Angesichts des letzten Fundstücks bei Spiegel Online möchte ich ein Problem diskutieren, das mir schon seit einiger Zeit am Herzen liegt.
Vor etwa zwei Jahren wechselte unser Pressesprecher an der Uni Köln. Unser alter Pressesprecher war noch ein Vertreter der alten Schule. Er war selbst eigentlich Wissenschaftler und hat in den letzten Jahren seines Schaffens eigentlich nur noch mehr oder weniger die Pressemitteilungen der Wissenschaftler an die Journalisten weitergereicht.
Was eben deutsche Professoren so unter Pressemitteilungen verstehen: Die Einladung zur Feier zum 70. Geburtstag von Professor so und so, ein öffentlicher Vortrag über mittelhochdeutsche Dichtkunst. Ab und an verirrte sich sogar eine Wissenschaftsmeldung dazwischen. Wenn die zwei Seiten nicht überschritt, konnte man sich noch glücklich schätzen. Ich glaube, für Kölner Journalisten war es eine ziemliche Herausforderung, da eine echte Perle zu finden. Nur dafür hat doch heute keiner mehr Zeit. Also wurde meist gar nicht berichtet. So schafft man sich auch seinen Elfenbeinturm.
Mit dem neuen Pressesprecher sollte alles besser werden. Immerhin handelt es sich bei Herrn Honecker um einen ausgebildeten Journalisten mit Berufserfahrung, der weiß, was die Kollegen hören wollen. Ich hab ihn auch als sehr engagiert in seinem Job erlebt, auch wenn er mir persönlich zu hektisch ist. Aber das ist wohl Berufsrisiko. Umgekehrt müssen wir Wissenschaftler wie wahre Trantüten auf Journalisten wirken.
Leider hat Herr Honecker zwei Handicaps:
1. Er hat zu wenig Mitarbeiter. Der Tag hat nur 24 Stunden und mit 2 1/2 Mitarbeitern und einem Praktikanten kann man eine Pressestelle, die für sicherlich 1000 Forscher zuständig ist, einfach nicht effektiv führen.
2. Meiner Meinung nach schießt er manchmal in seinem Bemühen, unsere Ergebnisse an die Journalisten da draußen zu verkaufen, über sein Ziel hinaus.
Klar, Köln ist PR-technisch ein schweres Pflaster. Das ist hier nicht Thüringen, wo Lokalredakteure über jede Wissenschaftsnachricht froh sind, die man ihnen vorwirft, weil sie sonst schon wieder über den Umbau der Turnhalle an der Schule in Hintergrabow berichten müssten, um die Zeitung zu füllen (Vorsicht! Polemik!). Aber Werbung um jeden Preis kann auch nicht die Lösung sein.
Es kam deswegen auch schon mal zu einer lebhaften Diskussion zwischen Presseprecher und Wissenschaftlern im Rahmen eines Medienlehrgangs. Daran nahmen außer mir noch 9 weitere Mitarbeiter teil. (Für mehr war kein Platz und kein Personal da.) Darunter war auch ein Kollege aus der Festkörperphysik, der magnetische Strukturen untersucht. Mir wurde als Planetologin nahe gelegt, dass ich meine Arbeit mit dem Buzzword “außerirdisches Leben” verkaufen sollte und der Festkörperphysiker sollte irgendetwas über verbesserte Festplatten erzählen.
Das gefiel uns aber ganz und gar nicht. Weil wir dadurch schon nicht mehr die Wahrheit auf’s äußerte strapazieren, sondern bereits zur dunklen Seite der Macht wechseln würden: Ins Reich der Lüge. Ich kann, will und werde nicht lügen, um meine Forschung an den Mann zu bringen. Was soll der Scheiß? Für 5 Minuten Ruhm soll ich die Leute verarschen? Der Kollege sah das übrigens genau so, drückte es aber nicht ganz so derb aus.
Tja und da kamen wir einfach nicht beieinander. Von der Sichtwarte des Journalisten und Pressesprechers ist selbst eine irreführende und falsche Berichterstattung besser als gar keine Berichterstattung. Für uns Wissenschaftler dagegen ist aber ein falscher Artikel die Wurzel allen Übels. Erstens widerstrebt es unserem grundsätzlichen Bedürfnis der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Es heißt schließlich Wissenschaftler und nicht Gerüchteschaffer oder Hab-ich-nicht-so-gemeint-Schaffer. Außerdem haben wir Angst, uns vor unseren Kollegen zu blamieren. Nach dem Motto: “Was hat der denn jetzt schon wieder für einen Blödsinn verzapft. Den kann man nicht mehr Ernst nehmen.” Die Öffentlichkeit wendet sich spätestens am nächsten Tag einem anderen Thema zu, die Kollegen haben wir dagegen unser ganzes Berufsleben am Hals. Da sagen wir lieber gar nichts. Klingt doof, ist aber so.
Es mag Wissenschaftler geben, die sensationslüstern sind, aber die halte ich für eine absolute Minderheit. Betrachten wir es mal ganz nüchtern: Wer süchtig nach möglichst großer Aufmerksamkeit und Bestätigung ist, der geht überall hin, aber nicht in die Wissenschaft. In kaum einem Berufszweig ist man vor öffentlichem Interesse so sicher wie in einem Forschungslabor.
Dummerweise hat der Pressesprecher eigentlich Recht. Seitdem in den Medien an allem gespart wird, um möglichst billig zu produzieren, gilt: Um wahrgenommen zu werden, muss man schreien und den Nebenmann übertönen. Genauso entstehen Nachrichten, wie die völlig übergeigte Röntgenblick-im-Dschungel-Meldung auf Spiegel Online. Die Planetenforscher suchen nach außerirdischem Leben, die Festkörperphysiker bauen an neuen Festplatten und der Mediziner erfindet gerade ein neues Mittel gegen Krebs usw usf.
Bei der Krebsforschung ist das Tragische, dass diese Marktschreierei die tatsächlichen wichtigen Fortschritte einfach übertüncht. Klar, das ultimative Heilmittel kam in den letzten Jahren nicht herabgeschwebt. Aber immerhin wissen wir heute, dass Magen- und Gebärmutterhalskrebs von Viren ausgelöst werden, gegen die man was unternehmen kann, bevor es Krebs wird. Medikamente für die Chemotherapie mit weniger Nebenwirkungen wurden entwickelt, die Diagnostik verbessert, so dass man Krebs früher erkennen kann. Bei Brustkrebs wurden die brusterhaltenden und kosmetischen Rekonstruktionsmethoden verfeinert. Das sind alles kleine Fortschritte, die sich aber summieren. Es sieht nur keiner, weil man daraus keine bombastische Pressemitteilung stricken kann.
Die Marktschreierei in den Nachrichten verdeckt die eigentlichen Fortschritte, die nun mal in der Regel eher graduell sind. Der Wissenschaftsboost, der ein Gebiet sprunghaft voran bringt, ist einfach selten. Wenn man als Forscher Glück hat, dann erlebt man das einmal im Leben und nie wieder.
Das ist meiner Meinung nach noch nicht einmal das Schlimmste: Langfristig gesehen verlieren wir Wissenschafter insgesamt unsere Glaubwürdigkeit, wenn nur noch Superlative nach außen dringen. Wenn die Menschen ständig hören “und hilft wahrscheinlich gegen Krebs” und außer Versprechungen keine sichtbaren Fortschritte präsentiert bekommen, dann halten sie die Forschung auf dem Gebiet irgendwann für sinnlos und irrelevant. Weil es anscheinend eh nichts bringt.
Wenn die Planetenforscher nicht mal in 10 Jahren langsam ein außerirdisches Bakterium präsentieren, dann verlieren die Leute irgendwann das Interesse daran. Es könnte heißen: “Ja, ja, sucht mal weiter. Ihr findet eh nichts, aber nicht mit unserem Geld.” Obwohl in Wahrheit nur ein kleine Minderheit unter den Planetenforschern wirklich nach Leben sucht. Ich tu es beispielsweise nicht.
Ich bin über jede Erkenntnis froh, die wir gewinnen. Auch wenn es “nur” um die Entdeckung von Kryovulkanismus auf dem Saturnmond Enceladus geht. Aber selbst da heißt es: “Wasser? Da könnte es Leben geben.” Pfff. Könnte, würde, hätte. Versteht mich nicht falsch! Natürlich lohnt es sich mal nachzuschauen, ob es da außerirdische Bakterien gibt. Aber ehrlich gesagt interessiert mich viel mehr, wo so weit weg von der Sonne – die von Enceladus aus gesehen eine winzige Funzel am Himmel ist – die Energie herkommt, um Eis zu schmelzen. Gezeitenreibung ist vermutlich ein Teil der Antwort, aber irgendein Puzzlestein fehlt da noch.
Den Leuten es aber zu erklären, wie es wirklich ist, kostet Zeit. Und die haben die wenigsten Journalisten. Gerade Freie werden erbärmlich bezahlt. Und nicht alle Forscher können es so erklären, dass es auch ein Laie versteht. Das ist schon eine Kunst für sich.
So kann es jedenfalls nicht weiter gehen: In dem Bemühen möglichst viele Leute zu erreichen, riskieren wir alle zu verprellen. Ich würde mich daher eher damit zufrieden geben, weniger Leute zu erreichen, aber denen dann was Richtiges zu erzählen und sie vielleicht zum Nachdenken anzuregen. Das halte ich langfristig gesehen für die bessere Strategie.
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