“Ist die Relativitätstheorie nur eine Theorie oder ist sie inzwischen Fakt?”
Das wurde ich mal von Freunden gefragt und spätestens da habe ich gemerkt, dass irgendetwas ganz gehörig schief läuft bei der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Für mich als Wissenschaftler ergibt diese Frage schlicht und ergreifend keinen Sinn.
Eine wissenschaftliche Theorie ist also nicht das, was man landläufig als Theorie bezeichnet.
Das, was allgemein als Stand der Wissenschaft oder wissenschaftlicher Fakt bezeichnet wird, das sind alles wissenschaftliche Theorien. Unsere Computer, unsere Autos, unsere Antibiotika, das alles beruht auf wissenschaftlichen Theorien.
Also, was ist das? Eine wissenschaftliche Theorie?
Tja, da gibt es einige Hürden zu überwinden:
a) Logik
Jedes Naturgesetz und jede wissenschaftliche Theorie startet als Idee. In der Sprache der Wissenschaft bezeichnet man das als Hypothese. Und die muss zuallerst mal logisch sein. Daher ist die Mathematik die Sprache der Naturwissenschaft. Auch deswegen, weil man zwar mit der Mathematik auch lügen kann, aber dass ziemlich schnell auffliegt. (1) 2+2 ergibt nun mal 4 – völlig unabhängig davon, wie die persönliche Meinung aussieht. Eine logische und mathematische Beschreibung wie hier z.B, das unterscheidet eine wissenschaftliche Idee von irgendeinem Hirngespinst, das jemand auf seine Homepage klatscht.
b) Nachprüfbarkeit – Realitätscheck
Eine Hypothese wird nur dann zum Naturgesetz oder Teil einer wissenschaftlichen Theorie, wenn sie sich überprüfen lässt. D.h. es muss sich immer eine Kette von Ereignissen finden lassen, die durch diese Hypothese beschrieben werden kann (experimentelle Bestätigung). Gleichzeitig darf es keine Ereignisse geben, welche dieser These widersprechen (experimenteller Gegenbeweis oder Falsifizierbarkeit) . Es muss immer irgendwo ein Vergleich zwischen mathematischer Beschreibung und der Realität stattfinden, so wie sie sich uns darstellt. Geht dieser Vergleich schief oder ist er selbst indirekt und in ferner Zukunft nicht möglich, wird die Hypothese als unwissenschaftlich aussortiert.
c) Konsistenz – Keine Widersprüche erlaubt
Die Naturgesetze und Theorien dürfen sich nicht widersprechen. Wenn sie das tun, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass irgendetwas in den Beschreibungen nicht ganz richtig ist. Denn Naturgesetze sind keine völlig unabhängig voneinander existierenden Gebilde, sondern hängen meist miteinander zusammen und/oder bauen aufeinander auf. Wenn an einem Gesetz, was geändert werden muss, hat das immer Folgen für eine ganze Reihe von anderen Gesetzen. Streng genommen ist es eigentlich eine Folge aus a). Denn logische Aussagen sind widerspruchsfrei.
Besonders wichtig dabei: Es gibt in der Wissenschaft niemals den alle Zweifel ausräumenden allgemeingültigen Beweis. Die Wissenschaft wird sich daher niemals auf ihren Lorbeeren ausruhen und sagen können: Die Welt ist halt so. Wissenschaftler wissen, dass ihre Beschreibungen allenfalls gute Näherungen der Realität sind und dass es immer etwas geben wird, das wir nicht wissen. Das mag unbefriedigend erscheinen, verhindert aber, dass Wissenschaft in Dogmatismus erstarrt und sich Neuerungen gegenüber verschließt. Man könnte es als ultimative sokratische Sichtweise bezeichnen. Es wäre auch ziemlich langweilig, wenn es nichts mehr herauszufinden gäbe 😉 Auch wenn einige Leute meinen, genau diese Offenheit für neue Ideen sei ein Nachteil und eine Sicherheit verlangen, die es so niemals geben wird, und die sie gleichzeitig unehrlicherweise weder sich selbst noch anderen Ideen abverlangen.
Gleichzeitig sind Wissenschaftler auch Pragmatiker. D.h. sie erkennen zwar an, dass ihre Theorien und Gesetze die Wirklichkeit nicht bis ins letzte Detail widergeben können, dass sie “nur” Annäherungen an die Wirklichkeit sind und dass Irrtümer vorkommen können. Aber solange es funktioniert, haben sie kein Problem damit, die bestehenden Theorien ausgiebig und höchst erfolgreich in der Praxis zu verwenden (z.B. in Form von Computern, Glühbirnen, Fernsehern etc.), bis die nächste Verbesserung daherkommt. (Das ist natürlich alles ein Idealbild. In der Realität neigen einige Wissenschaftler dennoch zu wilden Spekulationen oder zu Dogmatismus. Tja, sind eben auch nur Menschen – kaum zu glauben!)
Spätestens seit Newton, Galilei, Kepler und co wird also alles, was wir sehen und messen können, mit Naturgesetzen und Theorien mathematisch beschrieben.
Dieser Weg funktioniert in zwei Richtungen.
a) Induktiv (Erst Experiment, dann Naturgesetz):
Ein Apfel fällt zu Boden, wenn ich ihn loslasse. Wie kann ich das mathematisch und im Einklang mit anderen Naturgesetzen beschreiben? Gilt das Gesetz auch für Birnen und Holzkugeln? Das Newtonsche Gravitationsgesetz erklärte nicht nur den freien Fall eines Apfels, sondern auch die Keplerschen Gesetze, welche die Bewegung der Planeten beschreibt.
b) Deduktiv (Erst Naturgesetz logisch entwickeln, dann mit Experiment überprüfen):
Aristoteles behauptete, dass schwere Gegenstände schneller fallen müssten als leichte. Galileo Galilei hat durch scharfes Nachdenken nachgewiesen, dass das nicht sein kann. Stattdessen müssen alle Körper gleich schnell fallen, was er auch experimentell überprüfte.
Siehe: Feder und Apfel in einem luftleeren Raum .
Es funktioniert sogar auf dem Mond: Feder und Hammer auf dem Mond.
Jetzt müssen wir noch den Unterschied zwischen einem Naturgesetz und einer wissenschaftlichen Theorie klären.
Ein Naturgesetz beschreibt mathematisch einen ganz bestimmten Vorgang in der Natur, ohne aber eine Erklärung zu liefern, warum die Vorgänge jetzt so ablaufen.
Eine Theorie dagegen ist die Gesamtheit von Naturgesetzen, die sich gegenseitig bedingen, aufeinander aufbauen und erklären und auf möglichst wenigen Grundannahmen beruhen. Ziel ist es, ein möglichst genaues und vollständiges Abbild der Realität zu liefern. Sie wird ständig überprüft, angepasst und erweitert.
Damit ist hoffentlich klar, dass eine wissenschaftliche Theorie so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was man landläufig als Theorie bezeichnet. Im normalen Sprachgebrauch kann eine “Theorie” eine wilde unbewiesene Spekulation sein.
In der Wissenschaft dagegen fasst eine Theorie die Gesamtheit unseres aus scharfem Nachdenken und Experimenten gewonnen Wissens zusammen und stellt die derzeit beste Annäherung an die “Realität ” dar. Sie kann durch Experimente immer nur bestätigt werden und niemals endgültig bewiesen. Es gibt in der Wissenschaft schlicht und ergreifend das Konzept der ewigen, absoluten, allgemein gültigen Wahrheit nicht.
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(1) Zumindest wenn man von Mathematik Ahnung hat…Aber das ist eine andere Baustelle.
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