitsgurt-Debatte in einem neuen Gewand.
Also, tut mir leid Leute, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin, dann ziehe ich mir einen Helm auf. Im Zweifelsfall ist dann zumindest mein wichtiges Körperteil gut geschützt. Genauso achte ich natürlich auf eine gute Beleuchtung. Soviel ist mir die Gesundheit schon wert und wenn der Helm richtig eingestellt ist, merkt man den auch nicht. Wenn außerdem manche Leute lieber aufs Rad verzichten, als sich einen Helm aufzusetzen, dann kann ich nur sagen: Das ist eine total kindische Trotzreaktion, die ich nicht auch noch unterstützen muss.
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(1) Head injuries and bicycle helmet laws, Accident Analysis & Prevention, Volume 28, Issue 4, July 1996
(2) Bicycle helmet efficacy: a meta-analysis, Accident Analysis & Prevention
Volume 33, Issue 3, Mai 2001
(3) No clear evidence from countries that have enforced the wearing of helmets, BMJ 2006;332:722-725 (25 March), 2006
(4) Arguments against helmet legislation are flawed, BMJ 2006;332:725-726 (25 March)
(5) Making cycle helmets compulsory: ethical arguments for legislation, Journal of Royal Society of Medicine,97, 2004
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