Es steht ganz vorne im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Es zählt sogar zu den Grundrechten.
Artikel 5: (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Natürlich gilt diese Freiheit nicht uneingeschränkt – und das ist auch gut so.
Artikel 5: (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
So weit so gut, aber irgendwie vermisse ich folgenden Passus, den anscheinend viele Leute in Gedanken insbesondere bei der Wissenschaft dahinter setzen möchten.
Wissenschaft ist frei, aber nur wenn verdammt noch mal etwas Nützliches dabei herauskommt.
Wobei etwas Nützliches so definiert zu sein scheint, dass es auch noch etwas sein muss, was entweder unmittelbar einen selbst oder zumindest die Kinder und Enkel betrifft. Ach und es muss etwas Greifbares sein. Keine Erkenntnis oder so’n komischen ideellen Kram. Es muss sich irgendwie auszahlen oder das Leben angenehmer machen. Nur dann ist es auch was wert. Grundlagenforschung fällt nach dieser Geisteshaltung komplett raus.
Ich kriege jedes Mal die Krise, wenn ich einen Journalisten fragen höre, nachdem ein Forscher von seinen Erkenntnissen erzählt hat: “Und? Wozu soll das gut sein?”
Dann möchte ich am liebsten Kant, Lessing, Voltaire, das Grundgesetz und eine Abhandlung über Wissenschaftsgeschichte rausholen und noch mal die Grundlagen der Aufklärung erklären bzw. dem mal bewusst machen, dass er verdammt noch mal deswegen in einem komfortablen beheizten Raum mit fließend Wasser lebt, weil es genügend Forscher gab, die sich statt “Wozu soll das gut sein?” fragten: “Hmm, das ist ja seltsam. Warum ist das wohl so?”
Natürlich braucht man auch die “Wozu soll das gut sein”-Leute. Angewandte Forschung ist gut und wichtig. Aber verflixt und zugenäht man braucht beides, um wirklich vorwärts zu kommen. Ohne Grundlagenforschung wüssten die Angewandten gar nicht, was man eigentlich weiterentwickeln soll. Ohne angewandte Forschung gäbe es wiederum keine besseren Instrumente, mit denen man noch tiefer in die Materie eindringen kann. Die Wissenschaft steht also auf zwei Beinen. Wie weit kommt sie wohl, wenn ihr ein Bein abgehackt wird?
Dann gibt es noch die “weiche” Form der Verweigerung der Freiheit der Grundlagenforschung:
Ihr könnt gerne Grundlagenforschung betreiben, aber macht das bitte ohne Steuergelder.
Dummerweise übersehen diese Genies dabei etwas Grundlegendes: Eine Freiheit, die man nicht nutzen kann, weil aufgrund äußerer Umstände die Ausübung derselben unmöglich gemacht wird, ist wertlos. Hmm, gibt es da nicht diverse Beispiele aus der Geschichte, wo genau mit dieser “Methode” Freiheiten ausgehöhlt wurden? Es ist absolut erbärmlich, dass man auf diesen wichtigen Punkt überhaupt hinweisen muss. Jedem vernünftigen Menschen sollte sich doch erschließen, dass das nur ein billiger Trick ist, unliebsam gewordene Freiheiten durch die Hintertür loszuwerden. Und auf dem Gebiet haben die Deutschen vor gar nicht allzu langer Zeit schmerzvolle Erfahrungen machen müssen. Aber es betrifft ja nur eine Minderheit, was soll man sich darüber aufregen?
Man stelle sich vor, es würde bei der Schuldbildung ähnlich argumentiert: “Natürlich hast Du die Freiheit, die Schule zu besuchen. Es ist doch nicht unsere Schuld, wenn Du Dir das Schulgeld nicht leisten kannst. Kostet halt Geld das Ganze und mal ehrlich: Für den Imbiss-Schalter musst Du keine Schule besuchen.”
Wenn man diese Verweigerung von Steuergeldern zu Ende denkt, dann bedeutet das:
Wir sollen wieder zurück zu den Zeiten als Wissenschaft und Kunst nur etwas für die Reichen war, die es entweder selbst betrieben bzw. sich jemanden hielten, der es betrieb, um ihnen zu Ruhm und Ehre zu gereichen. Das ordinäre Fußvolk hatte gefälligst draußen zu bleiben, weil es für den Genuss von Kunst und Forschung im täglichen Existenzkampf sowieso keine Zeit hatte. Wir wissen, wie wunderbar das geklappt hat.
Dann gibt es natürlich noch folgende Interpretation der “Freiheit der Wissenschaft”, die von so gut wie keinem Wissenschaftler geteilt wird. Aber was wissen wir schon? Wir arbeiten ja nur damit.
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, aber wehe sie widersprechen meinem Bild der Welt, meiner persönlichen Überzeugung, meiner Religion. Dann hat Wissenschaft das Maul zu halten. Alternativ gilt, wenn man nicht über genügend Macht verfügt: Es verletzt meine Gefühle. Ich hab ein Recht auf meine Gefühle und das wiegt schwerer als die Freiheit der Wissenschaft.
Oder.
Die Wissenschaft ist gar nicht frei. Die sind voller Dogmatiker, weil sie mich, meine Kumpels, meine Gurus nicht mitspielen lassen.
Dabei lassen wir jeden mitspielen. Er muss sich aber – wie jeder Wissenschaftler – an die Qualitätskriterien halten: Erzähl keinen Stuss! Und wenn man sich noch so ein tolles Weltbild drum herum bastelt. wenn es der Realität und der Vernunft widerspricht, dann gehört es nicht in die Wissenschaft.
P.S.: Das heißt natürlich nicht, dass wir in einer Welt der endlichen Ressourcen nicht diskutieren sollten, welche Forschung wir uns leisten können und welche nicht. Aber wenn man einem ganzen Forschungszweig von vornherein jeglichen Wert abspricht bzw. geflissentlich übersieht, welche Werte wir diesem Bereich schon heute verdanken, dann kann man darüber wohl kaum eine vernünftige Entscheidung fällen.
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