Als Wissenschaftler in Deutschland läuft man wortwörtlich Gefahr, dass einem die Decke auf den Kopf fällt.

An der Kölner Universität müssen mit sofortiger Wirkung 12 Hörsäle aus Sicherheitsgründen geschlossen werden, weil…die Gefahr besteht, dass sich die Lampen aus der Verankerung lösen.

Das wundert mich sowas von gar nicht.

Was habe ich in den letzten 10 Jahren alles an deutschen Unis erlebt…

Noch während meines Studiums wurden im pharmazeutischen Institut der Uni Bonn Labore geschlossen, nachdem Stücke von der Decke bröckelten. Am chemischen Institut war es normal, dass einige Fenster mit Holzplanken zugenagelt waren. Ich sag Euch, das macht so richtig Eindruck auf einen jungen Studenten. Da weiß man direkt, wo man als Wissenschaftler steht.

Mir ist ein Fall bekannt, wo ein deutscher Institutsleiter nur deshalb nicht von seiner einstürzenden Zimmerdecke verletzt wurde, weil er in dem Moment zufälligerweise gerade nicht an seinem Schreibtisch saß.

Letztes Jahr berichtete die Kölner Presse groß über den Wasserskandal an der Uni Köln. Im Frühjahr wurde – nach was weiß ich wie langer Zeit – die Wasserqualität an den einzelnen Instituten getestet. Uns wurde irgendwann einfach gesagt, dass wir nach dem Wochenende erst mal das Wasser 10 Minuten lang laufen lassen sollten. Ohne Begründung. Allerdings dachten wir uns unseren Teil – und arbeiteten in den Räumlichkeiten weiter. Wissenschaftler sind so schizophren.

Irgendwann war ein Mitarbeiter der Uni derart frustriert über diese Kommunikationspolitik, dass er die entsprechenden Informationen an die Presse weitergab. Es stellte sich heraus, dass wir Legionellenbefall hatten – was “nicht so schlimm ist, weil wir schließlich in den Räumlichkeiten nicht duschen”. Irgendwie konnte ich darüber trotzdem nicht lachen. Aber immerhin kamen wir relativ glimpflich davon. In anderen Instituten wurde eine deutlich zu hohe Schwermetallbelastung festgestellt. Also das ist mir dann doch etwas zu heftig.

Studenten berichten, dass die Toiletten des physikalischen Instituts eigentlich völlig marode sind. In unseren alten Räumlichkeiten müffelte es alle paar Wochen auf den Klos nach Kloake – bis der Hausmeister irgendetwas machte und erst mal für ein paar Monate wieder Ruhe war.

Das soll hier kein Angriff auf die Verwaltung der Uni Köln sein. Die verwalten auch nur den Mangel. Außerdem ist das nicht nur in Köln so.

Das Schlimme ist, dass das in vielen Fällen Alltag an Universitäten in Deutschland ist. Als Wissenschaftler leben wir tagtäglich klaglos mit Zuständen, wegen denen andere Leute schon längst den Betriebsrat bemüht hätten – bei ständiger Überarbeitung und im Verhältnis zur Leistung und tatsächlichen Arbeitszeit deutlich zu geringen Bezahlung. Mein Chef erzählte mal, dass er am DLR Köln-Porz gezwungen war, seine Zeiten abzustempeln. Seine Lösung? Er ging zur Stechuhr, trug sich aus und ging wieder zurück ins Büro, um völlig unoffiziell und eigentlich illegal weiterzuarbeiten. Die Arbeit muss schließlich gemacht werden und es ist normal, dass wir immer ein paar Leute mehr gebrauchen könnten – die nur keiner bezahlen kann.

Wir brauchen schon keine Ausbeuter mehr. Wir beuten uns selbst genügend aus. Und wofür? Für Erkenntnisse, die den allermeisten Menschen auf diesem Planeten am Musculus gluteus maximus vorbeigehen – wenn sie denn jemals davon hören werden. Und dann müssen wir uns von Presseleuten teilweise anhören, dass wir einfach mal was sagen müssen.

Ja, ne ist klar. Wir arbeiten immer knapp am Rand des völligen Zusammenbruches vor uns her, um unsere eigentliche Arbeit zu bewältigen, ganz abgesehen von dem Verwaltungskram, den wir zusätzlich noch machen dürfen und dann sollen wir uns auch noch die Zeit nehmen, uns professionell PR-technisch zu vermarkten? Denkt Ihr vielleicht, so eine Pressemitteilung schreibt sich von alleine? Am besten sollen wir auch noch so ganz nebenbei tolle Bilder und Animationen aus dem Ärmel schütteln.

Wir können noch nicht mal streiken! Wer würde es denn bemerken, wenn deutsche Wissenschaftler nicht arbeiten? Höchstens andere Wissenschaftler. Wir würden uns eigentlich nur selbst schaden, wenn wir nicht mehr im Hamsterrad namens Forschung mitlaufen. Zumindest wenn wir es darin zu etwas bringen wollen.

Gleichzeitig fantasieren sich einige Leute etwas vom wahnsinnig großen Einfluss des wissenschaftlichen Establishments zusammen.

Ja ne, ist klar. Der Einfluss von Wissenschaftlern in Deutschland auf die Politiker ist so groß, dass wir in maroden Gebäuden arbeiten dürfen.

P.S.:
Gedanken einer gerade völlig, d.h. noch mehr als sonst, überarbeiteten und übermüdeten Wissenschaftlerin an einer großen deutschen Uni, die sich gerade fragt, wozu sie eigentlich das Ganze macht…Wie meinte mein Mann letztens zu mir: “Ich würde Dir gerne was zum Geburtstag schenken, aber das steht nicht in meiner Macht. Ich kann Dir keine Zeit schenken. Aber davon hast Du eigentlich immer viel zuwenig.”

Das sagt doch alles.

Kommentare (3)

  1. #1 Laborsklave
    April 10, 2008

    Oh mein Gott.

    Ich muss in den letzten vier Jahren in einem Paradies gelebt haben … klar ist die Bezahlung schlechter als sie in der Industrie wäre, aber wenigstens sind unsere Gebäude noch intakt, wenn auch nicht sonderlich modern.

    Manchmal hilft es, die Misstände auf die Studenten weiterzutragen, aber so, dass sie auf der eigenen Seite bleiben. Im Sinne von “wir würden die Praktika gerne mit neueren und funktionierenden Geräten machen, aber wenn WIR uns beim Präsidium beschweren, ist denen das egal …”

    Als ich Student war, haben wir das auch gemacht, allerdings “anders”. Wir haben systematisch das RZ solange mit Jobs überlastet, bis die glaubwürdig argumentieren konnten, dass sie neue Pool-Rechner brauchten. 🙂

  2. #2 Christian
    April 11, 2008

    Hallo Ludmilla,

    Du klingst ganz schön fertig und genervt – und angesichts der Zustände die Du beschreibst, kann das wohl auch jeder nachvollziehen. Ich muss sagen, dass ich die “Verwahrlosung” (so könnte man das ja wohl nennen) in dieser Form noch nie erlebt habe. Hier wird regelmäßig investiert und auch rennoviert – was ich aber auch auf eine gute “wissenschaftliche Lobbyarbeit” unsererseits zurückführe.

    Wir sind vermutlich unterschiedlicher Meinung, wenn es um die Frage geht, wer für “Wissenschafts-PR” und gute Finanzierung zuständig ist oder sein sollte, in der Beurteilung der Lage sind wir uns aber vermutlich einig: Die Förderung von Wissenschaft und Forschung steht nicht weit oben auf der Prioritätenliste vieler Politiker. Natürlich sollte das anders sein, aber von alleine wird es sich leider nicht ändern. Man muss hier auch die Situation der Politiker bedenken: Die werden jeden Tag lautstark mit Forderungen und Beschwerden zugeschüttet, meist von bezahlten Lobbyisten sowie organisierten Bürgern, die sich dieses oder jenes wünschen.

    Evolutionslehre in den Schulen, doch keine Evolutionslehre in den Schulen, mehr regenerative Energie, keine störenden Windräder, neue Straßen, mehr Förderung für den öffentlichen Nahverkehr, mehr Einwanderung, weniger Einwanderung, Gewalt an den Schulen, Praxisgebühr, HarzIV usw. usf. Üblicherweise steht niemand bei denen auf der Türschwelle und sagt, dass mal mehr Geld und Aufmerksamkeit in die Planetenforschung, in Philosophie oder in Archäologie investiert werden sollte.

    Angesichts der Masse an Forderungen und Anfragen, mit denen die Politik täglich überlastet wird, ist nicht zu erwarten, dass sich das Thema von alleine auf die Tagesordnung setzt. Niemand macht sich dafür stark, also fällt es hinten runter. Und nun kommt nach Fehler Nummer Eins gleich noch Fehler Nummer Zwei. Denn niemand regt sich lautstark darüber auf. Meistens nicht mal leise – gerade Wissenschaftler zeichnen sich ja häufig nicht durch Streitlust aus…. Wie stellt sich das für den Politiker dar? Auf dem Tisch häufen sich die Anfragen von Menschen, die sich aktiv für ihre Belange einsetzen. Das macht zunächst mal mehr Eindruck als wenn nichts kommt. Planetologie klingt auch erst mal nicht so wichtig wie – sagen wir mal – Gewalt an Schulen oder Arbeitslosigkeit. Also schiebt man es nach hinten – und kein Mensch beschwert sich. Schlussfolgerung: Scheinbar ist es wirklich nicht so wichtig.

    Nun sagst Du: Eigentlich müsste das anders sein. Und Du hast natürlich recht. Aber von alleine wird nichts passieren. Und natürlich sind Wissenschaftler überarbeitet – aber dennoch muss manchmal einfach Zeit sein für eine gute Vermarktung und für Lobbyarbeit in eigener Sache. Dafür fällt bei mir manchmal die Teilnahme an einem spannenden Fachkongress flach. Oder ein Forschungsprojekt wird zwei Monate später fertig. Oder – so schwer das manchmal fällt – es erscheint ein Fachartikel weniger. Und ja – all das ist eigentlich wichtiger als Vermarktung und PR – aber wenn letzteres nicht funktioniert sitzt man irgendwann unter einer brüchigen Decke…..

    Bloss weil bei einem Politiker Forschung und Wissenschaft nicht ganz oben auf der Liste stehen, bedeutet das noch lange nicht, dass es sich um einen Ignoramus handelt, der sich dafür nicht interessiert. Keineswegs. Aber ebenso wie ein Wissenschaftler muss auch ein Politiker entscheiden, wofür er seine Zeit (und auch seine Kontakte) investiert. Gerade auf der kommunalen Ebene hilft es häufig schon, einfach mal mit ein paar Entscheidungsträgern zu reden, sich vorzustellen und ein wenig von der eigenen Arbeit zu berichten, zu erläutern, warum sie eben doch wichtig ist (auch wenn sie vielleicht vielen am gluteus maximus vorbeigeht).

    Der Rat der Stadt Köln unterhält beispielsweise einen Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Dieser besteht gerade mal aus 10 Abgeordneten die über die Budgethohheit für Sanierungsprojekte an Bildungseinrichtungen bis zu 1,5 Millionen Euro verfügen. Ohne mich näher damit befasst zu haben (da ich nun mal nicht aus Köln komme), vermute ich zwar, dass man dort eher für Schulen und Berufsschulen zuständig ist – aber irgendwo gibt es auch jemanden, der etwas für die Uni bewegen kann, da kannst Du Dir sicher sein. Dann gibt es noch Abgeordnete im Landtag sowie im Bundestag, beispielsweise Kerstin Müller (Grüne), die für den Wahlkreis Köln III im Bundestag sitzt und nebenbei auch im Kuratorium des Max-Planck-Instituts sowie im Stiftungsrat der Stiftung “Wissenschaft und Politik” in Berlin. Von generellem Desinteresse an wissenschaftlichen Fragen ist da nicht auszugehen. Und so weiter und so fort…..

    Es ist keineswegs so, dass einem auf der politischen Ebene niemand zuhören würde, wenn man ein vernünftiges Anliegen vorträgt. Aber man muss es auch machen und sich nicht zu fein dafür sein, sich in politische Gefilde zu begeben (das ging jetzt natürlich nicht gegen Dich, ich kenne aber einige Kollegen, die genau so denken). Wenn man das Gefühl hat, dass auf der politischen Ebene zuwenig für die Ausstattung der Uni oder der Labore getan wird, hält einen nichts davon ab, gegen diesen Zustand zu protestieren. Am besten, man sucht sich eine Partei aus, mit deren Zielen man sich identifizieren kann, tritt ein, geht zu den Versammlungen, spricht mit den Leuten und erläutert den eigenen Standpunkt. Dabei hilft es natürlich enorm wenn der Lehrstuhl auch ein wenig professionelle PR betreibt, Pressemitteilungen verfasst und ganz allgemein versucht, nach außen darzustellen, warum denn die Förderung der eigenen Forschungen auch Nicht-Wissenschaftlern am Herz liegen sollte.

    All das kostet Zeit – Zeit, die in der Forschung fehlt und die dann dazu führt, dass Projekte liegenbleiben oder Paper nicht geschrieben werden. So sollte es natürlich nicht laufen, momentan sehe ich aber keinen Weg dies zu umgehen, wenn man sich für mehr Wissenschafts- und Forschungsförderung einsetzen möchte. Die wenigsten Unis leisten sich (meist auch aus Geldmangel) einen oder mehrere professionelle “Kommunikatoren”, die die Forschung nach Außen “verkaufen”. Im Grunde bräuchte man solche Leute in jeder wissenschaftlichen Einrichtung – und gerade in Hochschulen – aber soweit ist Deutschland zur Zeit einfach noch nicht.

    Forschung und Wissenschaft sind wichtig und sollten gefördert werden. Warum das so ist und an welchen Enden es noch fehlt, weiß der Politiker aber nicht von alleine und es ist nicht zu erwarten, dass er von alleine “eingeschwebt” kommt und sich informiert, wenn sich niemand jemals bei ihm für die Belange der Forschung einsetzt und sich auch niemand jemals beschwert, wenn das Thema wieder mal nach hinten geschoben wird.

    Ich kann natürlich nicht auf ganz soviel Lebenserfahrung verweisen wie Du, aber wenn ich meine HiWi-Jahre dazurechne komme ich immerhin auch schon auf 6 Jahre Hochschul- und Instituts-Arbeit, davon immerhin 3 als “Vollzeit-Wissenschaftler”. Die Erfahrungen, die ich bisher sammeln konnte, haben mich zu der Erkenntnis geführt, dass es sich lohnt, die reine Forschung an manchen Tagen auch mal hinten anstehen zu lassen, um andere für die eigene Arbeit zu begeistern.

    Wissenschaft muss begeistern, wenn sie gefördert werden will. Wir müssen raus zu den Leuten, raus in die Öffentlichkeit und rein in die Vereine und Parteien. Und das – nartürlich nicht – aus reinen PR-Gründen oder um irgendjemanden zu manipulieren und an Geld zu kommen. Ganz im Gegenteil. Wissenschaft ist spannend und oft staunt man, wie Menschen, von denen man das nie erwartet hätte, sich für Themen begeistern können, die für einen selbst vielleicht alltäglich sind. Gerade bei der Planetologie könnte ich mir das auch gut vorstellen – wen fasziniert das denn nicht?

    Und genau deshalb lohnt es sich, für das eigene Thema zu begeistern. Und natürlich auch bei Politikern und Verwaltern vorstellig zu werden – nicht um sich zu beschweren und zu fordern, sondern um zu erläutern, warum es eben doch wichtig ist, dass die Wissenschaft nicht ins Hintertreffen gerät. Standortsicherung. Internationaler Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Übergang zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Es gibt viele Gründe, warum Wissenschaft und Forschung wichtig sind – und natürlich auch, warum gerade das eigene Thema nicht in Vergessenheit geraten sollte. Da ist echte Überzeugungsarbeit zu leisten. Und natürlich bleibt dabei etwas liegen. Lohnenswert ist es dennoch. Man darf bloss nicht verzweifeln und die Hoffnung aufgeben….

  3. #3 florian
    April 11, 2008

    Kommt mir irgendwie alles sehr bekannt vor…
    Die Sternwarte in Wien ist seit Jahren eingerüstet – nicht, weil sie renoviert wird, sondern damit eventuell abbröckelnde Teile den Leuten nicht auf den Kopf fallen. Und nen eingestürzten Hörsaal hatten wir in Wien auch schon (war damals passenderweise kurz nachdem Studiengebühren eingeführt wurde). Ich könnte ja jetzt noch von den Zeiten erzählen, als wir das Klopapier selbst von zuhause mitbringen mussten, weil die Uni kein Geld mehr dafür ausgeben wollte…
    Tja – der Uni fällt irgendwie ne vernünftige Lobby. Das, was an den Unis gemacht wird, ist enorm wichtig für alle (auf jeden Fall, wenn man es langfristig betrachtet) – trotzdem würde – wie du sagst – niemand reagieren, wenn Unimitarbeiter (oder gar Studenten!) streiken. Und wenn man sich die politische Situation anschaut, wird sich da wohl nicht viel ändern in nächster Zeit. In Österreich will der Wissenschaftsminister gerade wieder neue Zugangsbeschränkungen für Diplom- und Doktoratsstudien einführen (als wäre die Akademikerquote dort nicht eh schon gering genug) – und die Studien werden immer stärker an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausgerichtet: “”Die Rektoren sollen wirtschaftsgängige, ordentliche Bachelor-Studiengänge entwickeln”. Genau, wer braucht schon Forscher mit Doktortitel? Rein in die Uni, ein paar Semester das lernen, was die Wirtschaft so haben will und mit nem Bachelor wieder raus – die Sache mit den desolaten Forschungseinrichtungen regelt sich dann von selbst – denn dann forscht ja eh niemand mehr…