Mit Besorgnis blicke ich über den großen Teich. Denn wenn es stimmt, dass gesellschaftliche Entwicklungen mit Verzögerung irgendwann hier in Europa ankommen, dann gute Nacht.
Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber ich erwarte von jemandem, der demnächst das reichste und mächtigste Land der Welt führen will, ein gewisses Grundmaß an Intelligenz, sowie Kenntnisse in Politik und Ökonomie. Ein bisschen Geographie wäre auch nicht schlecht.
Sicherlich, wir wollen nicht zurück in die Zeiten, als nur reichen oder besonders intelligenten Menschen der Weg zu den Fleischtöpfen der Gesellschaft erlaubt und Bildung zur Abgrenzung gegen das “dumme” Fußvolk benutzt wurde. Aber irgendwie beschleicht mich gerade das Gefühl, dass das Pendel gerade in das entgegengesetzte Extrem ausschlägt.
Ich meine, es ist ja schön, dass man zumindest versucht, auf Gebieten, auf denen man sich nicht auskennt, sich irgendwie eine Meinung zu bilden. Aber wie um Gottes willen kann man denn glauben, dass jede Meinung gleichwertig ist? Wie kann man glauben, dass “ich hab mal da was in der Zeitung und im Fernsehen gesehen” auch nur annähernd gleichwertig ist zu einer fundierten Meinung, die auf einer jahrelangen Ausbildung und Berufserfahrung beruht? Das ist doch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die Bildung noch für ein erstrebenswertes Gut halten. Bildung war gestern, heute zählt die Meinung und mag sie noch so bescheuert sein.
Das funktioniert schon in einem Elektronikladen nicht und in der Wissenschaft und in der Medizin soll auf einmal jedes Hirngespinst diskutiert werden? Muss ich wirklich heutzutage ernsthaft “die Erde ist eine Scheibe” diskutieren? Muss ich rassistische oder frauenfeindliche Meinungen ernst nehmen?
Was ist denn das für ein Form von falsch verstandener Meinungsfreiheit?
“Man wird ja mal eine eigene Meinung haben dürfen” wird dann als Totschlagargument verwendet. Wie bescheuert ist das eigentlich, die mühsam unter Blut und Tränen errungene Meinungsfreiheit zu verwenden, um die Grundlagen dieser Meinungsfreiheit, die Prinzipien der Aufklärung auszuhebeln. Das Ziel der Aufklärung war es Kritik und Vernunft als Grundlage des menschlichen Denkens durchzusetzen und eben nicht blinder Glaube und Gehorsam. Zeugt es denn von kritischem Denken, wenn man sachliche Argumente von sich abprallen lässt oder trotzig erwidert: “Ich hab aber meine eigene Meinung”, wenn man sich argumentativ in die Ecke gedrängt sieht? Sind wir jetzt eine Gesellschaft trotziger Kleinkinder, wo jeder mit dem Fuß aufstampfen und brüllen kann: “Ich hab trotzdem recht und Du bist doof?” Ist die Gesellschaft so weit, dass Ihr grundsätzlich die Kritikfähigkeit abgeht bzw. dass Kritik sogar als anstößig empfunden wird? Die Welt wird kein besserer Ort werden, wenn keiner es wagt, das Maul aufzumachen und Blödsinn auch mal Blödsinn nennt.
Eine Gesellschaft, in der alle darauf achten, bloß keinem wehzutun und sich in sinnentleertem Wohlfühlgeschwurbel ergehen und das auch noch für weiß Gott wie sachlich halten, während am Rand die Feinde der Aufklärung unbehelligt am Ast sägen, auf dem wir alle sitzen, die darf nicht wundern, wenn sie an ihrer eigenen Bequemlichkeit und Feigheit erstickt.
Ein Politikwissenschaftler, der noch viel mehr unter dieser Meinungsdiktatur zu leiden hat, meinte mal frustriert zu mir: “Ich möchte solchen Leuten zurufen: Dann hab erst einmal eine eigene Meinung. Das allermeiste ist doch nur dumm irgendwo aus dem Fernsehen nachgeplappert.”
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