Was würdet Ihr von einem Sportreporter halten, der erkennen lässt, dass er nicht über die Spielregeln von Fußball Bescheid weiß? Das wäre doch irgendwie irritierend oder?
So ähnlich geht es mir teilweise bei Texten von Wissenschaftsjournalisten. Da stolpere ich über Sätze und Formulierungen und frage mich ernsthaft, ob der eigentlich einen blassen Schimmer davon hat, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert.
Das können durchaus ganz unschuldig wirkende Details sein. Aber ich finde gerade in den Details in gedankenlos dahin gesprochenen Sätzen offenbart sich der wahre Kenner oder eben auch profunde Unwissenheit.
1) Da stolperte ich in einem Text zur Zeitumstellung über den Ausruck “unser Alleswisser Albert Einstein“. Schöne Alliteration. Aber ich erwarte von Wissenschaftsjournalisten, dass sie nicht einer unkritischen Autoritätsgläubigkeit anhängen und schon gar nicht möchte ich, dass sie diese verbreiten bzw. weiter zementieren. Mich nervt diese Glorifizierung Einsteins zum Wissenschaftsgott oder -heiligen, dessen Zitate als Dogmen verwendet werden. Kann das bitte einer mal abstellen?
2) Ein ganz harmloser und an sich informativer Text über die Farbstoffe im Herbstlaub berichtete über verschiedene wissenschaftliche Ideen zu den möglichen Vorteile dieser Stoffe für die Pflanze: Schutz vor Parasiten oder vor starker Herbstsonne? Dann hieß es auf einmal: “Das ist noch nicht abschließend beweisen”
WTF? Abschließend bewiesen? Wie stellt sich die Autorin das denn vor vor? Kommen da Wissenschaftler jedes Jahr mit einer Checkliste zusammen, haken die Liste ab und packen danach die Idee nie wieder an? Das ist doch völliger Blödsinn.
Man kann nie etwas in der Naturwissenschaft “abschließend” beweisen. Aber irgendwann ist eine Idee so gut, dass sie alle anderen Ideen aussticht und oft sogar praktische Anwendungen im Alltag findet. Das ist eher ein selbstregulierender Prozess. Gute Ideen entwickeln sich weiter und die falschen erweisen sich als Sackgassen. Schon gar nicht ruht man sich auf den Lorbeeren aus und überprüft niemals wieder bewährte Ideen oder beschließt von oben herab, dass etwas ab jetzt “bewiesen” und damit “abgeschlossen” ist.
3) Vor kurzem auf WDR5-Leonardo habe ich dann in Zusammenhang mit Gentests für erbliche Kankheiten folgenden Satz gehört: “Die wenigsten Tests bieten 100%ige Sicherheit.” Die wenigsten Tests? Kein Test kann 100%ige Sicherheit garantieren! Ich kann noch nicht mal 100%ig garantieren, dass morgen nicht alle Äpfel eher nach oben schweben als zu Boden zu fallen. Es ist extrem unwahrscheinlich, aber 100%ig ausschließen? So denken Wissenschaftler nicht. Wir reden in Wahrscheinlichkeiten und sowohl 0% wie 100% sind Extreme einer Skala, denen wir sehr nahe kommen können, die wir aber nie endgültig erreichen werden. Es ist ein allzu verbreiteter Trugschluss, dass so etwas wie eine perfekte Lösung oder 100%ige Sicherheit überhaupt existiert.
Damit hab ich mich bei der LHC-Diskussion schon rumgeplagt und versucht diese Vorstellung aus der Welt zu schaffen.Tja und hier wird sie in einer an sich sehr guten Wissenschaftssendung mal eben im Vorbeigehen zementiert.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Leute ganz genau zu wissen meinen, was “Wissenschaft” ist, wie sie funktioniert und was Wissenschaftler den ganzen Tag so treiben. Dummerweise stimmen diese Vorstellungen oft nicht mit dem überein, was wir – die Wissenschaftler – darunter verstehen und wirklich treiben. Wir arbeiten nur tagtäglich damit und betreiben es als Beruf. Was wissen wir schon?
Gerade die, deren Beruf es eigentlich sein sollte, es besser zu wissen, tragen zu dieser Diskrepanz mit bei und haben keine Ahnung, was für einen Schaden sie damit anrichten. Als Wissenschaftler steht man da auf ziemlich verlorenem Posten.
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