oder der Versuch, Unwissenheit zur Tugend zur erklären.

Derzeit wird gerade in der wissenschaftliche Blogosphäre mal wieder intensiv das Thema “Wissenschaftsphilosophie” diskutiert. Kamenin von “Begrenzte Wissenschaften” hat gar eine ganze Serie dazu geschrieben, weil er ganz richtig erkannt hat, dass damit auch sehr viel Schindluder betrieben wird.

Gerade wenn es um kontrovers diskutierte wissenschaftliche Themen geht: Sei es Klimawandel, das neue LHC-Experiment am CERN, Evolutionstheorie oder gar Fahrradhelme (1) dann kommt zwangsläufig irgendwann der Punkt, an dem den Wissenschaftsgegnern und Anti-Wissenschaftlern die Argumente ausgehen. Ist ja vollkommen klar. Denn schließlich ist es für jeden halbwegs kritischen Geist ersichtlich, dass diese Leute mit Meinungen in die Diskussion gehen, die bestenfalls auf gesundem Halbwissen beruhen oder dem sogenannten “gesunden Menschenverstand”, der aber dummerweise bei vielen naturwissenschaftlichen Fragen kläglich versagt. Wer kann, bitte schön, anhand des gesunden Menschenverstandes begründen, warum sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt? Sieht doch schließlich so aus!

Es ist natürlich gegen Unwissenheit an sich zunächst nichts auszusetzen. Was ich allerdings nicht leiden kann, sind Leute, die ihre Unwissenheit zur Tugend erheben. Gerade diese drohen allerdings wissenschaftliche, kontrovers diskutierte Themen zu vereinnahmen. Sie haben sich ihre Meinung gebildet, die oft auf grotesk falschen oder falsch verstandenen und lückenhaften Annahmen beruht, und sind gleichzeitig nicht in der Lage oder willens diese Meinung mit der Realität abzugleichen. Man kann den Leuten alles mögliche an Wissen an den Kopf werfen, es wird einfach nicht angenommen. Stattdessen wird versucht, den Diskussionsgegner durch rhetorische Kniffe in die Knie zu zwingen. Oft sieht man eine eigentümliche Doppelmoral: Während von der Gegenseite vollkommen ausgereifte Erklärungen ohne Lücken verlangt werden und diese Leute nicht bereit sind, auch nur ein kleines bisschen anzuerkennen, dass genau diese Erklärungen vielfach geprüft wurden und sich bewährt haben, werden auf der anderen Seite Einsichten favorisiert, die so große Löcher in der Logik aufweisen, dass ganze Planeten hindurch passen würden. Es werden einfach nur die “Autoriäten” und Erklärungen akzeptiert oder aus dem Zusammenhang gerissen, welche die persönliche Meinung angeblich stützen. Der überwältigende Rest wird einfach ignoriert. Oder man verlangt immer und immer ausschweifendere Erklärungen, weil man angeblich dazulernen möchte. Wollen sie nicht. Es ist reine Ermüdungsstrategie. Denn letztendlich ist es unmöglich, das gesammelte Wissen von Jahrzehnten mal eben in einen Kommentar eines Blogs zusammenzupressen. Für so etwas gibt es ein naturwissenschaftliches Studium. Und der Verweis auf gute Lehrbücher wird ignoriert oder gar als Zumutung empfunden. Es ist solchen Leuten einfach nicht zu vermitteln, dass echtes Wissen Arbeit bedeutet und dass man den Leuten diesen Erkenntnisprozess auch nicht abnehmen kann. Man kann ihnen nur den Weg weisen.

Selbst wenn es gelingt, alle Argumente und die Autoritäten in der Luft zu zerfetzen und den Anti-Wissenschaftler bei grob irreführenden und falschen Aussagen ertappt, die er oft unzulässigerweise als *Fakt* verkauft, dann wird als allerletztes Mittel je nach Bildungsgrad erwidert: “Besserwisser”, “Ihr wisst auch nicht alles!” oder eben auf die philosophisch begründete Begrenzheit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses nach Popper verwiesen. Bedeutet letztendlich alles dasselbe: “Ich hab zwar keine Ahnung, aber Ihr wisst auch nichts, deswegen hab ich Recht oder ist zumindest meine Sichtweise Deiner ebenbürtig. Ätsch!”

Popper würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass seine Arbeiten zur Verteidigung von Unwissenheit und Ignoranz verwendet werden. Natürlich ist diese Argumentation rein logisch gesehen ein Armutszeugnis. Da wird eine Position der Unwissenheit auf die gleiche Stufe oder gar über die Position des Mehr-Wissenden gesetzt. Außerdem ist dieser Vorwurf zutiefst unwahr.

Denn gerade Wissenschaftler behaupten niemals, dass sie alles wissen. Wer meine Beiträge liest, wird öfter auf Aussagen stoßen wie: “vermutlich”, “vielleicht, “anscheinend”,”lässt sich wohl nicht beweisen”, “es wird spekuliert” etc.. Würde so jemand argumentieren, der den Anspruch erhebt, alles zu wissen? Wohl kaum. Der Vorwurf “Ihr könnt nicht alles wissen” ist ein typisches Strohmann-Argument. Er geht vollkommen am eigentlichen Thema vorbei und dient lediglich dazu, das Gegenüber zu diskreditieren.

Denn entscheidend ist, dass z.B. jemand, der jahrelang Teilchenphysik studiert und seine Diplomarbeit auf dem Gebiet gemacht hat, normalerweise mehr über Elementarteilchen weiß, als ein interessierter Laie, der lediglich obskure Webseiten oder ein reisserisches populärwissenschaftliches Buch als Quelle seines Wissens angibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und das Argument, dass man ja wohl noch Fragen stellen darf, zieht auch nur dann, wenn es sich um ehrliche Fragen handelt – um Fragen, die darauf abzielen, die eigene Unwissenheit zu verringern. Fragen, welche die Antwort vorwegnehmen, gehören nicht dazu. Fragen, die von vornherein unbeantwortbar sind, gehören auch in die Kategorie “grobe Irreführung”.

Achtet mal darauf, wenn Ihr auf eine lebhafte Diskussion auf Wissenschaftsblogs stosst oder auf wissenschaftlich anmutende Seiten, die Euch seltsam vorkommen. Selbst wenn Ihr den Argumenten nicht immer folgen könnt, so merkt man auch als Laie recht schnell, wenn jemand Strohmänner und Autoritäten bemüht, weil ihm die sachlichen Argumente ausgehen. Daran sollt Ihr sie erkennen, die notorischen Nörgler, die an einer etablierten wissenschaftlichen Disziplin kein gutes Haar lassen, die Esoteriker und die Anti-Wissenschaftler, die sich für die neuen Einsteins halten.
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(1) Wer die Diskussionsrunde zu dem Thema hier nicht mitgekommen hat, soll froh sein. Oder kann auf meiner Seite nach “Radhelm” suchen und sich auf das Schlimmste gefasst machen.

Kommentare (15)

  1. #1 Klima-Fraktal
    Juni 16, 2008

    Wer aber in Unkenntnis aller Wissenschaft lebt, handelt kraft seiner natürlichen Klugheit besser und edler als diejenigen, die entweder selbst falsche Schlüsse ziehen oder den falschen Schlüssen anderer vertrauen und sich so falschen und widersinnigen Regeln unterwerfen.

    Thomas Hobbes, Philosophie der Neuzeit

  2. #2 Boson
    Juni 16, 2008

    “Never argue with idiots, they just drag you down to their level then beat you with experience.”

    Es bringt ohnehin nicht viel, Fachfremden mit tiefergehenden Argumenten den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Denn leider muss man sehr oft einsehen, dass die Leute wirklich so wenig von der Wissenschaft wissen, dass sie die Argumente auf keiner Ebene verstehen und einem Kontext zuordnen können. Das vergisst man sehr oft.
    Was für einen selbst aufgrund von tagtäglicher Beschäftigung völlig normal und geläufig ist, kann für einen anderen eine völlig neue Aussage darstellen der man erst einmal so wenig trauen mag wie der sprichwörtlichen Katze im Sack. Kommt dann noch möglicherweise eine persönliche Ideologie ins Spiel oder einfach ein gehöriges Maß an Ignoranz gegenüber allem was schädlich oder unbequem für das eigene Wohlbefinden sein kann, ist die Diskussion dem Untergang geweiht.

  3. #3 Ludmila Carone
    Juni 16, 2008

    @Genau Klimafraktal.

    Genau so ein überflüssiges Blabla meine ich. “Natürliche” Klugheit…Das ich nicht lache! Hat irgendjemand mit “natürlicher Klugheit” – was immer das sein soll – den Laser oder den Computer oder das WWW erfunden? Antibiotika und Impfstoffe? Nein, haben sie nicht. Das hat nur die Wissenschaft geleistet.

    Erst gedankenlos die Früchte der modernen Wissenschaft konsumieren, aber gleichzeitig den Ast absägen wollen,auf dem wir alle sitzen.

    Ach und nur als Nachtrag. Mit der Einstellung können wir unsere Schulen und Universitäten gleich einfach zumachen. Brauchen wir nicht. Wir wissen eh alles dank “natürlicher Klugheit”. Dann ist sogar das schlechte Abschneiden innerhalb der PISA-Studie eigentlich ein Qualitätsmerkmal.

  4. #4 florian
    Juni 16, 2008

    Bei diesem Thema fällt mir immer das schöne Zitat von Richard Feynman ein:

    “Philosophy of science is about as useful to scientists as ornithology is to birds”

    Nicht das Wissenschaftsphilosophie nicht interessant wäre (genauso wie Ornithologie) – aber Wissenschaft sollte immer noch von Wissenschaftlern betrieben werden und nicht von Philosophen 😉

  5. #5 knorke
    Juni 16, 2008

    Leider bin ich kein Philosoph. Aber den Ausspruch Hobbes könnte ich auch anders deuten. (Aber meine Deutung behalte ich für mich, da ich auf dem Gebiet auf wackeligen Füßen stehe.)

    Kann jemand zu dem Zitat von Hobbes was brauchbareres beisteuern? Ich nehme an, er wird fehlinterpretiert, wenn man ihm unterstellt: “Nichts wissen (wollen) ist besser als sich irren.”

    @Ludmila
    Hat’s schonmal jemand ohne “natürliche Klugheit” (ich interpretiere daraus den Begriff “Vernunft”) geschafft? Selbst bei Zufällen (nehmen wir mal die Geschichte von den Antibiotika) war ja wohl der Antrieb zunächst das vernunftbegabte Handeln und die Suche nach Erkenntnis. Damit ging es (wieder) los zu Beginn der Neuzeit (und Vorreiter davon war übrigens auch der Hobbes – sofern ich meiner trüben Erinnerung aus dem Geschichtsunterricht trauen kann)

  6. #6 Ludmila Carone
    Juni 16, 2008

    @knorke: Wie man Hobbes zu verstehen hat, darum geht es hier zunächst gar nicht. Letztendlich ist der erste Kommentar sehr interessant. Ich schmeiße hier den Fehdehandschuh hin, dass Leute mit philosophisch verbrämten Worten ihre Dummheit rechtfertigen wollen und wer kommt sofort angerannt und zieht sich den an? Ach, sieh mal einer guck. Interessant 😉

    Und der Kommentar ist in sich exakt genau das Beispiel, das ich anprangere. Es geht in Wirklichkeit nicht darum ernsthaft über Erkenntnistheorie zu diskutieren. Sehen wir uns den Kommentar doch mal im Detail an:

    1. Argumentation mit Autorität.
    Ist es nicht erstaunlich, dass gerade die Leute, die für sich reklamieren, dass sie besonder kritisch denken könnten, eine auffallende Argumentations- und Denkfaulheit an den Tag legen und lieber die Gedanken anderer Leute zum Besten geben? Und sich dahinter verstecken?

    Man sehe sich an, wer in einer Diskussion in der Lage ist, eigene sachlich nachvollziehbare Gedanken und Erklärungen abzuliefern und wer ständig auf irgendwelche Autoritäten verweisen muss.

    2. Es werden aus dem historischen und textlichem Zusammenhang gerissene Sätze als “Wissen” präsentiert, die letztendlich aber genau das Gegenteil darstellen. “Quote mining” wird diese Technik genannt. Man sucht sich unabhängig von der eigentlichen Intention des Autors heraus, was einem gefällt. Hier ist ganz eindeutig, was mit diesem Satz angeblich verdeutlicht werden soll: Wissen ist blöde, Dummheit ganz toll!

    Ich denke auch nicht, dass das Hobbes so gemeint hat. So aus dem Zusammenhang gerissen, kann dieser Satz “alles” oder “nichts” bedeuten. Man muss ja auch sehen, dass “Wissenschaft” zu Hobbes Zeiten eine ganz andere Wissenschaft war, als die heute. Und damit kommen wir wieder zu 3.

    3. Es ist schon wieder ein Strohmann! Ein historischer Vorwurf an die Wissenschaft von damals, was hat das denn bitte mit der heutigen Situation zu tun? Genau. Es geht zunächst völlig am Thema vorbei. Zunächst mal sollte man
    a) mal ganz klar formulieren, was das heißt “natürliche Klugheit”.
    b) Zudem sollte man auch definieren, was Wissenschaft in dem Zusammenhang heißt und ob das überhaupt so auf die heutige Wissenschaft anwendbar ist, um die es eigentlich geht.

    4. Sachargumente? Irgendjemand? Hallo?

    5. Und Du bist jemand, der erkennt, wenn er an die Grenzen seines Wissens stößt und ganz im Sinne Wittgensteins lieber schweigt, als was Falsches zu sagen. Find ich völlig ok und handhabe ich auch so. Aber offenbar sehen andere Leute das anders. Egal, ob es sachlich richtig ist oder nicht. Hauptsache das Maul aufreißen.

  7. #7 knorke
    Juni 16, 2008

    @Ludmila
    Hast du Streit mit Klima-Fraktal – wer auch immer das sein mag? Ich habe – falls ich mich unklar ausgedrückt haben sollte – den Satz ganz anders interpretiert.
    Und deshalb finde ich schon, dass es darum geht, wie man diesen Satz von Hobbes interpretiert. Alldieweil – man kann ihn nämlich auch so verstehen, dass er genau deiner Argumentationslinie folgt. (“haben sich ihre Meinung gebildet, die oft auf grotesk falschen oder falsch verstandenen und lückenhaften Annahmen beruht, und sind gleichzeitig nicht in der Lage oder willens diese Meinung mit der Realität abzugleichen”)
    Es ist wahrscheinlich müßig, darüber zu diskutieren, außer irgendwo in den Science Blogs treibt sich jemand rum, der mir die Aufgabe abnimmt, mal eben 200-300 Jahre Philiosophie aufzuarbeiten und Licht in die Sache zu bringen.
    Und weil ich mich nicht für halb so Weise halte, wie du mich (ich weiß es nämlich besser – ui, das grenzt an ein Paradoxon), erlaube ich mir, hier auch noch einen mit auf den Weg zu geben: “Video meliora, proboque; deteriora sequor.” 😀

  8. #8 Ludmila Carone
    Juni 16, 2008

    @knorke: Klimafraktal ist einer von diesen so genannten Klimawandelskeptikern, also genau das Klientel, mit dem sich Wissenschaftler rumstreiten und deswegen nehme ich ganz stark an, dass Hobbes Zitat so verwendet werden soll, wie ich es dargelegt habe.

    Erst durch Deinen Einwand kam ich darauf, dass man es eben auch ganz anders sehen kann. Nach dem Motto: Ein Hoch auf die kritische Vernunft und sich nicht hinter Autoritäten verstecken. Wobei dann aber ein Kommentar, der genau genommen genau daraus besteht, dem zitieren einer Autorität, sich irgendwie selbst ad absurdum führt.

    Wie dem auch sei: So in den Raum geworfen, bringt uns Hobbes Zitat einfach nicht weiter. Weil sich direkt zwei genau entgegengesetzte Interpretationsmöglichkeiten ergeben.

  9. #9 jge
    Juni 17, 2008

    Lustig.
    Ich habe die Funktion des angeblichen Hobbes-Zitats so verstanden, dass klimafraktal das angeführt hat, um zu zeigen, dass Sie recht haben, Ludmila: Da behauptet also ein Philosoph, es sei besser, kein Wissen zu haben — dabei kann das ja gar nicht stimmen. Informiert sein ist immer besser.
    Außerdem würde ich allerdings knorke zustimmen, dass Hobbes das so nicht gemeint hat bzw. dass eine sorgfältige Interpretation des historischen Kontexts wohl zeigen würde, dass Hobbes als “natural philosopher” und Empirist sich gegen rationalistische und traditionalistische Überzeugungen wendet. Allerdings habe ich auf die Schnelle das Zitat in den mir zur Verfügung stehenden Volltextdatenbanken nicht finden können und auch kein Werk von Hobbes, das “Philosophie der Neuzeit” heißt. (Quellenangabe oder englische Formulierung wäre nett!)

    Also: die Sache wird interessanter, wenn man sich die Funktion des (angeblichen) Zitats hier ansieht. Will klimafraktal wirklich ein Autoritätszitat hier bringen — das passt gar nicht zum Blogposting, in dem ja gerade davon die Rede ist, dass Philosophen nicht per se Autorität haben, sondern dass Kenntnis Autorität erwirbt.

  10. #10 Oliver
    Juni 17, 2008

    @Florian
    “Nicht das Wissenschaftsphilosophie nicht interessant wäre (genauso wie Ornithologie) – aber Wissenschaft sollte immer noch von Wissenschaftlern betrieben werden und nicht von Philosophen ;)”

    Das hat aber mit Wissenschaftsphilosophie nichts zu tun, denn die beschäftigt sich mit der THEORIE der Wissenschaft, Wissenschaftler mit deren PRAXIS, der Ausübung. Wissenschaftler beschäftigen sich damit, “Wissen zu schaffen” zu einer bestimmten Thematik. Wissenschaftstheoretiker beschäftigen sich damit, wie man so etwas zweckmäßigerweise tut und wann man davon sprechen kann, dass etwas bewiesen ist. Das ist für Wissenschaftler durchaus wichtig, denn gerade durch Fragen der Methodik ist ja Wissenschaft als solche durchaus charakterisiert.

    M.E. werden Fragen der Wissenschaftstheorie viel zu wenig behandelt. “Anleitungen zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten” sehen ja meist so aus, dass man anderen dabei zuschaut und durch Imitation lernt -das heisst nur leider auch, dass man auch die Fehler lernt und sich schlechte Gewohnheiten weiterverbreiten.

  11. #11 tark.V
    Juni 18, 2008

    Hallo Ludmila,
    vielen Dank für das abenteurliche Vergnügen, die Diskussionen zum Thema “Radhelm” lesen zu dürfen. Tägliche Erfahrung und Wissenschaft können also durchaus zum gleichen Ergebnis führen: Kopf prallt auf Strasse. Besser Helm dazwischen. Punkt.

    Zum Thema Wissenschaftstheorie/~philosophie: Meine Uni-Zeit liegt zwar schon etwas zurück – aber ich hjabe den Eindruck, dass dieses Thema etwas vernachlässigt wird. Aber vielleicht erfährt es ja mit fortschreitender Automatisierung und KI einige Impulse.

  12. #12 ali
    Juni 26, 2008

    “Philosophie der Neuzeit” scheint ein Sammelband zu sein und ist nicht ein Werk von Hobbes. Das ist die Art Quelle die man angibt, wenn man schnell ein passendes Zitat googelt ohne Quellenüberprüfung (und wahrscheinlich ohne je Hobbes gelesen zu haben).

    Das Original stammt anscheinend aus dem fünften Kapitel des Leviathan und heisst im Original:

    But yet they have no ‘science’ are in better and nobler condition, with their natural prudence, than men, that by mis-reasoning, or by trusting them that reason wrong, fall upon false and absurd general rules. For ignorance of causes and of rules does not set men so far out of their way as relying on false rules, and taking for causes of what they aspire to those that are not so, but rather causes of the contrary.

    So weit ich das überblicke versucht Hobbes zu zeigen das Vernunft (und somit auch Wissenschaft) nicht angeboren ist, sondern angeeignet werden muss. Die vorhergehende Textpassage macht einen Vergleicht mit Kindern. Abgesehen vom fehlenden Kontext, scheint mir die Übersetzung nicht optimal. Die Übersetzung von “natural prudence” in diesem Zusammenhang mit “natürlicher Klugheit” ist zweifelhaft (aber es ist möglich das der Begriff früher so verwendet wurde). Auch “to be in better and nobler condition” zu “besser und nobler handeln” zu machen scheint mir den Sinn zu verzerren wenn zuvor vom “Aneignen von Vernunft” gesprochen wurde (‘Zustand’ wäre wohl passender). Der letzte Satz scheint in der gegebenen Übersetzung stark gekürzt. Dies mag alles in Ordnung sein übersetzt man ein ganzes Buch, aber für ein Zitat zu Wissenschaft nicht genau genug.

    Quote mining. Case dismissed.

    Abgesehen davon hat bestimmt auch Hobbes dumme Dinge gesagt.

  13. #13 Netzklempnerin
    Juni 28, 2008

    Sehr interessanter Text. Ich hätte ganze Passagen wörtlich in meinen Blog übernehmen können, wo ich mich mit Verschwörungstheorien herumschlage, allerdings aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Natürlich gibt es da Überscheidungen, man denke nur an die AIDS-Denialists, die sowohl Anti-Wissenschaftler als auch Verschwörungstheoretiker sind.

  14. #14 Herr Lebek
    April 2, 2009

    dass echtes Wissen Arbeit bedeutet und dass man den Leuten diesen Erkenntnisprozess auch nicht abnehmen kann

    Ich freue mich, daß wir endlich mal einer Meinung sind.

  15. #15 Horst Appert
    Dresden
    April 17, 2015

    Die Kommentare sind ein paar Jahre alt, das Thema scheint mir aber von andauernder Bedeutung zu sein. Nicht zuletzt, weil die Grenze zwischen Wissenschaftskritik und -feindlichkeit nicht immer eindeutig zu ziehen ist. Daher erlaube ich mir, nach Jahren noch ein Post hier einzustellen. Vielleicht macht sich noch jemand die Mühe, sich damit zu beschäftigen – was mich freuen würde.

    @ florian (Juni 16, 2008)
    “Bei diesem Thema fällt mir immer das schöne Zitat von Richard Feynman ein: ‘Philosophy of science is about as useful to scientists as ornithology is to birds.’ Nicht das Wissenschaftsphilosophie nicht interessant wäre (genauso wie Ornithologie) – aber Wissenschaft sollte immer noch von Wissenschaftlern betrieben werden und nicht von Philosophen.”

    -> Darf ich es als subtile Ironie verstehen, dass Ihr “name dropping” unter einem Artikel steht, der genau jenes Nennen von Autoritäten als problematisch per se behauptet?
    -> Der zitierte Satz ließe sich auch so interpretieren: Sowenig wie Vögel von Ornithologie verstehen, sowenig verstehen Wissenschaftler von Wissenschaftsphilosophie.
    -> Die Definition des Begriffes “Wissenschaft” kann mit dem spezifischen Vokabular von Natur- oder Technikwissenschaften nicht geleistet werden. Denn es wird immer – und dies führt die Geschichte aller Wissenschaftsdisziplinen recht eindrucksvoll vor Augen – ein lebensweltliches Vorverständnis vorausgesetzt, das sich diesen Disziplinen entzieht. Anders gesagt: Wir denken nicht in mathematischen Formeln, außer wenn wir Mathematik betreiben.
    -> Was Wissenschaftsphilosophie “nützliches” (Feynman) leisten kann, ist zum einen (vor)wissenschaftliche Begriffsklärung, zum anderen Methodologien zu beschreiben, die Wissen (gerechtfertigte wahre Meinung) generieren. Genau in diesem Sinne verstehe ich auch obigen Artikel von Ludmila Carone – von der Polemik einmal als zulässigem Ausdruck von Frustration abgesehen. Darüberhinaus legt Wissenschaftsphilosophie die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen sowohl in Bezug aufeinander als auch mit Blick auf unsere gemeinsame Lebenswelt aus.
    -> Das Grundproblem Expertenwissen versus Alltagsmeinung stellt sich nicht nur an den Grenzen des Wissenschaftsbetriebes, an denen man Laien durch geschickte PR davon überzeugen muss, dass die nächsten Milliarden öffentlicher Steuermittel im eigenen Forschungsbereich besonders gut angelegt sind. Ganz augenfällig ist diese Problematik auch bei der Vermittlung von Politik. Komplexe politische Entscheidungen müssen kondensiert und simplifiziert werden, damit sie den Adressaten (“Durchschnittsbürger”) erreichen. Wieviel dabei schief gehen kann, sieht man an der zunehmenden Eliten-, Medien- und Politikerfeindlichkeit. In dieser Hinsicht könnten Politikvermittlung und Wissenschaftsvermittlung sicher viel voneinander lernen.