Florian hat von einer neuen Entdeckung im Bereich Exoplaneten berichtet: Ein weiterer kleiner Planet und ein etwa neptungroßer, der sich nach Angabe der Entdecker in der habitablen Zone des Sterns befindet.
Innerhalb der Exoplaneten hat insbesondere die Nachricht mit der habitablen Zone für Stirnrunzeln innerhalb der Exoplanetengemeinde gesorgt. Auch innerhalb der europäischen. (Ich glaube, ich verrate da kein Geheimnis, wenn ich erzähle, dass die Europäer und Amerikaner gerade auf diesem Sektor eine ausgeprägte Konkurrenz pflegen.)
Denn wenn man mal eine anerkannte Definition und Formel für die Berechnung habitabler Zonen für Planeten zu Rate zieht, nämlich “Habitable Zones around Main Sequence Stars” von Kastings und anderen, dann kommt man leider zu dem Schluss, dass Gliese 581 d jenseits der Zone liegt, die das Vorkommen von flüssigem Wasser prinzipiell erlauben würde.
Bild (ESO): Die Planeten und die habitable Zone im Gliese 851-System und im Vergleich zu unserem Sonnensystem. Nicht wenige Planetenforscher sind ganz und gar nicht glücklich darüber wie großzügig mit dem Begriff “habitable Zone” umgegangen wird.
Gliese 581 d ist demnach noch weiter weg von der habitablen Zone seines Sterns, als Mars von der habitablen Zone der Sonne. Mars liegt bei uns ziemlich am Rand und hier wissen wir immerhin, dass der Planet in der Frühphase seiner Entwicklung zumindest über einen flachen Ozean verfügt haben muss. Der aber im Laufe der Zeit durch verschiedene Prozesse verloren ging.
Fairerweise muss man aber zugeben, dass der Begriff “habitable Zone” ein sehr unscharfer ist. Je nach Planetengröße, Zusammensetzung der Atmosphäre verschiebt sich das Ganze, ja die Zone verschiebt sich sogar im Laufe eines Sternenlebens auch durch Änderungen der stellaren Strahlungsenergie nach hinten. Und Gliese 581 d liegt schon verführerisch nah dran.
Ich kann schon verstehen, warum die Kollegen besonders diesen Punkt so hervorgehoben haben: Es bringt Schlagzeilen. Es ist sogar was für die BILD-Zeitung.
Im Übrigen ist dieser Email-Austausch innerhalb der Wissenschaftlergemeinde “Hast Du das gesehen? Was meinst Du dazu? Glaubst Du das?” absolut normal. Das ist sozusagen: Peer Review, die zweite Runde.
Jedes Paper wird immer noch mal innerhalb der Expertenrunde diskutiert – mal mehr und mal weniger kontrovers. Je nach Aussage und Bedeutung der Entdeckung und je nachdem, welche Leute beteiligt sind und wie groß das Lager ist. Dabei können durchaus die Fetzen fliegen. Und das war schon immer so, es hat halt nur kaum einer außerhalb der Wissenschaftlergemeinde mitgekriegt.
Ich weiß nicht, woher dieses Bild kommt, dass Wissenschaftler still und leise irgendwo alleine vor sich hinsitzen und im Disput nie ihre Stimme erheben oder mal zu deutlichen Worten greifen. Das ist unrealistisch.
Wissenschaft ist heutzutage Teamwork und Wissenschaftler sind Menschen und kriegen sich genauso in die Haare wie andere Leute auch. Weil Wissenschaft ein menschliches Unterfangen ist.
Ich hab erst letztens den Bericht eines Reviewers von einem Paper gesehen. Da stand dann als Bemerkung “This paragraph ist just silly” und eine lange Erklärung, warum das seiner Meinung nach so sei. Woraufhin andere Kollegen schon wieder meinten “Sollen wir mal dem Reviewer sagen, dass er das auch diplomatischer sagen kann?”
*Augen roll* Ein Reviewer, der offen und ehrlich seine Meinung abgibt, ist mir jedenfalls tausendmal lieber als so ein Wischwaschi-Reviewer, der niemandem wehtun will, und den größten Mist durchwinkt. Dann wird das Paper eben auf der nächsten Konferenz oder dem nächsten Meeting offen verrissen. Das ist doch für die Autoren viel schlimmer. Mit Kritik muss man in unserem Geschäft umgehen lernen. Manchmal ist die Kritik ungerechtfertigt, aber oft genug ist sie hilfreich. Weil kein Mensch alles wissen kann.
So wird halt heute Wissen geschaffen. Die einen haben was gemessen oder gerechnet, jemand der Ahnung hat, schaut drüber und stellt – im Idealfall – sicher, dass die Autoren nicht horrenden Blödsinn gemacht hat. Dann geht das Ergebnis raus an die gesamte Wissenschaftlergemeinde, wo bereits die Kollegen, die teilweise auch Konkurrenten sind, bereit stehen und das Zeug noch mal prüfen. Dann wird diskutiert und einige werden es verwerfen und wieder andere als Grundlage für weitere Arbeiten verwenden. Für diese Arbeiten, wenn sie denn hinhauen, geht dann das ganze Spiel von vorne los, bis irgendwann eine gewisse kritische Dichte erreicht wird und die ursprüngliche Entdeckung als gesichert angesehen werden kann. Nämlich meist dann, wenn mit Hilfe dieses Wissens weiteres Wissen geschaffen wurde.
Die Wissenschaft heute um uns herum baut auf sehr, sehr vielen kleinen Einzelerkenntnissen, die in Fleißarbeit erledigt werden, und auf einigen Geniestreiche auf – und auf sehr viel mehr Glücksfällen, als wir wahrhaben wollen.
In diesem Bild ist eine neue Entdeckung einfach ein neuer Baustein für das Gebäude “Wissenschaft”.
Oft handelt es sich dabei “nur” um einen Backstein. Einfach und langweilig, aber solide und sehr viele Backsteine ergeben eine tragfähige Mauer. Die braucht man auch für ein solides Gebäude. Dann gibt es so große Erkenntnisse, wie die Relativitätstheorie, dass man damit das Fundament für einen ganz neuen Seitenflügel legen kann. Es gibt Leute auf der Baustelle, die machen lieber Baupläne für zukünftige Bauabschnitte – nennen wir sie mal Theoretiker – und wieder andere packen lieber an und versuchen die Pläne umzusetzen. Nennen wir die mal Experimentalisten oder Beobachter. Und jedes Mal, wenn irgendjemand den Bauplan ändert oder ein neues Bauteil anbringt oder aber eines verbaut, wird darüber diskutiert, ob das auch so richtig ist. Denn wir stehen auf diesem immer weiter wachsendem und niemals fertig werdendem Gebäude. Wenn ein Teil davon nachgibt, ist das gar nicht so gut für die Leute, die da stehen. Daher hat jeder eigentlich ein Interesse daran, es möglichst richtig hinzukriegen.
Die Bausteine “Planet in einer habitablen Zone” und “Wasserplanet” sind nun besonders schöne Bausteine, aber eben auch solche, wo noch darüber diskutiert wird, ob sie zuverlässig genug für den Einbau sind. Vielleicht muss man sie modifizieren, vielleicht muss man sie völlig verwerfen, vielleicht erweisen sie sich als richtig. Das wird sich erweisen, wenn dieser Baustein weitere Erkenntnisse mit sich bringt, mit denen man weiterbauen kann.
Vielleicht baut jemand einen kleinen Erker drauf, der dann aber doch umgebaut werden muss, weil sich irgendwann herausstellt, dass die Grundlage nichts taugt. Oder aber einfach nicht richtig verwendet wurde, oder aber es fehlt ein wichtiges Bauteil. Alles schon vorgekommen.
Eine Garantie für Erfolg gibt es auf dieser Baustelle jedenfalls nicht.
Aber je mehr Etagen sich auf bestimmte Grundlagen stützen, je höher das Gebäude wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass diese Grundlagen falsch sind. Wie könnten sie sonst so viel tragen?
Update: Jetzt kommt schon die erste Verteidigung von Mayor mit diesem Paper Selsis et al. 2007 (A&A 476, 1373) und dem Argument, dass der Orbit ja exzentrisch sei und wenn man das berücksichtigt und den frühen Mars noch als habitabel bezeichnet, dann passt auch die Bezeichung für Gliese 581 d.
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