Scienceblogs Neurons berichtete bereits. Im Schwimmsport spielen Schwimmanzüge eine große Rolle.
Während Michael Groß noch vor 20 Jahren in einer schnöden Badehose antrat, zwängen sich Sportler heutzutage eher in Ganzkörper-Kondome.
Tatsächlich war die Wahl der Schwimmanzüge für die deutsche Schwimm-Olympiamannschaft ein Diskussionsthema, wie “Swim &more”, das offizielle Organ des Deutschen Schwimmverbandes, offen berichtete:
Als zwischen Februar und April die überwiegende Mehrzahl der bis dahin 41 Weltrekorde in diesem Jahr im “LZR Racer” des australischen Herstellers Speedo erzielte wurde, führte dies (zwangsläufig) zu Diskussionen um die neuen Olympia-Modelle aller anderen Ausrüster. Auch der Anzug des DSV-Sponsor Adidas kam nochmals auf den Prüfstand.(…)
Nach eingehenden Tests und einigen Verbesserungen konnte das Unternehmen (…) seinen “Upgrade” vorstellen und mit dem DSV-Olympiateam einem weiteren Probelauf unterziehen.
Millionen werden in Forschung und Entwicklung gesteckt, in der diffusen Hoffnung durch ein paar Quadratmeter Stoff eine Hundertstel Sekunde mehr herauszuholen. Dabei bedient man sich gerne aus dem Labor, das seit Jahrmillionen die Fortbewegung Im Medium Wasser optimiert – aus der Natur. Bei den Haien scheint die Sandpapierstruktur der Haut für eine sehr effiziente Gleitbewegung zu sorgen.
Das mit dem Wasserwiderstand verstehe ich ja noch irgendwie, aber als ich die Werbung für den LZR Racer sah und da insbesondere die angepriesenen “5% better oxygen efficiency”, verleitete mich das spontan zur Frage, ob Speedo den Schwimmanzug für Frösche entwickelt hat. Soweit ich weiß, ist die Sauerstoffaufnahme des Menschen über die Haut vernachlässigbar und Kiemen besitzen selbst Schwimmsportler nicht. (Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden 😉)
Um die Schwimmbrillen (Speedo Sidewinder) und die Badekappen (Speedo Aqua V Kappe) wird ein ähnliches Bohei veranstaltet. Ausgefeilte Simulationen werden durchgeführt, um Produkte zu entwickeln, die angeblich dem Wasser weniger Widerstand entgegen setzen. Jeweils 5% weniger. 5% scheint hier eine magische Zahl zu sein. Spätestens jetzt sollte man etwas misstrauisch werden. Der Anzug, die Brille und auch die Schwimmkappe bringen alle 5% weniger Wasserwiderstand gegenüber den Vorgängermodellen? Naja, Placebos sind am besten teuer. Das gilt auch für den Schwimmsport.
Apropos, Placebos…
Dann gibt es natürlich diverse mehr oder weniger seriöse Präparate, die angeblich der Leistungssteigerung dienen – ohne Doping zu sein.
Aus einer Anzeige in der Swim& More 6/2008:
Seit kurzem gibt es ein Präparat in der Apotheke (****), das speziell für die Bedürfnisse von Sportlern entwickelt wurde. Es enthält die acht essentiellen und sowie fünf semiessentiellen Aminosäuren, die überwiegend aus pflanzlichen Quellen gewonnen werden. Damit liegt der Wirkungsgrad bei eindrucksvollen 99%. Abbauverluste und Harnstoffproduktion praktisch Null.
Eine Salbe verspricht ein paar Seiten weiter: Seit es die T****-Salbe gibt, ist höhere Leistungsfähigkeit die Folge. Schulter-, Nacken- und Knieregion haben davon den größten Nutzen.
Na ja, immer noch besser als wirksame Präparate, die a) verboten und b) gesundheitsschädlich sind.
Der Markt der Hilfsmittel und Wässerchen und Präparate im Sport ist eben sehr lukrativ: Nicht umsonst versucht eine namhafte Brauerei seit ein paar Jahren mit ihrem – natürlich alkoholfreien – Weizenbier, auf dem Markt der Sportgetränke Fuß zu fassen und sponsort vermehrt auch Schwimmwettkämpfe. Was dann wiederum Diskussionen auslöst, ob man gerade im Sportbereich unbedingt den Bierkonsum noch fördern muss.
Rational ist das alles schon lange nicht mehr. Gerade im Leistungssport ist es sehr schwierig geworden, zwischen Quacksalberei und wirksamen Methoden und Maßnahmen zu unterscheiden. Im Zweifel probiert man alles einmal aus. Tatsächlich findet alle vier Jahre genau zwei Jahre vor den nächsten olympischen Spielen das “INTERNATIONAL SYMPOSIUM in Biomechanics in Swimming and Medicine” statt. Im Jahr 2006 war Porto der Tagungsort. Es war laut eigenen Angaben: A coach-friendly scientific congress on the road to Beijing 2008 also ein trainerfreundlicher wissenschaftlicher Kongress auf dem Weg nach Peking 2008. Das nennt man dann wohl Forschung ganz nah am Kunden 😉
Tja und jetzt sind wir in Peking und was bleibt von dieser technisch-wissenschaftlichen Materialschlacht?
Ausgerechnet Michael Phelps, der für Speedo auch Werbung macht, startete “oben ohne” und damit ohne den super-duper-Hightech-LZR Racer auf den 400 Meter Lagen und holte natürlich Gold. Aber Herr Phelps könnte wahrscheinlich sogar völlig nackt starten und würde immer noch der Konkurrenz davon schwimmen. Er ist derzeit nur eine Medaille davon entfernt, der bei den olympischen Spielen erfolgreichste Sportler aller Zeiten zu werden. Wenn er sich jetzt nicht verletzt, wird es das auch locker werden.
Wie sagte die Kommentatorin heute morgen so schön? Er sei so oft auf alles Mögliche getestet worden und dennoch wisse keiner so genau, warum Michael Phelps so erfolgreich ist.
Genetische Disposition + Disziplin+ Training? Oder doch die illegale Einnahme des Wachstumhormons Somatotropin? Andererseits, soviel größer ist er auch wieder nicht. Außerdem zeigte die Karriere der Franziska van Almsick, dass Talent, genetische Disposition oder was auch immer schön und gut ist, aber wenn die Nerven im entscheidenden Augenblick versagen, dann hilft es einem trotzdem nicht.
Gerade der Fall Phelps zeigt: Da können die Sportausrüster und Verbände noch so viele Millionen in die Ausrüstung stecken – gegen Ausnahmetalente wie Michael Phelps oder bis vor einigen Jahren, den “Torpedo”, Ian Thorpe (1) verpuffen diese Maßnahmen einfach. Was irgendwie schon wieder tröstlich ist.
Nachtrag:
Ich schreibe deswegen über den Schwimmsport, weil mein Mann und ich selbst im Schwimmverein als Kampfrichter aktiv sind und uns daher auf dem Gebiet besonders gut auskennen.
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(1) Über Herrn Thorpe, den bis heute erfolgreichsten australischen Athleten, wurde gewitzelt, dass er statt Füßen Schwimmflossen hätte. Auch hier wurde der Verdacht auf einen unerlaubten Einsatz von Wachstumshormonen geäußert: Extrem große Extremitäten gelten als Verdachtsmomente. Im August 2007 wurde Ian Thorpe von der australischen Anti-Doping-Agentur ASADA vom Dopingverdacht freigesprochen.
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