Da erklärt man immer und immer wieder lang und breit, dass es in den Naturwissenschaften den einen finalen abschließenden Beweis gar nicht gibt und stolpert dann andernorts in einem Artikel über die Floskel: “wurde schon immer vermutet, aber noch nie wirklich “wissenschaftlich” bewiesen.”


Waaah nein! Nicht schon wieder. An dieser Floskel stören mich eine ganze Reihe von Dingen.

Wie bereits eingangs gesagt: In den Naturwissenschaften gibt es keine 100%igen Beweise, sondern immer einen Haufen von Belegen. Irgendwann ist eine Idee so schlüssig und mit derart vielen Experimenten belegt und gleichzeitig spricht auch nichts oder sehr wenig gegen diese, so dass die Idee – genauer die Hypothese – ein verlässliches Fundament für weitere Arbeiten wird. Sie wird Teil einer Theorie.

Natürlich gibt es immer eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Idee sich irgendwann als falsch erweisen könnte. Die grundsätzliche Anerkennung dieser Unwägbarkeiten gewährleistet die Wandelbarkeit, Anpassungsfähigkeit und vor allem die Fähigkeit zur Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Allerdings, je mehr Erkenntnisse auf dem Fundament dieser Idee gewonnen werden, desto unwahrscheinlicher wird es. Vor allem muss man sich dann schon ein bisschen anstrengen, um dieses Fundament umzustürzen. Es sieht schon ein bisschen lächerlich aus, wenn jemand im übertragenen Sinne mit dem Fuß gegen ein stabiles Gebäude tritt. Leider sind die geistigen Häusertreter gleichzeitig geistig schmerz- und merkfrei. Im Ernst, manche Gedanken, die z.B. Einstein-Leugner äußern, sind so widersinnig, dass sie schon beim Lesen wehtun.

Im Grunde hantieren Naturwissenschaftler also von Natur aus mit Wahrscheinlichkeiten. Dummerweise ist aber genau das ein großes Problem in der Wissensvermittlung. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich Menschen Wahrscheinlichkeiten sehr schlecht vorstellen können. Das Taxi- oder Ziegenproblem sind zwei klassische Beispiele mit bedingten Wahrscheinlichkeiten, die dem “gesunden Menschenverstand” widersprechen.

Man tut der Wissenschaftskommunikation aber keinen Gefallen, wenn man dieses kategorische Ein-Aus-Denken unterstützt.

Ein weiteres Problem dieser Floskel ist dieses hochpushen der Arbeit einer Wissenschaftlergruppen auf Kosten der anderen. Die anderen haben bloß vermutet, die tollen Hechte hier aber die haben es bewiesen. Hach, sind sie nicht toll? *Augen roll* Im Grunde handelt es sich um PR-Sprech und es ist in den meisten Fällen weder eine faire noch richtige Darstellung der wissenschaftlichen Arbeit. Warum verweisen wohl Forscher immer auf frühere Arbeiten anderer Forscher? Weil deren Arbeit so langweilig und unwichtig ist?

Zuguterletzt erweckt das bei mir die falsche Assoziation der Wissenschaftler als Buchhalter der Natur. So, als stünden wir mit einem Klemmbrett da und würden hinter jedes unerforschte Phänomen irgendwann ein Häkchen machen und es dann zu den Akten legen. Damit es nie wieder jemand anpackt und untersucht. Und das ist schlicht Quatsch. Es wird alles immer und immer wieder untersucht und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Zumindest früher oder später.

Man muss das wohl immer und immer wieder betonen. Es ist und bleibt eine echte Sisyphos-Arbeit. Diesbezüglich hat einer meiner Lieblingsphilosophen, Albert Camus, ein außerordentlich schönes Essay verfasst: Der Mythos des Sisyphus.

Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. …

Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Also, dann mache ich mich mal wieder daran, den Felsen der Wissenschaftskommunikation weiter gegen den Gipfel zu schieben. Mit einem kleinen Lied auf den Lippen 😉

Kommentare (89)

  1. #1 Monika Mustermann
    Juni 16, 2009

    Sie sind wohl ein Kreationist.

  2. #2 sil
    Juni 16, 2009

    Du bist eben mit Herzblut bei der Sache und liebst die Wissenschaft, Ludmila. Herrlich!

  3. #3 Ronny
    Juni 16, 2009

    @Sil
    Ja Ludmilla ist mit Herzblut dabei, das merkt man daran wie sie immer hochgeht 🙂
    Ich bemerke da einen Stil:
    Stufe 1: sachliche Antwort
    Stufe 2: zähneknirschende sachliche Antwort
    Stufe 3: Bumm !

    @Ludmilla
    Ich stimme dir zu. Du sprichst genau das an was viele nicht verstehen, nämlich dass Wissenschaft NIE zementierte Meinungen vorgibt sondern die Realität bestmöglich beschreibt.

  4. #4 ali
    Juni 16, 2009

    @Monika (oder Martina?) Mustermann

    Schon wieder?

  5. #5 Thilo Kuessner
    Juni 16, 2009

    Mustermann sollte wohl eigentlich Münstermann heißen?

  6. #6 Ludmila
    Juni 16, 2009

    @Ronny: Es ist halt so, diese ganzen Antworten kosten viel, viel Zeit. Ich schlag nach, rechne nach, überprüf hier und da.

    Und wenn mir jemand das dritte Mal wieder mit “Daten und Erklärungen sind mir egal, ich hab meine festzementierte Meinung” kommt, dann hab ich einfach die Schnauze voll. Kann der oder die mir nicht vorher sagen, dass es ihm oder ihr scheißegal ist, was ich dazu sage? Dann kann ich mir die Mühe sparen. Dann bricht sich der Frust halt seine Bahn. Ich bin eben nicht so geduldig wie Florian.

  7. #7 Stefan Jacobasch
    Juni 16, 2009

    “Im Grunde handelt es sich um PR-Sprech und es ist in den meisten Fällen weder eine faire noch richtige Darstellung der wissenschaftlichen Arbeit.”

    Völlig richtig festgestellt. Aber ist es in der Regel nicht von den Forschern bzw. ihren Arbeitgebern selbst erwünscht, dass Medien die Arbeitsergebnisse als endgültige Beweise darstellen? Ich vermute, auch das Publikum will es so haben. Dann hat es beim Lesen “echte Fakten” gelernt, anstatt nur von einer weiteren These erfahren zu haben.

    Und dank der Flüchtigkeit, mit der die Medien mittlerweile arbeiten, wird das PR-Sprech gern übernommen, wenn es eindeutig formuliert rüberkommt. Weil abwägen, einordnen, alternative Meinungen einholen,… eben mächtig Zeit kosten.

  8. #8 Jörg Friedrich
    Juni 16, 2009

    Ich glaube nicht, dass man ganz ohne die Formulierung “wissenschftlich bewiesen” oder eine äquivalente Formulierung auskommen wird um deutlich zu machen, dass eine wissenschaftliche Aussage so gut bestätigt ist, dass man sie als sicheres Wissen ansieht.

    Das Problem steckt m.E. darin, dass unklar ist, was Sie mit “Teil einer Theorie werden” bezeichnen, bzw. es ist schon ein Stück vorher vorhanden, nämlich bei dem etwas unklaren Begriff der Hypothese. Die Frage ist, ob sich diese auf ein Einzelobjekt bezieht oder eine All-Aussage ist.

    Hypothesen, die All-Aussagen sind, sind im Allgemeinen schon vor ihrer empirischen Überprüfung Teil einer Theorie, z.B. die Hypothese der Existenz von Higgs-Teilchen. Solche Hypothesen werden ja aus Theorien abgeleitet. Gleichzeitig leitet man aus der Theorie auch die Beobachtungsbedingungen zur Prüfung der Hypothese ab.

    Wenn man dann im Experiment die von der Theorie vorhergesagten Befunde findet und gleichzeitig andere Gründe für diese Befunde ausschließen kann dann ist man schon berechtigt von einem wissenschaftlichen Beweis z.B. für die Existenz von Higgs-Teilchen zu sprechen. Es ist ein Beweis in dem Sinne, wie der Begriff auch in der Alltagssprache verwendet wird (und wie Sie es oben auch schreiben): Alles spricht dafür und nichts spricht dagegen.

    Wenn eine All-Aussage in dem beschriebenen Sinne nicht bewiesen werden kann, wird die Theorie, aus der sie abgeleitet ist, erschüttert.

    Der Beweis von Einzelaussagen läuft zwar ähnlich ab, der Einfluss auf die Theorie ist aber ein anderer.

    Eine Einzelaussage bezieht sich immer auf einen konkreten empirischen Sachverhalt. Man findet z.B.ein Fossil und hat die Hypothese, dass das der “missing Link” zwischen zwei verwandten Arten sein könnte. Jetzt sucht man nach weiteren Indizien, dass das stimmen könnte. Diese Indizien werden i.a. ebenfalls aus Theorien abgeleitet. Wenn die aus Theorien erwarteten Eigenschaften am konkreten Objekt gefunden werden und gleichzeitig nichts gefunden wirde, was nach der Theorie gegen die Hypothese spricht, sagt man ebenfalls, dass die Hypothese nun bewiesen ist.

    Ein wissenschaftlicher Beweis hat also folgende Form

    A: Ableitung von Beobachtungserwartungen aus der Theorie
    B: Protokollierung von Beobachtungen
    ________________________________________________________
    C: Übereinstimmung von A und B
    D: Ausschluss anderer Erklärungen für B
    ________________________________________________________
    E: Beweis der Hypothese

    Die Formulierung der Hypothese erfolgt bei A oder B, A und B können vertauscht werden.

    Das Problem liegt in D: Da das quasi eine unendliche Aufgabe sein kann. In dem Sinne ist jeder Beweis in der Wissenschaft tatsächlich nur vorläufig, man sagt deshalb auch gern: Man sieht es als bewiesen (oder erwiesen) an, das macht deutlich, dass es sich eben um eine Überzeugung handelt. Und in seinen Überzeugungen kann man grundsätzlich auch irren. Aber damit leben die Menschen, nicht nur in der Wissenschaft. Dafür gibt es überall Verfahren, die das hinreichend sicher stellen, wenn nicht, könnte kaum ein Verbrecher jemals schuldig gesprochen werden.

  9. #9 Bernd
    Juni 16, 2009

    Als Lokaljournalist habe ich die Formulierung “xy ist nicht wissenschaftlich bewiesen” sicherlich auch hin und wieder gebraucht (zum Glück haben Sie es nicht gelesen :-)).

    Haben wir Berichterstatter Alternativen wie “Dass Tee die Zehennägel grün färbt, ist wissenschaftlich anerkannt” oder “wissenschaftlich belegt”? Haben Sie Vorschläge?

  10. #10 Jörg Friedrich
    Juni 16, 2009

    @Thilo Kuessner: Siehe
    https://www.scienceblogs.de/arte-fakten/2009/04/wann-ist-wissenschaft.php#comment33118
    und vor allem
    https://www.scienceblogs.de/arte-fakten/2009/04/wann-ist-wissenschaft.php#comment33389

    Lustig, dass Frau Mustermann nun ausgerechnet Ludmila Carone und mich in einen Topf wirft.

  11. #11 Marcus Anhäuser
    Juni 16, 2009

    @Bernd
    Ihre beiden Vorschläge sind doch schon gut. Ich nehme gerne: “Das ist gut belegt/begründet/überürft”,”haben gute Belege dafür”, das ist unter Wissenschaftlern anerkannte Meinung usw. “Nur Außenseiter bezweifeln diese Aussage.” “Das ist Allgemeingut in der Wissenschaft..” “gilt als Gewissheit”

    “das ist längst hundertfach gezeigt worden”. “das ist praktisch unumstößlich” (schon schwieriger).
    “Darüber gibt es (eigentlich) keine Diskussion mehr” (auch etwas kritisch).

    usw.

    Gerne

  12. #12 Ludmila
    Juni 16, 2009

    Jörg Friedrich:
    1. Ich hab oben beschrieben, wann eine Theorie in meinen Augen zu einer Theorie wird. Wenn sie als Grundlage weiterer Arbeiten dient. Der Übergang ist schwammig, ja das gebe ich zu und wird immer wieder heiß unter Wissenschaftlern diskutiert.

    2.

    Alles spricht dafür und nichts spricht dagegen.

    So etwas gibt es nicht. Man kann nie alles abklopfen. Sind Sie allwissend? Also ich nicht. Also erübrigt sich jede weitere Schlussfolgerung aus dieser unzulässigen Prämisse.

    3. Die Alltagssprache lassen wir mal schön raus hier. Wenn wir damit anfangen, wird es noch schwammiger. Ein guter Philosoph sollte übrigens nach meinem Dafürhalten zunächst einmal sein Handwerkszeug beherrschen. Und das ist nun mal die Sprache. Nicht umsonst sind meine Lieblingsphilosophen zugleich ausgezeichnete Schriftsteller. Kant, Voltaire, Camus haben Sätze wie geschliffene Diamanten geschaffeb und definitiv keine Alltagssprache für ihre Texte verwendet.

    4.

    Solche Hypothesen werden ja aus Theorien abgeleitet.

    Nicht immer. Oft genug aus experimentellen Befunden. Deduktiv, induktiv. Unzulässige Verallgemeinerungen sehe ich bei jemandem, der sich selbst Philosoph nennt, nicht so gerne.

    5.

    Dafür gibt es überall Verfahren, die das hinreichend sicher stellen, wenn nicht, könnte kaum ein Verbrecher jemals schuldig gesprochen werden.

    “hinreichend sicher” ungleich “absolut sicher”. Das ist genau das, was ich dargelegt habe. Man kriegt eine hohe Wahrscheinlichkeit, aber dennoch gibt es immer noch Justizirrtümer. Im Übrigen sollten Sie sich den Begriff “Verbrecher” sparen. Das stellt eine unzulässige Vorverurteilung dar und ist BILD-Stil.

    Ich plädiere absolut dafür, dass man sich auch im Justizbereich immer vorhalten sollte, dass immer die Chance besteht, dass man gerade einem Unschuldigen das Leben ruiniert. Genau dafür gibt es auch Revisionen.

    6. All-umfassend, All-Aussagen. Darunter kann ich mir alles und nichts vorstellen und daher sind solche Aussagen in meinen Augen aufgeblasene Worthülsen bar jeder Bedeutung.

  13. #13 Ludmila
    Juni 16, 2009

    @Stefan Jacobasch: Ja leider. Deswegen schrieb ich ja PR-Sprech.

    Da fällt mit ein, einen ganz wichtigen Aspekt habe ich völlig vergessen. Wenn man immer mit “wissenschaftlichen Beweisen” ankommt, dann wundern sich die Leute, wenn einen Monat später die nächste Arbeitsgruppe ankommt und die “Beweise” der ersten Gruppe schon wieder relativiert.

    Das ist ein ganz, ganz großes Problem. Denn so kommen solche Einstellungen wie “Die Wissenschaftler sind sich gar nicht einig, also ist alles Mist, was die erzählen” in die Welt.

    Dabei ist ganz im Gegenteil dieses gegenseitige Korrigieren und aufeinander Aufbauen genau das Nonplusultra in der Wissenschaft und ihre größte Stärke.

    @Bernd: Also der Marcus Anhäuser, selbst Journalist, hat da einige Formulierungen vorgeschlagen, die ich alle hundertmal lieber sehen würde als “wissenschaftlich bewiesen”. Ich kann auch verstehen, dass man dazu neigt. Ich hab schon Wissenschaftler, die es besser wissen sollten, dabei erwischt. Die haben es noch nicht mal gemerkt, bis ich die drauf ansprach. So tief steckt die Floskel in der Alltagssprache drin. Also nicht grämen! So etwas passiert uns allen 😉

  14. #14 radicchio
    Juni 16, 2009

    mein vorschlag zur formulierung:

    »die experimente/versuchsanordnungen/studien von XYZ hatten ABC zum ergebnis.«

  15. #15 Jörg Friedrich
    Juni 16, 2009

    Zu 1: Jede wissenschftliche Hypothese ist “Grundlage weiterer Arbeiten” – Ihre Fassung ist nicht nur schwammig sondern macht die Abgrenzung von Hypothesen und Theorien unmöglich

    Zu 2: Aus dem Kontext des Satzes ergibt sich, dass “Alles” hier bedeutet: “Alle übrigen empirischen Befunde”

    Zu 3: Jemand der keine Alltagssprache verwendet und sich nicht darum kümmert, wie die Worte in der Alltagssprache verwendet werden, wird kaum erfolgreich kommunizieren können.

    Zu 4: In meinem Kommentar steht: “Im Allgemeinen” – ich habe da keinen Anspruch auf Universalität erhoben.

    Zu 5: Mein Argument sollte nur zeigen, dass “Beweis” eben auch außerhalb der Wissenschaft für “hinreichend gesicherte” Hypothesen verwendet wird und dass das Wort auch sonst keine “absolute Sicherheit” bedeutet.

    Zu 6: Aus der Wikipedia:

    Eine Allaussage ist eine Aussage über alle Elemente eines bestimmten Gegenstandsbereichs,[1] zum Beispiel die Aussage „Alle Menschen sind sterblich.“ Synonym werden modern Bezeichnungen wie Universalaussage, universale Aussage, universelle Aussage, Allsatz, Generalisation oder Generalisierung (als Ergebnis) verwendet.

  16. #16 buch
    Juni 16, 2009

    @Monika Mustermann: Häh?!

  17. #17 Bernd
    Juni 16, 2009

    Ich bin froh, dass ich den Hinweis hier gefunden habe – ein weiterer Anstoß, die Texte und Formulierungen immer wieder zu hinterfragen und umzukrempeln.
    Der angenehme Nebeneffekt ist, dass die Leser spannendere Artikel bekommen, weil nicht ständig auf den immergleichen Pfaden herum getrampelt wird.

    Vielen Dank für die prompten Antworten und vorgeschlagenen Alternativen.

  18. #18 Ludmila
    Juni 16, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Jede wissenschaftliche Hypothese ist “Grundlage weiterer Arbeiten”

    1. Ein berechtiger Einwand. Hier fehlt eine ganze Menge. Schön, vielleicht kann man hier ansetzen und um den Begriff “konstruktiv” und “empirisch”erweitern. D.h., die Hypothese führt zu empirischen Befunden, welche die Hypothese zunächst einmal stützen. Diese Befunde führen dann darauf aufbauend oft zu weiteren Hypothesen, die dann wiederum durch weitere empirische Befunde gestützt werden. Spätestens auf dieser zweiten Stufe sollte sich schon langsam herauskristallisieren, dass die Hypothese so falsch nicht sein kann.

    Im Grunde ist es immer die Empirie, also der Abgleich der entwickelten Ideen mit der beobachtbaren Realität, welche die Spreu vom Weizen trennt und eine Hypothese zum Teil einer Theorie werden lässt, welche dann im engen Rückgriff mit empirischen Befunden, die bislang beste umfassende Erklärung für einen beobachtbaren Teilbereich der Natur ergibt.

    2. Zitat 4 und Zitat 6 widersprechen sich gegenseitig. Entweder erheben Sie jetzt Anspruch auf Universalität oder nicht. Beides zugleich in ein und demselben Kommentar ist ziemlich widersinnig. Im Übrigen kann ich nicht verhehlen, dass ich eine ausgesprochene Abneigung gegen Universalansprüche hege.

    3. Bezüglich der Sache mit der Alltagssprache. Machen Sie immer den zweiten Schritt vor dem ersten? Als Philosoph sollte man zuallererst in klarer, dezidierter und präziser Sprache seine Gedanken darlegen. (Ok, fein ich gebe zu, das war gerade ein Pleonasmus ;-). Mit diesem als Fundament kann und sollte man anschließend diese Gedanken in die Alltagssprache übersetzen. Ein guter Philosoph sollte natürlich beides beherrschen und sich insbesondere der sprachlichen Fallen bewusst sein.

    Wenn Sie allerdings mit der Alltagssprache beginnen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass Sie ständig missverstanden werden. Dann geraten Ihre Texte zu Spielen in freier Assoziation. Das ist äußerst frustrierend für Sie und die Leser.

  19. #19 hajo
    Juni 16, 2009

    ach Ludmila, warum eschoffierst Du Dich über derartige “Ergüsse”?
    Nebenbei: irgendwo habe ich mal gehört, dass Journalismus ein Studienfach ist, kann doch nicht wahr sein, bei dem Unsinn, ders da in fast allen Medien verzapft wird.

    Aber lass mich auch mal ein wenig boshaft sein:
    Meine These ist: Wissenschaftler argumentieren so wie Du, weil sie ansonsten an ihrem eigenen Ast sägen würden ;-).

    Aber tröste Dich (Du weisst es selbst): Es gibt noch soooo viel Unerforschtes!

  20. #20 MartinB
    Juni 16, 2009

    Für meinen Geschmack steckt hier ein Hauptproblem in der Unterscheidung richtig/falsch. Zumindest physikalische Theorien sind ja immer quantitativ – durch die Relativitätstheorie wird die Newtonsche Mechanik ja nicht vollkommen “falsch”, sondern lediglich als Grenzfall erkannt. Und so ist es doch mit den meisten Theorien; die neuen Theorien sind “besser” in dem Sinne, dass sie mehr Vorhersagen machen können, aber die Vorhersagen der alten Theorien sind dadurch ja nicht plötzlich ungültig. Und die Frage, ob irgendeine Theorie jemals die “endgültige” Wahrheit darstellt, ist eh nicht zu beantworten- es kann immer eine umfassendere Theorie geben, die die bisherige als Grenzfall einschließt.

    @Jörg Friedrich
    Das Missing Link ist hier ein schlechtes beispiel – die Biologen suchen (allem Ida-hype zum Trotz) nicht mehr nach missing links, sondern stellen nur noch Verwandschaftsbeziehungen (Kladogramme) auf, weil man nie wird überprüfen können, ob ein bestimtes Fossil tatsächlich ein link war.

  21. #21 Thilo
    Juni 16, 2009

    Ist Monika Mustermann die Schwester von Martina Mustermann? Oder schreibt sie nur zufällig dieselben Kommentare mit derselben Münsteraner IP-Adresse?

  22. #22 iris
    Juni 16, 2009

    Meiner Meinung nach ist das Problem, dass Journalisten ja auch versuchen, wissenschaftliche Ergebnisse in die Alltagssprache zu übersetzen, wo Beweis eben so verwendet wird. Ich bin mir nicht sicher, dass es eine gute Idee ist, immer herauszustellen, dass es in der Wissenschaft keinen endgültigen Beweis gibt, eben weil die Wissenschaft einen wesentlich höheren Anspruch daran hat, was einen Beweis darstellt. Da kommt dann sonst wieder “Die Wissenschaft kann das eh nicht beweisen, also kann es genauso gut falsch sein”, das nervt mich genauso wie das beliebte “XY ist ja eh nur eine Theorie, genauso wie meine Theorie über die Heilung mit Tachyonen/anderer Blödsinn, also sind die beiden Theorien gleichwertig”.
    Vielleicht sollten wir als Wissenschaftler versuchen, neue Begriffe für Theorie und Beweis zu verwenden, die in der Alltagssprache nicht so beliebig besetzt sind.
    Klar, wenn man jedesmal die Zeit hätte, lang und breit zu erklären, was Wissenschaftler unter Beweis und Theorie verstehen, sollte man das machen, aber realistisch betrachtet hat man das meistens einfach nicht.

  23. #23 knorke
    Juni 17, 2009

    Vielleicht hilft’s ein bissel, wenn ihr euch in den Scienceblogs abwechselt, und das alle 2-3 Monate wieder schreibt, mit’n bissel Glück schnallen’s ja auch die medialen Normalverbraucher irgendwann.
    Man muss aber auch sagen, dass Wahrscheinlichkeiten ein hartes Brot sind – wir hatten das Ziegenproblem in einer der ersten Statistik-Veranstaltungen und offen gestanden kriegt man diese Denke eigentlich nur mit ein bissel üben überhaupt so einigermaßen. Ich seh’s bei mir: Ich halte mich für jemanden mit ‘ner sehr soliden Grundbildung in Stochastik und Statistik – aber wenn ich mir eine stochastische Formel versuche herzuleiten (manchmal überkommts mich im Zug wenn mir langweilig ist) dann macht mein Kopp irgendwann dicht und ich dreh mich im Kreis.
    Wie viel einfacher ist da doch zu verstehen wenn jemand behauptet: So isses! Punkt!

  24. #24 Chupacabra
    Juni 18, 2009

    @Ludmila: Könntest du vielleicht kurz skizzieren, wie die mathem. Modellierung aussehen würde, aus der man Folgendes ableiten kann:

    […] Allerdings, je mehr Erkenntnisse auf dem Fundament dieser Idee gewonnen werden, desto unwahrscheinlicher wird es.

    Bzw. kurz erläutern wie die Begriffe der Statistik wie »Grundgesamtheit«, »Stichprobe«, »Irrtumswahrscheinlichkeit« in diesem Kontext aussehen?

    Oder wie kann man denn plausibel erklären, dass die Wahrscheinlichkeit kleiner 50% ist, dass sich z.B. die Relativitätstheorie als falsch erweist? Was ist überhaupt darunter zu verstehen?

  25. #25 Ludmila
    Juni 18, 2009

    @chupacabra: Uff. Da sagst Du was. Hmm.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die RT als falsch erweist – im Zeitalter des GPS und von Satelliten – würde ich als äußerst gering ansetzen.

    Lass mich mal überlegen.

    Es sind ja über 100 Jahre ins Land gegangen. RT ist inzwischen Lehrbuchstoff. Jedes Jahr werden an jeder Uni dieser Welt die RT im Rahmen des Physikstudiums in einem Praktikum verifiziert. Sagen wir mal, sehr konservativ geschätzt, dass jedes Jahr 1000 unabhängige Experimente laufen, die z.B. die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum unter Bewegung untersuchen. Von denen gehen 10% komplett schief bzw. ist keine Aussage möglich, weil Studenten nicht aufgepasst haben, Gerät kaputt, Unterlagen verlegt etc. Dann hat man immer noch 900 Befunde. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jeweils 900 Experimente einen falschen Befund liefern und es niemandem auffällt?

    Sagen wir, jedes Experiment hat 1% Wahrscheinlichkeit, was komplett falsches anzuzeigen, ohne dass es auffällt. Dann geht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass 900 Experimente an verschiedenen Orten der Welt mit leicht unterschiedlichen Methoden alle konsistent was falsches anzeigen und das auch noch gleich falsch mit 1% hoch(900) in den Keller.

    Es muss ja nur bei einem einzigen Experiment auffallen, dass da was nicht stimmen kann. Und schon ist die Hypothese “Konstanz der Lichtgeschwindigkeit” falsifiziert.

    Rechne das aus. Das ist 1 hoch (-2 * 900) = 1 hoch (-1800). Eine 1, der nach dem Komma noch 1800 Nullen voranstehen. Das ist extrem gering. Jeder normale Mensch – außer diese komischen Wissenschaftler 😉 – würde das als gesichert ansehen.

    Und das Jahr für Jahr für Jahr und ich denke, ich war noch extrem konservativ mit meinen Schätzungen. Selbst wenn wir die Wahrscheinlichkeit auf 50% ansetzen. Dann hast Du immer noch 0,5 hoch 900, was immer noch eine extrem niedrige Zahl ist. Und jedes Jahr kommen neue Experimente mit neuen Gerätschaften zum Einsatz und ich hab noch nicht mal berücksichtigt, dass jede GPS-Messung im Grunde auch eine Bestätigung der RT ist. Wieviele Autos fahren damit durch die Gegend?

    Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nach so vielen Jahren als Messspuk entpuppt, läuft irgendwo unter ferner liefend. Mindestens 0,00000 bitte 900 mal wiederholen und dann irgendwan ne 1. So extrem unwahrscheinlich ist das.

    Dann kannst Du auch gleich drauf warten, dass der Apfel das nächste Mal gegen die Decke hüpft und nicht auf den Boden 😉

  26. #26 Chupacabra
    Juni 18, 2009

    Bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Die Wahrscheinlichkeit die du berechnet hast, ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass Messverfahren 900 mal hintereinander versagen. Das ist aber was vollkommen anders.

    Ich bleibe bei deinem Bsp. mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, vervollständige aber die Aussage zu:
    “Für alle Inertialsysteme ist c konstant.” (Ich nehme an, so war das auch von dir gemeint)

    Deine Experimente verstehe ich als Hypothesen der Form:
    “Für das Intertialsystem A ist c konstant”, “Für die Intertialsysteme A, B, C ist c konstant”, usw. Also Aussagen über eine endliche Menge von Inertialsystemen.

    Ich bin auch noch etwas gutgläubiger und behaupte, dass kein Experiment je was Falsches anzeigt, ohne dass es auffällt. Deine 1% sind also bei mir 0%. Was habe ich nun? Ich weiß mit 100%-iger Sicherheit, dass in mind. 900 Inertialsystemen c konstant ist. Was sagt mir das über die Irrtumswahrscheinlichkeit der Aussage “Für alle Inertialsysteme ist c konstant.”?

    Auch folgt meines Erachtens aus deiner Rechnung dass, wenn ich es schaffe, meine Messgeräte immer weiter zu perfektionieren, ich die Anzahl meiner Experimente reduzieren kann. Vielleicht habe ich irgendwann ein Messgerät mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit unter 1 hoch -1800. Dann würde es reichen, NUR die Hypothese “Für das Intertialsystem A ist c konstant” zu testen.

  27. #27 Ludmila
    Juni 18, 2009

    @chupacabra: Ja, den Effekt hab ich gemeint.

    Ich argumentiere hier mit Kombinatorik und ich hab mir das so gedacht:
    Es gibt zwei Möglichkeiten. Das Postulat aus der RT ist richtig oder es ist falsch, aber die Messungen gaukeln uns da einen Effekt vor. Sonst hätte es sich ja nicht so lange bewährt.

    Wenn Du das eine berechnest, kriegst Du automatisch das andere. Wenn es 1 hoch (-1800) wahrscheinlich ist, dass die Messungen alle falsch sind, dann ist die komplementäre Wahrscheinlichkeit, dass das Postulat der RT “Invarianz von c in Inertailsystemen” richtig ist: 1- (1 hoch(-1800)). Eines von beiden Fällen muss es ja sein und beide Wahrscheinlichkeiten müssen sich zu 1 addieren.

    Mir geht es nicht um Messeffekte. Mir geht es darum, dass hier etwas wirklich zum Erbrechen immer und immer wieder geprüft wird und von daher alleine dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass die Hypothese komplett falsch ist, rapide in den Keller geht.

  28. #28 Chupacabra
    Juni 18, 2009

    @Ludmila: Ich habe dich anscheinend schon richtig verstanden.

    Es gibt zwei Möglichkeiten. Das Postulat aus der RT ist richtig oder es ist falsch, […]

    Ist klar. In den Experimenten testest du aber nicht das Postulat “In allen Inertialsystemen ist c konstant”, sondern nur das “Teilpostulat” “Im Inertialsystem A ist c konstant”. A soll dabei irgendein bestimmtes Inertialsystem sein. Das Problem ist die All-Aussage des RT-Postulates.

    Schade, dass du nicht genauer auf meine letzten zwei Absätze eingehst. Ich dachte, sie zeigen eindeutig, dass das, was du berechnest, nicht das ist, was es vorgibt: nämlich die Irrtumswahrscheinlichkeit, dass in allen IS c konstant ist. Könntest du eventuell mit dem Finger auf die Stellen meines letzten Posts zeigen, mit denen du nicht einverstanden bist?
    Meine Frage

    Was sagt mir das über die Irrtumswahrscheinlichkeit der Aussage “Für alle Inertialsysteme ist c konstant.”?

    war eigentlich rhetorisch gemeint. Die Antwort sollte “Gar nichts” sein.

    Mir geht es nicht um Messeffekte.

    Mir auch nicht. Ich meinte sogar, dass selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für Experimentfehler nicht wie bei dir 1%, sondern 0% ist, du nichts über die Irrtums-Wahrscheinlichkeit sagen kannst, dass das RT-Postulat wahr ist.

  29. #29 Ludmila
    Juni 18, 2009

    @Chupacabra: Ich versteh Dich nicht.

    dass selbst wenn die Wahrscheinlichkeit für Experimentfehler nicht wie bei dir 1%, sondern 0% ist, du nichts über die Irrtums-Wahrscheinlichkeit sagen kannst, dass das RT-Postulat wahr ist.

    Sehe ich genau anders herum. Was vielleicht daran liegt, dass ich bereits mehrfach betone, dass die Empirie zwischen “wahr” und “falsch” in der Wissenschaft entscheidet.

    Wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit 0% ist, Du eine perfekte Messung hast, dann reicht doch bereits eine Messung um das RT-Postulat als wahr oder falsch zu klassifizieren. Entweder misst Du einen Effekt oder Du misst keinen. Wenn die Messung das Postulat bestätigt, wunderbar, dann ist es anscheinend wirklich so. Das ist doch der Witz an der Wissenschaft. Mach ne Vorhersage, gleich es mit Messdaten ab, passt es? Ja? Wunderbar. Nein? Oh. Mist, da stimmt was nicht.

    So und das machst Du jetzt mit jedem einzelnen Effekt, der durch die RT vorhergesagt wird. Und das wird ja auch gemacht. Die ganze Zeit. Und deswegen ist die ganze Theorie extrem gut gesichert. Mit jeder einzelnen Messungen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht völlig falsch ist für den Bereich, den wir messen können. Und wir sind heute bei weit über 0,99999999 mach das zig mal.

    Ich versteh ehrlich nicht, worauf Du eigentlich hinaus willst.

  30. #30 Ludmila
    Juni 18, 2009

    Nachtrag: Da es aber nun mal keine perfekten Messungen gibt, muss man eben mit den Irrtumswahrscheinlichkeiten rechnen.

  31. #31 Ludmila
    Juni 18, 2009

    @Chupacabra: Ach sooo, Du störst Dich an der Sache “alle Inertialsysteme”. Du willst darauf hinaus, dass das hier auf der Erde so sein könnte, aber hinter der Beteigeuze in der Nachbargalaxie ganz anders?

    Oder sehe ich das falsch?

    Also das kann man ziemlich ausschließen, denn dann könnte man die Effekt der RT auf der Erde nicht messen.

    Nein, ganz im Ernst. Es heißt zwar immer, in der Relativitätstheorie ist alles relativ, aber das ist eigentlich totaler Quatsch. Die RT setzt nur etwas ganz anderes als überall in diesem Universum gleich. Und das sind die Naturgesetze. Die RT folgt nämlich ziemlich automatisch daraus, dass eine Lichtwelle – egal wo sie ist und wie sie sich in Bezug zu irgendetwas bewegt – immer durch Maxwell-Gleichungen beschrieben werden kann. Dass es also kein System gibt, wo diese nicht mehr gelten. Und das wäre z.B. der Fall, wenn in einem System c mal so und c mal so wäre.

    Im Grunde hat die RT damit eigentlich ziemlich schlüssig und mit hoher Wahrscheinlichkeit belegt, dass die Naturgesetze überall gleich gelten müssen.

    Und die Astronomie bestätigt auch das immer wieder. Wie da oben, so auch hier unten und umgekehrt. Das hat aber schon Galileo vor 400 Jahren festgestellt.

  32. #32 Chupacabra
    Juni 18, 2009

    Wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit 0% ist, Du eine perfekte Messung hast, dann reicht doch bereits eine Messung um das RT-Postulat als wahr oder falsch zu klassifizieren.

    Und genau das ist mein Problem: Wie soll denn so ein Experiment aussehen, das zeigt, dass in ALLEN Inertialsystemen, c jederzeit konstant ist?!

    Ich nehme ein anderes, künstliches, Beispiel: Folgende Theorie: “Alle Grashalme in Europa sind grün.”; diese soll nun überprüft werden. Nehmen wir an, wir haben ein Superverfahren, dass mit einer 1 hoch -1000 Wahrscheinlichkeit richtig entscheidet, ob ein Gegenstand ein grüner Grashalm ist. Wie ich dich verstehe, reicht dann das überprüfen EINES Grashalmes, um zu behaupten:

    Mit der W. 1 – 1hoch-1000 sind alle Grashalme grün.

  33. #33 Jörg Friedrich
    Juni 18, 2009

    @Chupacabra: Das Beispiel von Ludmila ist etwas unglücklich gewählt. Naürlich gewinnen Sie nichts an Sicherheit, wenn Sie exakt das gleiche Experiment immer wieder wiederholen. Entscheidend für die Zunahme der Sicherheit ist, dass Sie aus der Theorie immer wieder neue, andere Experimente ableiten, dass Sie ihre Grundthesen an immer wieder anderen Situationen testen. Wenn Sie dann immer wieder Bestätigung finden und nie eine Abweichung von dem was ide Theorie sagt, dann können Sie irgendwann sagen: Ich bin sicher, dass es so ist.

    Aber natürlich wartet auf jede Theorie die Situation, in der sie sich nicht bewährt. Wir können uns mmer sicherer sein, dass die Theorie einen immer größeren Anwendugnsbereich hat, aber irgendwann kommt der Moment, wo wir diesen Anwendungsbereich verlassen. Das ist auch nicht schlimm, wir kennen dann eben die Grenzen der Theorie, aber innerhalb derer ist sie mmer noch sehr gut bestätigt.

  34. #34 Chupacabra
    Juni 18, 2009

    @Jörg Friedrich: Der Sicherheitsbegriff, den Sie verwenden, hat aber nichts zu tun mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff der Mathematik, der z.B. beim Taxiproblem oder Ziegenproblem Anwendung findet, und um den es mir in der Diskussion geht. Wenn es die gleichen Begriffe wären, dann müsste doch auch folgendes legitim sein:
    Jemand zieht aus einer Urne mit unendlich vielen Kugeln immer nur schwarze, und sagt dann irgendwann:
    “Die Wahrscheinlichkeit ist kleiner 50%, dass es in der Urne nicht-schwarze Kugeln gibt”
    ohne zu wissen, wie die Wahrscheinlichkeitsverteilung in der Urne aussieht.
    Was aber eine unsinnige Aussage wäre.

  35. #35 Jörg Friedrich
    Juni 19, 2009

    Bevor ich mich ganz ins Wochenende verabschiede möchte ich noch versuchen, einen kleinen Beitrag zur Klärung dieser Frage zu leisten.

    Man muss zwei Dinge voneinander unterscheiden:

    Erstens die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, dass das selbe Experiment immer wieder das gleiche Resultat liefert. Dass diese Wahrscheinlichkeit außerordendlich hoch ist, ist nicht nur durch die stetige Wiederholung bestimmter Experimente verbürgt, sondern durch die gesamte Erfahrung aller Menschen. Wenn bei einem scheinbar gleichen Experiment plötzlich etwas anderes beobachtet wird, dann widerlegt das nicht die These, dass unter gleichen bedingungen das gleich passiert, sondern man wird noch den Unterschieden in den Bedingungen suchen.

    Von dieser Art sind die Praktikums-Experimente in Ludmila Carones Beispiel. Wie gesagt, sagen solche Experimente jedoch nichts über die Richtigkeit der zugrundeliegenden Theorie, was nicht schon von der ersten erfolgreichen Durchführung des Experimentes gesagt worden wäre. Dieses Experiment ist genau eine Stütze der Theorie.

    Zusätzliche Stützung der Theorie erfolgt durch neue Experimente, dadurch wächst die Sicherheit der Bestätigung der Theorie, der mathematische Wahrscheinlichkeitsbegriff ist hier allerdings in der Tat nicht sehr hilfreich.

    Zu Ihrem Urnen-Beispiel: Wenn Sie immer wieder an der gleichen Stelle auf die gleiche Weise in die Urne greifen, haben Sie tatsächlich ein Problem, weil es natürlich sein kann, dass jemand erst die grünen, dann die blauen, dann die schwarzen Kugeln in die Urne getan hat. Immer wieder reingreifen, bedeutet dann, sie sammeln nur die obere Schicht ab.

    Ein Wissenschaftler, der die These “Es sind nur schwarze Kugeln in der Urne” prüfen will, wird deshalb nach neuen Verfahren, Kugeln aus der Urne zu entnehmen, suchen: Kann man seitlich ein Loch bohren? Kann man per Röntgen-Technik o.ä. die Farbe tiefer liegender Kugeln ermitteln? Kann man tiefer greifen? Kann man schütteln oder rühren?

    Wenn Sie solche Verfahren anwenden, dann werden Sie immer sicherer, dass nur schwarze Kugeln in der Urne sind. Aber es kann natürlich sein, dass es in einer Ecke auch andere Kugeln gibt, an die Sie mit Ihren bisherigen Techniken nicht heran kommen. Diese Möglichkeit ist aber mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht zu erfassen.

  36. #36 Ludmila
    Juni 19, 2009

    @Chupacabra: Ich möchte Dir zuallererst mal danken. Dein Nachhaken und Deine guten Fragen haben mich gezwungen, mich umfassender mit diesen Ideen zu befassen. Und ich weiß ja nicht, wie es Dir geht, aber mir hat das unheimlich viel gebracht 😉

    Zurück zu der Idee mit dem Grashalm. Das ist ein wirklich schönes Beispiel.

    “Ein Grashalm ist grün” ist nämlich – nach meinem Verständnis – weder eine echte Theorie noch ein Naturgesetz, was normalerweise eine Untereinheit einer Theorie ist. “Der Grashalm ist grün” ist zunächst eine aus einer Beobachtung gewonnene Hypothese. Aber was haben wir über das Verständnis der Welt gewonnen, wenn wir verifiziert haben, dass Grashalme der Art xyz grün sind? Und was für weitere Schlussfolgerungen kannst Du daraus ziehen? Kannst Du daraus weitere Postulate ableiten, die Du auf andere Objekte und Situationen anwenden kannst?

    Nicht wirklich, oder?

    Eine echte Theorie erklärt jetzt nun, warum der Grashalm grün ist. Stichwort: Photosynthese. Daraus kannst Du jetzt folgern, dass ein Organismus, der mittels Photosynthese Energie aus der Sonne gewinnt, wohl grün sein muss. Weil eben das entsprechende Molekül grün ist, weil es wohl das ist, was am besten zu unserer Sonne passt. Etc. etc.

    Und die Verallgemeinerung funktioniert auf Grundlage dieser Theorie ja gar nicht mal so schlecht, oder?

    Und das wird auch nicht durch einen braunen Grashalm widerlegt. Denn der stirbt ja ab und kann daher keine Photosynthese betreiben. Ob er abstirbt, weil er kein Sonnenlicht mehr kriegt oder umgekehrt ist dann die nächste Frage. Es geht bei echten Theorien wirklich schon darum, aus einem Experiment im Kleinen auf das große Ganze zu schließen. Bzw. umgekehrt aus der Beschreibung von allem, auf das einzelne.

    So und jetzt kommen wir mal zur RT. Die RT erklärt wirklich im Grunde, wie sich Raum und Zeit zueinander verhalten. Und zwar überall in dem uns zugänglichen Universum. So bald auch nur ein winziger Teil eine Ausnahme bildet, kriegst Du logische Widersprüche. Sowohl in der RT wie auch in den experimentellen Vorhersagen.

    Selbst wenn Einstein nie geboren worden wäre und man zuallererst die Effekte der RT im Experiment gemessen hätte, wir wären zwangsläufig auf die RT gekommen. Weil die Natur eben, nach allem was wir um uns herum sehen und messen können, relativistisch ist. Und das wiederum erlaubt es uns – und das finde ich eigentlich extrem cool – Rückschlüsse auf das gesamte Universum zu ziehen.

    Im Übrigen ist “c ist invariant in Inertialsystemen” nicht wirklich ein “Teilpostulat”. Das klingt so abwertend. Dabei ist dieses Postulat im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie das Postulat. Der Dreh- und Angelpunkt von allem. Es besagt im Grunde, eine Lichtwelle ist eine Lichtwelle ist ein Lichtwelle und zwar überall. Egal, wo Du bist und wo Du hinsiehst.

    Wenn das mit der Invarianz von c nicht gelten würde, dann könnte man z.B. neben einer Lichtwelle reisen, die dann in diesem Bezugssystem still stehen würde, aber das würde fundamental allem widersprechen, was wir über Lichtwellen wissen. Es würde der Theorie über elektromagnetische Wellen widersprechen, die dann auf einmal irgendwo im Universum nicht mehr gelten würde.

    Vielleicht hilft es, das Ganze auf den Kopf zu stellen. Wäre es denkbar, dass Du in einigen Inertialsystemen “c ist invariant” messen kannst und in anderen nicht? Was würde daraus folgern? Im Grunde müsstest Du jetzt erklären, was an diesen anderen System so fundamental anders sein soll, dass da das Teilpostulat nicht gilt. Und gleichzeitig auch nicht die Maxwell Gesetze. Du hättest eine Welt mit stillstehenden Lichtwellen, die fundamental dem entgegen steht, was wir um uns erkennen. Wir hätten dann einen Bereich des Universums der irgendwie anders ist als der Rest. Ein ausgezeichnetes System. Ein Zentrum des Universums, obwohl wir um uns herum sehen, dass es gar kein Zentrum gibt. Entweder sind wir in unserem Inertialsystem was ganz Besonders oder eben die anderen Inertialsysteme, wo eben unsere Naturgesetze und Theorien nicht mehr gelten.

    Wenn Du das stringent durchdenkst, dann kommst Du zwangsläufig darauf, dass unsere Inertialsystem und diese “anderen” Inertialsysteme sich niemals in Interaktion zueinander befinden dürfen und dann kann man Occams Rasiermesser nehmen und diese Inertialsysteme wegschneiden. Was uns nicht irgendwie zugänglich ist, darüber können wir dann niemals eine Aussage machen. Wir können noch nicht mal feststellen, ob es existiert.

    Im Grunde, ist das schon erstaunlich und ja, irgendwie sträubt sich da alles in einem. Aber ich sehe das wirklich so: Das gesamte Universum kann und wird in einem einzigen kleinen Experiment in irgendeinem verstaubten Seminarraum in irgendeiner drittklassigen Uni durch ein einziges Experiment getestet. In dem Sinne sind also Experimente kleine Gucklöcher, mit denen wir vermögen, das gesamte Universum zu “begreifen”.

    Wow. Irgendwie schwebte diese Idee immer in meinem Hinterkopf und ich habe das sogar ab und an in meinen Texten erwähnt und ich hab das jetzt schon so oft auch in philosophischen und auch belletristischen Schriften gelesen, aber erst jetzt habe ich das wirklich begriffen. In Neal Stephensons “Anathem” ist diese Idee sogar einer der Dreh- und Angelpunkte seiner Geschichte.

    @Jörg Friedrich: Oh doch, ich finde die RT und die Invarianz der Lichtgeschwindigkeit extrem passend, um darzulegen, wie man wissenschaftlich auf All-Aussagen kommt. Ja, ich weiß, ich nehme das mit der Abneigung gegen All-Aussagen zurück.

    Die Wissenschaft strebt – nach meinem Dafürhalten – im Grunde sogar nach All-Aussagen. Diese abgedroschene Phrase nach dem Streben nach der “Weltformel”, da ist tatsächlich was dran. Und ich denke, wir können auch ziemlich gut begründen, warum wir danach streben. Weil es funktioniert.

    Und oh doch. Ich sehe das wirklich so: Wenn ein Experiment “perfekt” ist, dann vermag ein einziges Experiment das gesamte Universum zu begreifen. Frei nach Archimedes: “Gib mir einen Hebel, der lang genug ist und ich hebe die Welt aus den Angeln.”

    Ich weiß, hier widersprechen wir uns fundamental. Damit müssen wir wohl leben müssen, denn es wird nicht möglich sein, diese beiden divergierenden Weltsichten zu vereinbaren.

  37. #37 MartinB
    Juni 19, 2009

    Hallo Ludmilla,
    deinen letzten Kommentar finde ich sehr durchdacht – steht er aber nicht im krassen Gegensatz zur Aussage des Blogeintrag selbst?
    “Wenn ein Experiment “perfekt” ist, dann vermag ein einziges Experiment das gesamte Universum zu begreifen. ”
    ist doch eigentlich das genaue Gegenteil Aussage, die Wissenschaft kann nichts “beweisen”, oder? War der Kommentar so gemeint?

  38. #38 Ludmila
    Juni 19, 2009

    @MartinB: Gute Frage, darüber zerbreche ich mir auch gerade den Kopf.

    Kann ich mich rausreden, indem ich sage, dass es keine perfekten Experimente gibt? 😉

    Dass das im Grunde ein unerreichbares Ideal ist, nachdem wir streben, es aber nie wirklich zu fassen kriegen werden? Mal ganz abgesehen davon, dass wir keine perfekten Instrumente haben, steht da ja immer noch der Mensch oft genug sich selbst im Weg. Man misst das Falsche, die Fragestellung ist nicht gut gewählt, man interpretiert Dinge hinein, die gar nicht da sind, weil man unbedingt ein Ergebnis möchte. Etc. pp.

    Das eine ist das Ideal und das andere die Realität, die eben dieses Ideal nie wirklich erreichen wird und daher eben auch “nur” 99,99999999999999 % aber eben nie 100% Aussagen treffen kann.

    Oder wie siehst Du das?

  39. #39 Ludmila
    Juni 19, 2009

    @MartinB: Nachtrag: Ich verweise mal auf das kleine Wörtchen “vermag” in dem Satz, den Du zitierst. Damit habe ich bereits und zwar mit Absicht eine Relativierung eingebaut. Ein Experiment hat demnach zunächst einmal das Potential das Universum zu begreifen zu helfen. Ob das Potential dann auch genutzt wird, das ist dann wieder eine ganz andere Frage. Und auch so eine Crux in der praktischen Forschung.

  40. #40 Chupacabra
    Juni 19, 2009

    @Ludmila: Ich finde die Diskussion ebenfalls fruchtbar.

    Habe leider im Moment nicht viel Zeit, daher alles knapp.

    Deine Informationen von dir über die RT waren sehr überraschend für mich. Anscheinend hat die RT die schöne Eigenschaft, dass man sie durch ein perfektes Experiment quasi beweisen kann. Das würde dann also bedeuten:

    1. Das Postulat “In allen IR ist c konstant” kann ersetzt werden durch das Postulat “In mind. einem IR ist c konstant” (Das “in allen” kann dann laut deiner Ausführungen logisch gefolgert werden)

    2. Wenn wir uns bemühen, deine 1% aus deinem Beispiel auf einen kleineren Wert zu drücken, dann brauchen wir nicht so viele Experimente, um eine kleine Irrtumswahrscheinlichkeit für die RT zu erhalten.

    Mit “Teilpostulat” habe ich das Postulat “Im IS A ist c konstant” gemeint, im Gegensatz zu “In allen Inertialsystemen ist c konstant.

    Diese “Ein-Experiment-genügt”-Eigenschaft ist aber etwas, das nicht allgemein auf Theorien zutrifft. Aus dem perfekten Einzelexperiment, das die Gültigkeit der Evolutionstheorie für eine konkrete Bakterieart zeigt, folgt doch nicht logisch, dass sie für alle Arten gilt.

    Zu deinem Beispiel der Photosynthese: Mein Problem in diesem Kontext ist dann, die Theorie der Photosynthese als quasi bewiesen anzusehen, allein aus der Tatsache, dass wir mit einer sehr hohen Sicherheit einen (und nur einen) Gegenstand als grüner Grashalm identifiziert haben.

  41. #41 Florian Freistetter
    Juni 20, 2009

    @Ludmila: “Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die RT als falsch erweist – im Zeitalter des GPS und von Satelliten – würde ich als äußerst gering ansetzen.”

    Ich muss jetzt ein bisschen den Ketzer spielen 😉 Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Relativitätstheorie falsch ist. Allerdings genau so “falsch” wie Newtons Gravitationstheorie “falsch” ist… Dass irgendwann irgendwas kommen muss, was besser/anders ist als die RT halte ich für fast sicher. Die RT hat ja in bestimmten Extremsituationen Probleme; genauso wie es Newtons Theorie hatte. Aber wie Harald Lesch schon sagte: Wenn die RT falsch ist, dann ist sie verdammt gut falsch 😉 Ich hoffe nur, ich erlebe den Nachfolger der RT noch – das würde mich extrem interessieren, was da kommt…

    Aber ich hab natürlich verstanden, wie du es gemeint hast und stimme dir da zu!

  42. #42 antiangst
    Juni 20, 2009

    Ich sehe das auch so, das der Bergriff Beweis eher unbrauchbar ist, weil für viele der Beweis schon bei ca. 90% Wahrscheinlichkeit stattgefunden hat. Vielleicht sollte man an jede Hypothese den Härtegrad der Zuverlässigkeit als quantitatives Merkmal anhängen so eine Art nach oben offene logaritmische Richterskala. ET und RT liegen dann vielleicht bei 6..10? Klimahypothese bei 2..3?. Vielleicht sollte man auch den Genauigkeitsbereich oder Gültigkeitsbereich einer Theorie quantifizieren, dann würde eine Erweiterung oder Ergänzung einer Theorie auch nicht gleich als Widerlegung gelten.

  43. #43 MartinB
    Juni 20, 2009

    Hab heute wenig Zeit, deshalb nur ganz kurz:
    Ich stimme Dir zu, dass die Genauigkeit ein wichtiger Aspekt ist. Wie Florian unten schreibt, ist die RT im Rahmen einer bestimmten Messgenauigkeit bestätigt, aber wer weiß, ob das noch gilt, wenn man in einem System mit Verteronstrahlung und temporaler Anomalie sitzt – haben wir halt noch nicht ausprobiert.
    Ich bin mir nicht so ganz schlüssig, ob ich das Argument: Wenn das in einem IS gilt, muss es in allen gelten, wirklich so akzeptiere, weil es eigentlich ein Argument aus der Konsistenz mit einer anderen Theorie ist – und die könnte ja unter bestimmten Bedingungen auch nicht mehr gelten.

    Etwas übertrieben finde ich allerdings, wenn Du schreibst, dass jedes Schulexperiment prinzipiell die RT überprüft – das ist zwar theoretisch richtig, praktisch aber nicht; wenn das Experiment der Theorie widerspricht, wird man in der Praxis einen Experimentierfehler annehmen. Insofern halte ich die Zahl der Versuche, die die RT bestätigen, für wesentlich kleiner.

    ‘Tschuldigung im Voraus wenn ich nicht mehr antworte, wie gesagt, wenig Zeit dieses Wochenende…

  44. #44 MartinB
    Juni 20, 2009

    kurzer Nachtrag noch:
    Ich finde den Begriff “wissenschaftlich bewiesen” eigentlich o.k. – im juristischen Sinne (in amerikanischen Spielfilmen heißt das immer “beyond reasonable doubt” – jenseits vernünftigen Zweifels). Ich denke, es ist schon sinnvoll zu sagen, die Apollo-Missionen haben bewiesen, dass der Mond aus Stein besteht – auch wenn es natürlich theoretisch denkbar ist, dass nur die Außenhaut aus künstlichem Stein ist und darunter ein Riesenraumschiff sitzt, von dem aus uns Aliens beobachten…

    Zumindest pragmatisch gehen wir doch in der Wissenschaft immer so vor – oder fragst Du Dich jedesmal, wenn Du eine Planetenbahn anguckst, ob denn das Gravitationsgesetz wirklich gilt? Du weißt, dass es unter den Bedingungen, die Du betrachtest, mit hinreichender Genauigkeit gilt, und der Rest kann Dir für das aktuelle Problem egal sein.

    Und ob die Theorie dann wirklich die absolute Wahrheit ist und die Realität zu 100% beschreibt ohne die kleinste Unsicherheit, ist dann irgendwann eine Frage, die der wissenschaftlichen Betrachtung nicht mehr zugänglich ist (weil jeder Apparat ne endliche Messgenauigkeit hat) – das überlasse ich dann gern den Philosophen, darüber nutzlos zu debattieren…

  45. #45 Ludmila
    Juni 20, 2009

    @antiangst: Nur weil Sie die letzten 30 Jahre Fortschritt auf dem Gebiet Klima verpennt haben, müssen Sie sich nichts drauf einbilden. Klimatheorie, mein Lieber. Da sind wir schon lange über das Stadium “Hypothese” hinaus. Und würden Sie bitte nicht jeden verdammten Beitrag, der Ihnen in die Finger kommt, mit Ihrem dümmlichen Klimaforscher-Bashing vollspammen? Danke!

  46. #46 Ludmila
    Juni 20, 2009

    @MartinB:

    wenn das Experiment der Theorie widerspricht, wird man in der Praxis einen Experimentierfehler annehmen.

    Und warum? Weil die RT inzwischen so gut bestätigt ist, dass es viel wahrscheinlicher ist, das sich ein Schüler vermessen hat, als dass die RT in diesem Fall falsch ist. Das ist aber auch genau das, was ich meine mit dem Problem, dass es keine “perfekten” Experimente gibt. Da sehe ich jetzt keinen Widerspruch.

    @Florian, MartinB: Ich würde eher sagen, dass die RT in bestimmten Bereichen vermutlich nicht die richtig ist und weniger, dass das an der Messgenauigkeit liegt. Galileo ist für v << c in dem Sinne schon richtig. Und zwar überall im Universum. Weil es rein praktisch keinen Unterschied zur RT gibt. Genauso würde ich sagen, dass wir bei der RT in bestimmten Bereichen merken werden, dass sie dort nicht richtig passt: Z.B. Viel Masse auf kleinstem Raum. Stichwort Quantengravitation. Sonst aber passt RT im Großen und Ganzen sehr gut. Hmm, nicht so ganz einfach die Sache mit den Allaussagen, nicht wahr 😉

  47. #47 MartinB
    Juni 21, 2009

    @Ludmilla,

    nein, es war auch nicht so gemeint,als gäbe es da einen Widerspruch – ich fand es nur ein wenig blauäugig zu sagen, dass die Schulversuche die RT tatsächlich ernsthaft testen, weil eben jede Abweichung automatisch als Mess- oder Versuchsfehler interpretiert werden wird. Dass die RT auf der nach oben offenen “Ist-Wissenschaftlich-Bewiesen”-Skala mindestens eine 9,8 erreicht, wollte ich nicht anzweifeln – tut mir Leid, wenn das unklar ausgedrückt worden ist.

  48. #48 Jörg Friedrich
    Juni 21, 2009

    @Ludmila:

    Kann ich mich rausreden, indem ich sage, dass es keine perfekten Experimente gibt?

    Das Problm ist, dass Sie, selbst wenn es dieses Experiment gäbe, es nicht erkennen könnten. Welche Kriterien würden Sie verwenden, um festzustellen, dass diese Experiment das perfekte ist?

    Vielleicht ist es sogar umgekehrt: Jedes Experiment ist perfekt, weil genau das dabei herauskommt, was bei genau den vorliegenden Ausgangsbedingungen unter Wirkung aller tatsächlichen Zusammenhänge heruaskommen muss. Das Exriment liefert immer exakt die Ergebnisse, die zu den tatsächlichen Bedingungen passen – nur leider kennen wir diese Bedingungen nie komplett.

  49. #49 Ludmila
    Juni 21, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Jedes Experiment ist perfekt, weil genau das dabei herauskommt, was bei genau den vorliegenden Ausgangsbedingungen unter Wirkung aller tatsächlichen Zusammenhänge heruaskommen muss.

    In dem Zusammenhang macht das Wort “perfekt” schlicht keinen Sinn. Ich halte das also einfach mal für Quatsch.

    @MartinB: Keine Sorge, wir dilettieren ja alle ein bisschen rum hier. Es ist immer viel einfacher sprachliche Schärfe zu fordern, als diese tatsächlich umzusetzen.

  50. #50 Jörg Friedrich
    Juni 22, 2009

    @Ludmila: Die Idee des perfekten Experimentes kam ja von Ihnen, und ich fragte: “Welche Kriterien würden Sie verwenden, um festzustellen, dass dieses Experiment das perfekte ist?”

  51. #51 Ludmila
    Juni 22, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Das Problm ist, dass Sie, selbst wenn es dieses Experiment gäbe, es nicht erkennen könnten. Welche Kriterien würden Sie verwenden, um festzustellen, dass diese Experiment das perfekte ist?

    Es gibt zwar nicht das eine perfekte Experiment. Und das wissen Wissenschaftler auch. Deswegen gilt in der Wissenschaft bei einer Messung “einmal ist keinmal”. D.h. man muss Messungen wiederholen und überprüfen. Mit anderen Gerätschaften, Methoden, mit anderen Menschen und Erwartungshaltungen.

    Die gemeinsame Schnittmenge aus all diesen Experimenten entspricht dann dem idealisierten perfekten Experiment. Dann hat man wohl einen Effekt vorliegen, der nicht weggeht, wenn man die Rahmenbedingungen ändert.

    Wie nennt man das Prinzip in der Naturwissenschaft? Reproduzierbarkeit.

  52. #52 Jörg Friedrich
    Juni 22, 2009

    Sie hatten jedoch den Begriff des “perfekten Experimentes” ins Spiel gebracht für das Experiment, mit dem man “das gesamte Universum zu begreifen” kann. Nach den Kriterien für dieses Experiment hatte ich gefragt.

    Ein Effekt, der nicht weggeht, wenn man die Rahmenbedingungen ändert, ist ein sehr merkwürdiger Effekt.

  53. #53 Ludmila
    Juni 22, 2009

    @Chupacabra:

    Zu deinem Beispiel der Photosynthese: Mein Problem in diesem Kontext ist dann, die Theorie der Photosynthese als quasi bewiesen anzusehen, allein aus der Tatsache, dass wir mit einer sehr hohen Sicherheit einen (und nur einen) Gegenstand als grüner Grashalm identifiziert haben.

    Hmm, guter Einwand.

    Aber liegt das nicht vielleicht daran, dass die Aussage “grün” nicht zwingend auf Photosynthese hindeuten muss? Ich würde sagen, in diesem Zusammenhang ist “grün” schlicht ein unzureichendes Merkmal, um die Theorie der Photosynthese zu beschreiben. Grün können ja eine ganze Menge Sachen sein, ganz ohne Photosynthese. In dem Sinne hast Du Recht, würde der eine grüne Grashalm gar nichts aussagen, wenn Du nur diese Information hättest.

    Wenn Du allerdings den einen Grashalm nimmst und ihn chemisch und in situ bei seiner “Ernährung” untersuchst, sähe es dann nicht schon wieder anders aus? Wenn Du also die Anwesenheit von Chlorophyll und die Umsetzung von Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid in Zucker nachweisen könntest, dann hättest Du in diesem einen Grashalm aber ziemlich sicher einen extrem guten Beleg für die Theorie der Photosynthese gefunden. Oder nicht?

    Bei so einem Experiment muss man sich also immer ganz genau überlegen, was man da eigentlich misst und welche Eigenschaften hinreichend zwingend mit einer Theorie oder meinetwegen auch Hypothese verknüpft sind, um möglichst eindeutige Ergebnisse zu erzielen. Das ist alles – wie gesagt – eine absolute Idealisierung. In der Realität ist das gerade bei biologischen Systemen alles deutlich komplizierter. Aber ich denke schon, dass man es grundsätzlich ziemlich weit runterbrechen kann.

  54. #54 Ludmila
    Juni 22, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Ein Effekt, der nicht weggeht, wenn man die Rahmenbedingungen ändert, ist ein sehr merkwürdiger Effekt.

    Nein, Jörg Friedrich. Das nennt sich Wissenschaft. Auf die Art und Weise geht man sicher, dass man sich keinen systematischen Instrumentenfehler einhandelt oder die Erwartungshaltung unbewusst das Experiment beeinflusst. Ich möchte Ihnen in der Hinsicht ganz herzlich die Stichworte “Peter van de Kamp” und “ Barnards Stern” und “Exoplanet” ans Herz legen für ein Beispiel eines gemessenen Effektes, der wegging, als sich die Rahmenbedingungen änderten.

  55. #55 Jörg Friedrich
    Juni 22, 2009

    @Ludmila:

    Jedes Auftreten eines Effektes ist mit unendlich vielen Rahmenbedingungen verbunden. Manche sind für den Effekt unwichtig, manche notwendig, manche hinreichend, manche schwächen ihn, manche verstärken ihn. Manche Rahmenbedingungen kennt man, andere nicht.

    Wenn man die notwendigen Rahmenbedingungen ändert, dann sollte sich der Effekt auch verändern, oder sogar verschwinden. Wenn man unwichtige Rahmenbedingungen ändert, dann wird der Effekt sich wohl nicht ändern.

    Wissenschaft ist es dann – glaube ich – die notwendigen Rahmenbedingungen zu finden, und vor allem die hinreichenden. Die sind aber gerade die, bei dern Änderung der Effekt verschwindet.

  56. #56 Ludmila
    Juni 22, 2009

    @Jörg Friedrich: Ehrlich, keine Ahnung, was Sie wollen. Ich bemühe mich immerhin durch Aufzählungen und Erläuterung und historischen Beispielen zu erklären, was ich meine.

    Ich dachte z.B., dass ich ganz klar dargelegt hätte, dass ich unter “Rahmenbedingungen” das verstehe, was eben nicht notwendig für den Zustandekommen eines Effektes ist. Sondern im Gegenteil dieses sogar verhindern können. Oder etwas vorgaukeln können, was gar nicht da ist. Und Sie behaupten jetzt für Ihren Begriff von “Rahmenbedingungen” einfach mal das komplette Gegenteil.

    Weil Sie gerade lustig sind. Oder weil Sie meinen, dass Ihr Verständnis das Mass aller Dinge ist, oder was weiß ich. Ist mir ehrlich gesagt auch schnurzpiepsegal.

    Das ist keine Diskussion, sondern das “Du meinst, aber ich meine”-Spiel. So etwas führt nirgendwohin als zur gegenseitigen Frustation. Oder ins Nimmerland der Beliebigkeit. Sorry, darauf habe ich schlicht keine Lust.

  57. #57 Georg Hoffmann
    Juni 22, 2009

    @Ludmila
    Ich habe fuer solche Faelle einen Test entwickelt. Er ist nicht perfekt, aber gerade im “Casus Friedrich” liefert er eigentlich immer zuverlaessige Resultate. Du liest einen Text und denkst, hmm, klingt doll, aber irgendwie weiss ich nicht so recht, was es bedeutet und es scheint so, als wuerde der Autor des Satzes einfach alles umdefinieren, was ich so in der Schule gelernt habe. Bin ich dumm oder redet der Bullshit?
    Dann nimmst du einfach ein paar Saetze desjenigen und vertauschst Subjekt und Objekt. Wenn das ganze danachgenauso “wichtig” und “unklar” klingt wie vorher, dann ist es der Autor. Ein Beipiel:

    “Jedes Auftreten eines Effektes ist mit unendlich vielen Rahmenbedingungen verbunden. ”
    Jedes Auftreten einer Rahmenbedingung ist mit unendlich vielen Effekten verbunden.

    Ist auch ok, oder?

    “Jedes Experiment ist perfekt, weil genau das dabei herauskommt, was bei genau den vorliegenden Ausgangsbedingungen unter Wirkung aller tatsächlichen Zusammenhänge heruaskommen muss.”
    Jede Ausgangsbedingung ist perfekt, weil genau das dabei herauskommt, was bei den vorliegenden Experimenten innerhalb der tatsächlichen Zusammenhänge aller Wirkungen herauskommt.

    Gut oder? Das hilft schon mal weiter. Ich will mir das als Test patentieren lassen.

  58. #58 Andrea N.D.
    Juni 22, 2009

    @Georg Hoffmann: Das ist wunderbar. Was rede ich im anderen Thread eigentlich von Syntaxverkürzung, wenn es doch so einfach geht.

  59. #59 Ulrich Berger
    Juni 22, 2009

    Nur zwei kurze Anmerkungen:

    1) “Die Wahrscheinlichkeit” zu quantifizieren, dass eine Theorie wahr ist, leidet vor allem unter dem Problem, dass diese Wahrscheinlichkeit im objektiven Sinn (als Grenzwert relativer Häufigkeiten) gar nicht wohldefiniert sind. Alle diese 99kommairgendwas-Werte sind subjektive Wahrscheinlichkeiten und sind damit interindividuell verschieden. Selbst wenn zwei Individuen nach einem Experiment ihre subjektiven Wahrscheinlichkeiten strikt rational (Baeysianisch) neu berechnen (was in dieser Allgemeinheit ebenfalls zu bezweifeln ist), so kommen sie zu verschiedenen Werten, wenn sie verschiedene priors haben. Diese priors sind wiederum nicht nach objektiven Kriterien überprüfbar. Das ganze Problem ist hier tatsächlich ein wissenschaftsphilosophisches.

    2) Bei dieser Diskussion hier oben kann ich die Aufregung über Jörg Friedrichs Position nicht nachvollziehen. Ich halte seine Aussagen für verständlich.

  60. #60 Ludmila
    Juni 23, 2009

    @Ulrich Berger:

    Ich halte seine Aussagen für verständlich.

    Sorry, ich nicht. Wenn ich ihn nicht verstehe und er auch nichts erklären mag oder er einfach mir meine Begriffe ins Gegenteil verkehrt, ohne dass ich dahinter irgendeine Motivation erkennen kann, dann hat das irgendwie wenig Sinn. Dann breche ich das frühzeitig ab. Wo keine Verständigungsbasis zu finden ist, kann auch keine Diskussion erfolgen.

    Alle diese 99kommairgendwas-Werte sind subjektive Wahrscheinlichkeiten

    Wieso das denn? Wenn ich eine Irrtumswahrscheinlichkeit bei einem Instrument vorliegen habe, dann ergibt sich der Rest ganz einfach durch Kombinatorik. Man könnte sich jetzt streiten, ob man die Irrtumswahrscheinlichkeit richtig definieren kann, aber sonst wüsste ich jetzt nicht, was Du jetzt meinst. Du kannst natürlich gerne vorexerzieren, wie es richtiger wäre.

  61. #61 Jörg Friedrich
    Juni 23, 2009

    @Ludmila Carone: Sie haben “Rahmenbedingungen” implizit durch “Gerätschaften, Methoden, Menschen und Erwartungshaltungen” definiert. Wenn Sie Gerätschaften und Methoden ändern und der Effekt “verschwindet” heißt das noch nicht, dass es den Effekt nicht gibt, es heißt, dass er eben von diesen Methoden und Gerätschaften abhängt. Wenn der Effekt aber nicht “veschwindet” so bedeutet das, dass er wohl von diesen Gerätschaften und Methoden nicht abhängt. Welche Rahmenbedingungen notwendig und welche hinreichend und welche unbedeutend sind, werden Sie erst im Verlauf der weiteren Experimente herausfinden. Und damit stabilisieren Sie dann das Auftreten des Effektes.

  62. #62 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    Mann, Mann herrscht hier inzwischen ein rauer Wind…

    Wieso das denn? Wenn ich eine Irrtumswahrscheinlichkeit bei einem Instrument vorliegen habe, dann ergibt sich der Rest ganz einfach durch Kombinatorik.

    Das stimmt nur, wenn du, wie du auch sagst, davon ausgehst, dass ein Experiment eine Theorie quasi widerlegen oder beweisen kann (habe ich zumindest so verstanden, auch wenn du immer eigentlich “bestätigen” sagst). Ersteres stimmt ja, aber über Zweiteres haben wir uns noch nicht geeinigt.
    Ich finde das Beispiel mit der Evolutionstheorie intuitiver als das mit der RT. Da kann man sich leichter Experimente überlegen, die einzeln zwar die ET bestätigen (in dem Sinne, dass ihr Ergebnis nicht im Widerspruch zu der ET stehen), sie aber doch nicht “beweisen”. Wie gesagt, wenn ich mit genauesten Gerätschaften in einem Experiment beweise, dass die ET bei irgendeinem Bakterienstamm funktioniert, heißt das doch nicht, dass die ET für die anderen Lebewesen auch gilt. Nicht-Widerlegung ist ja nicht gleich mit Richtigkeit.
    Ein einzelnes Experiment kann aber die Falschheit der Theorie beweisen; da waren wir uns einig. Die Irrtumswahrscheinlichkeit des Gerätes gibt dann an, mit welcher Wahrscheinlichkeit man eine richtige Theorie aufgrund des Experimentsergebnis für falsch hält.

    Kurz: Die Genauigkeit meiner Instrumente sagen mir im allgemeinen nichts über “wie wahrscheinlich eine Theorie ist”.

  63. #63 Ludmila
    Juni 23, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Wenn Sie Gerätschaften und Methoden ändern und der Effekt “verschwindet” heißt das noch nicht, dass es den Effekt nicht gibt, es heißt, dass er eben von diesen Methoden und Gerätschaften abhängt.

    Oder es könnte heißen, dass das gar nicht der Effekt ist, den ich eigentlich messen wollte, sondern ein ganz anderer.

    Und wieder vermischen Sie Dinge miteinander, die meines Erachtens zuerst getrennt betrachtet werden sollen. Ich versuche es mal so auszudrücken:
    Von Rahmenbedingungen kann der gemessene Effekt abhängen. Muss aber nicht. Beispiel: Wenn mein Laborpartner was Schlechtes gegessen hat und auf die Gerätschaften kotzt, dann kann das das Ergebnis beeinflussen. Aber die Verunreinigung ist nicht die Ursache dessen, was ich messen will. Zumindest dann nicht, wenn ich dasselbe Ergebnis kriege, wenn es meinem Laborpartner besser geht.

    Daneben gibt es aber die ursächlichen Bedingungen, die man eigentlich finden will. Und nein, ich sehe das ganz und gar nicht so, dass das dasselbe ist wie Gerätschaften. Hier haben wir wieder diese “Natur versus Labor” Dichotomie, die Sie immer wieder gerne vertreten und die ich nun mal nicht nachvollziehen kann.

    @Chupacabra: Also, ich dachte schon, dass wir uns geeinigt haben, dass man eine Theorie nicht durch ein Experiment beweisen kann. Wir sind uns wohl “nur” über die Gründe uneins, weswegen das so ist. Oder auch nicht.

    Nicht-Widerlegung ist ja nicht gleich mit Richtigkeit.

    Ja natürlich. Im Grunde genommen habe ich mich in eine schizophrene Situation hineinmanövriert. Was vielleicht daran liegt, dass wir es in der Wissenschaft im Grunde mit mindestens zwei konkurrierenden Denkschulen zu tun haben und ich bislang nur eine vorgestellt habe.

    Ich denke aber tatsächlich, dass auch wenn das auf dem ersten Blick gestört wirkt, die Wissenschaft so funktioniert: Im Widerstreit zwischen dem Bestreben von dem speziellen auf das Universelle zu schließen, weil wir das als Ideal ansehen und dem nagenden Zweifel, dass es dieses Ideal vielleicht gar nicht gibt oder wir zumindest immer noch verdammt weit weg davon sind, weil wir irgendetwas übersehen haben.

    Im Grunde läuft wissenschaftliches Arbeiten auf mehreren Ebenen ab. Alleine schon die experimentelle Ebene läuft mindestens in zwei Schüben:

    1. Zunächst belegt man, dass es einen Effekt, der Theorie überhaupt gibt. Und an dieser Stelle greift die Sache mit der Irrtumswahrscheinlichkeit der Instrumente. Ich würde schon sagen, dass sich das dann durch alle weiteren Schritte fortpflanzt. Es kommt aber später was dazu. Das ist übrigens eigentlich der Schritt, den man in den Medien fast nur zu sehen kriegt. “Große Entdeckung! Hurra. Seht her.” Das war also eigentlich der Ausgangspunkt der Diskussion.

    2. Und dann schaut man nach, wo dieser Effekt sonst noch so gilt und ob man was findet, was dem entgegen steht und ob das jetzt ein universelles Prinzip ist, auf das man gestoßen ist.

    Ja und das ist der Schritt, der dann schon wieder nicht so spannend ist, weil es hier eben an das Überprüfen, Erweitern und einfach nur stupide Datensammeln geht.

    So und hier wird es mit Wahrscheinlichkeiten zuweisen, dann schon schwierig bis unmöglich. Kann man dem Unbekannten, das man vielleicht übersieht, wenn es denn existiert, eine Wahrscheinlichkeit zuweisen? In dieser Hinsicht gebe ich Dir natürlich Recht, dass einem die Instrumentenwahrscheinlichkeit hier nicht weiterhilft.

    Sie kann aber einem zumindest als Anhaltspunkt dienen. Wie bei der Sache mit der RT. Wenn die RT falsch ist, dann ist sie aber verdammt gut falsch.

    Man müsste aber eigentlich immer dahinter setzen: Im Rahmen dessen, was wir wissen und messen können, immer eingedenk dessen, dass wir irgendetwas übersehen könnten.

    Hier hilft ganz pragmatisch wohl nur noch Occams Rasiermesser. Solange nix Besseres daherkommt oder das eine Experiment, das alles umstürzt daherkommt, behalten wir das zwar im Hinterkopf, arbeiten aber vordergründig mit dem altbewährten weiter und tun so, als hätte das Allgültigkeit. Sonst käme man ja nie vorwärts.

    Im Grunde ist das aber auch das, was ich immer wieder versuche zu betonen: Wissenschaft läuft immer im Widerstreit zwischen Pragmatismus und wilder Spekulation und dem Anzweifeln liebgewordener Prinzipien ab. Zwischen “glaub ich erst, wenn ich es sehe” und “lasst uns doch mal spaßeshalber annehmen, dass”. Zwischen “ach wird schon stimmen, warum sollte es nicht?” und “Wirklich? Sicher? Lasst uns lieber noch mal nachsehen.”

    Das scheint bislang eigentlich ziemlich gut zu funktionieren.

  64. #64 Ulrich
    Juni 23, 2009

    @ Ludmila:

    Wieso das denn? Wenn ich eine Irrtumswahrscheinlichkeit bei einem Instrument vorliegen habe, dann ergibt sich der Rest ganz einfach durch Kombinatorik.

    Ganz so einfach ist das nicht. Was dich interessiert ist eine Hypothese A, die durch ein Instrument getestet wird. Angenommen dein Instrument sagt “A”, bestätigt also die Hypothese. Du willst jetzt die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens von A wissen, gegeben deine Information aus dem Test, also die a-posteriori Wahrscheinlichkeit p(A|”A”). Ein Instrument hat an sich keine Irrtumswahrscheinlichkeit, sondern eine Rate von Fehlern erster [falsch positiv, p1 = p(“A”|nicht-A)] und zweiter Art [falsch negativ, p2 = p(“nicht-A”|A)]. Laut Satz von Bayes gilt jetzt

    p(A|”A”) = p(“A”|A)*p(A)/p(“A”) = (1-p2)*p(A)/p(“A”)

    und du weißt p(“A”) =(1-p2)*p(A)+p1*(1-p(A)), also kriegst du

    p(A|”A”) = (1-p2)*p(A)/[(1-p2)*p(A)+p1*(1-p(A))]

    Rechts steckt p(A) drin, die a-priori Wahrscheinlichkeit deiner Hypothese (der “prior”). Dieses p(A) kennst du aber nicht, es ist eine subjektive Schätzung der “ex-ante Plausibilität” deiner Hypothese. In deiner Rechnung oben verwendest du (implizit) einen prior von p(A) = 1/2 und bekommst deshalb p(A|”A”) = 1-p2 = p(“A”|A).

    Klar, für die RT spielt das keine große Rolle, denn es gab so viele Bestätigungen “A”, dass die a-posteriori Wahrscheinlichkeit nahe bei 1 liegt, auch wenn der prior p(A) als sehr klein angesetzt wird. Aber wenn du nur wenige Experimente hast, dann spielt der prior eine entscheidende Rolle.

  65. #65 Ludmila
    Juni 23, 2009

    @Ulrich: Da hast Du wohl Recht. Daran hab ich gar nicht gedacht. Aber wie Du selbst sagst, ist diese unbekannte a priori-Wahrscheinlichkeit nach genügend Experimenten irrelevant. Wobei jetzt natürlich die Frage ist, ab wann sind es denn “genügend”.

    Ist irgendwie unbefriedigend. Aber ich sehe da auch keinen “Ausweg”.

  66. #66 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @Ulrich:

    Wenn jetzt A = “Jede gerade Zahl größer als 2 ist die Summe zweier Primzahlen.” ist, also die Goldbachsche Vermutung. Welche Erkenntnis gewinne ich aus deiner Rechnung? Und wie hat man sich p(A) vorzustellen? Ich kann es mir nur so vorstellen, dass es entweder 1 oder 0 ist.
    Wie viele Beobachtungen sind notwendig, dass ich sagen kann, die a-posteriori Wahrscheinlichkeit liegt nah bei 1?

  67. #67 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @Ludmila:

    @Chupacabra: Also, ich dachte schon, dass wir uns geeinigt haben, dass man eine Theorie nicht durch ein Experiment beweisen kann.

    Ach so, sorry. Dann ist ja alles in Ordnung.
    Deine weiteren Ausführungen decken sich im Grunde voll mit meiner Sicht. Ich denke, wir sind auf einer Linie. 🙂

  68. #68 Jörg Friedrich
    Juni 23, 2009

    @Chupacabra: “”Jede gerade Zahl größer als 2 ist die Summe zweier Primzahlen” Welches Experiment würden Sie zur Bestätigung oder Widerlegung der Goldbachschen Vermutung vorschlagen?

  69. #69 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @Jörg Friedrich:
    Z.B.: Wähle zufällig eine gerade Zahl z > 2, und prüfe für alle Paare (x, y) mit x und y jeweils kleiner gleich z zu prüfen, ob x+y=z ist. x und y sind nat. Zahlen.

  70. #70 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @Jörg Friedrich: Sorry für den Grammatikfehler.

    Z.B.: Wähle zufällig eine gerade Zahl z > 2, und prüfe für alle Paare (x, y) mit x und y jeweils kleiner gleich z, ob x+y=z ist. x und y sind nat. Zahlen.

  71. #71 JörgR
    Juni 23, 2009

    Chupacabra:

    Die prior für dieses Problem muss 0 sein, denn du hast es ja noch nicht überprüft.
    Jetzt nehmen wir folgenden Algorithmus:
    Gegeben sind die natürlichen Zahlen 3…N
    Nehmen wir zunächst an, wir kennen alle Primzahlen von 1 bis N/2.
    Dann wählen wir zwei zufällige Primzahlen und addieren sie. Das machen wir i Mal. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Vermutung zutrifft maximal i/N (falls wir keine Paare hatten, für die eine Summe herauskam die wir schonmal hatten).

    Wenn N klein ist, kann man das machen bis p 1 ist (also alle Zahlen 3 bis N mal als Summe herauskamen). Wenn nicht, können wir es wenigstens solange sampeln bis p hoch wird. Oder wir überlegen uns einen schlaueren Weg aus den Primzahlen auszuwählen.
    Spannend wird es auch, wenn N so groß wird dass wir die Primzahlen nicht mehr kennen. Dann könnten wir vielleicht aus N/2 zufällig auswählen und eine Wahrscheinlichkeit angeben dass wir zwei Primzahlen ausgewählt haben und dann die posterior nach Bayes ableiten…

    Klingt insgesamt nach einem Problem bei dem man lieber auf den Beweis wartet statt es mit Monte Carlo zu versuchen 🙂

  72. #72 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @Jörg Friedrich: Ist spät, bin müde. Habe vergessen zu sagen, dass x und y auch noch prim sein müssen.

  73. #73 Chupacabra
    Juni 23, 2009

    @JörgR: Formal, ist das aber eine andere Hypothese, als das was ich “wollte”. Deine Nullhypothese ist

    “Die Wahrscheinlichkeit p, dass eine zufällig ausgewählte gerade Zahl > 2 die Summe zweier Primzahlen ist, ist kleiner 0,01.” (0,01 nur als Beispiel).

    Diese Nullhypothese versuchst du dann (erfolgreich) zu widerlegen. Habe ich dich richtig verstanden?

    Ist das denn gemeint, wenn die Rede von der Wahrscheinlichkeit einer naturwissen. Theorie ist? Eine untere Grenze anzugeben für die Wahrscheinlichkeit, dass man auf Naturphänomene trifft, die sich durch die Theorie erklären lassen?

  74. #74 Ulrich
    Juni 24, 2009

    @ Chupacabra:

    Wenn jetzt A = “Jede gerade Zahl größer als 2 ist die Summe zweier Primzahlen.” ist, also die Goldbachsche Vermutung. Welche Erkenntnis gewinne ich aus deiner Rechnung?

    Um eine mathematische All-Aussage zu “prüfen”, braucht man einen Beweis bzw. ein Gegenbeispiel. Ein Beweis ist kein Experiment, insbesondere hat er keine definierbare falsch-negativ Rate. Die obige Formel kann man hier nicht direkt anwenden.

    Das Prinzip bleibt aber bestehen. Angenommen, jemand veröffentlicht einen Beweis, der sehr lang, sehr kompliziert und noch dazu computergestüzt ist (wie das z.B. beim Beweis des Vier-Farben-Satzes der Fall war). Dann gibt es eine nicht zu vernachlässigende Fehlerwahrscheinlichkeit. Es könnte sich ja irgendwo ein Fehler eingeschlichen haben, der den Beweis ungültig macht (wie z.B. bei vielen Beweisversuchen für Fermats Theorem, inklusive dem ersten von Andrew Wiles). Wenn Sie also vorher indifferent waren (p(A) = 1/2), dann sind Sie nach Veröffentlichung des Beweises vielleicht bei p(A|”A”) = 0,9. Wenn dann ein kurzer und eleganter Beweis entdeckt wird, der nach intensivem peer review in einer renommierten Fachzeitschrift publiziert wird und monatelang nicht widerlegt wird, dann dürfte Ihre a-posteriori Wahrscheinlichkeit sehr nahe bei 1 liegen.

    Und wie hat man sich p(A) vorzustellen? Ich kann es mir nur so vorstellen, dass es entweder 1 oder 0 ist.

    Sie meinen die “objektive Wahrscheinlichkeit” von A. Da A nur entweder wahr oder falsch sein kann, wird das gelegentlich als “p(A) = 0 oder 1” ausgedrückt. Das ist aber irreführend. Wie schon erwähnt: eine objektive Wahrscheinlichkeit für A existiert nicht. Das p(A) in der Rechnung ist eine subjektive Wahrscheinlichkeit, also ein Maß für Ihre Überzeugung davon, dass A zutrifft.

    Wie viele Beobachtungen sind notwendig, dass ich sagen kann, die a-posteriori Wahrscheinlichkeit liegt nah bei 1?

    Durch einzelne Beobachtungen (prüfen von N = 4, 6, 8, …) können Sie eine solche All-Aussage nicht “bestätigen”. Nach jedem Prüfschritt bleiben genausoviele Zahlen übrig, wie am Anfang da waren, nämlich unendlich viele.

    Ist das denn gemeint, wenn die Rede von der Wahrscheinlichkeit einer naturwissen. Theorie ist? Eine untere Grenze anzugeben für die Wahrscheinlichkeit, dass man auf Naturphänomene trifft, die sich durch die Theorie erklären lassen?

    Nein. Das ist wie gesagt eine subjektive Wahrscheinlichkeit; mehr dazu unter https://de.wikipedia.org/wiki/Subjektiver_Wahrscheinlichkeitsbegriff

  75. #75 Chupacabra
    Juni 24, 2009

    @Ulrich: Sie bestätigen mich in meinem bisherigen “Weltbild”. Vielen Dank dafür!

    Das einzige, was mich noch überrascht, ist, dass man in einem mathematischen Ausdruck beide Wahrscheinlichkeitsbegriffe vermischt, sowohl den subjektiven als auch den objektiven. Ich dachte bis jetzt, dass in der Mathematik ausschließlich die objektive Wahrscheinlichkeit benutzt wird, und dass die subjektive W. ein Relikt der Zeit vor den Kolmogorov-Axiomen ist.

  76. #76 Ulrich
    Juni 24, 2009

    @ Chupacabra:

    In der Mathematik ist der Begriff Wahrscheinlichkeit sowieso nur abstrakt (Kolmogorov-Axiome) definiert. Die “subjektive” und auch die “objektive” Wahrscheinlichkeit sind beides nur Interpretationen des abstrakten Konzepts. Vermischen darf man sie deshalb, weil beides Wahrscheinlichkeiten sind, also denselben Rechenregeln gehorchen. Tatsächlich gibt es noch zwei weitere Interpretationen des axiomatischen Wahrscheinlichkeitsbegriffs, die sind aber eher selten anzutreffen. (Außerdem sind alle vier Interpretationen unter Wissenschaftstheoretikern mehr oder weniger stark umstritten.)

  77. #77 hic fuit
    Juni 24, 2009

    Ulrich schrieb:

    1. “Wenn Sie also vorher indifferent waren (p(A) = 1/2),…”
    2. “Wie schon erwähnt: eine objektive Wahrscheinlichkeit für A existiert nicht. Das p(A) in der Rechnung ist eine subjektive Wahrscheinlichkeit, also ein Maß für Ihre Überzeugung davon, dass A zutrifft.”

    In 1. liegt einer der Kritikpunkte an Bayesschen Betrachtungsweisen, denn Indifferenz drückt sich oft dadurch aus, dass man gerade keine a-priori-Wahrscheinlichkeit zuweisen will (eine asymptotische Unabhängigkeit von der prior schafft m.E. keine Abhilfe).

    Und in 2. steckt eine Gefahr der Bayesschen Sichtweise, denn sie öffnet der Subjektivität das Tor.
    – Wenn bspw. ein RT-Crank sich nun eine a posteriori W. für die RT von 0,01 zuweist, wie kann man noch dagegen argumentieren?
    – Gefährlich wird es bei Medikamentenerprobungen, wenn man ein Studienergebnis als subjektives Ergebnis des Experimentators abtut, was man als Crank noch lange nicht akzeptieren müsste.

    Um nun die Kurve zum Thread-Thema zu kriegen: weder subjektive noch objektive Wahrscheinlichkeiten sorgen für “wissenschaftliche Beweise”. Aber die Einführung subjektiver Wahrscheinlichkeiten macht die Wissenschaftsrezeption noch schwieriger.
    Das Ent-subjektivieren, d.h. das Herstellen der Reproduzierbarkeit durch andere Subjekte, ist eine vornehme wissenschaftliche Aufgabe. Dieser Aufgabe sollte man auch dann 100%-ig nachgehen, wenn man eine 100%-ige Objektivierung für erkenntnistheoretisch unmöglich hält.

  78. #78 Jörg Friedrich
    Juni 25, 2009

    @hic fuit: Ich würde nicht von Ent-Subjektivierung reden, weil man sich, um das gefundene von anderen Subjekten überprüfbar und nachvollziehbar zu machen, nicht von den Subjekten trennen muss. Es geht eben nicht darum, Objektivität zu erreichen, sondern unter der Annahme, dass es etwas Objektives und etwas Subjektives gibt, Intersubjektivität herzustellen. Es gibt da einen schönen Text von Donald Davidson mit dem Titel “Drei Spielarten des Wissens” der diese Triangulation aus Subjektiv-Objektiv-Intersubjektiv beschreibt.

  79. #79 Ludmila
    Juni 25, 2009

    Also ich würde von einer Entsubjektivierung reden. Ich würde sogar sagen, das ist eines der Ziele von Wissenschaft.

  80. #80 Ulrich Berger
    Juni 25, 2009

    @ hic fuit:

    Wenn bspw. ein RT-Crank sich nun eine a posteriori W. für die RT von 0,01 zuweist, wie kann man noch dagegen argumentieren?

    Na so, wie es meist getan wird: mit Argumenten, die zu belegen versuchen, dass seine a-priori unangemessen niedrig war oder dass seine (Gedanken-)Experimente eine Fehlerquote nahe 1 haben. Hier wird das vorexerziert: https://www.scienceblogs.de/mathlog/2009/06/einstein-und-die-cranks-open-thread.php

    Gefährlich wird es bei Medikamentenerprobungen, wenn man ein Studienergebnis als subjektives Ergebnis des Experimentators abtut, was man als Crank noch lange nicht akzeptieren müsste.

    Das passiert doch andauernd. Die Homöopathen tun die (negativen) Studien der wissenschaftlichen Mediziner ab und diese wiederum tun die (positiven) Studien der Homöopathen ab. Ihrer priors sind eben völlig diametral. Wer dabei die cranks sind, ist offenbar Ansichtssache.

  81. #81 Andrea N.D.
    Juni 25, 2009

    Ich würde von dem Davidson-Text abraten. Er ist so unbekannt, dass er nicht einmal umstritten ist, eine Variante der Sprachphilosophie oder war es gleich noch Erkenntnistheorie? Der wissenschaftliche Anspruch ist ja auch egal. Wesentlich ist, dass hier von zwei ganz unterschiedlichen Dingen die Rede ist. Selbstverständlich gehört Wissenschaft an sich entsubjektiviert. Ohne objektiv überprüfbare Verfahren, die verallgemeinerbar sind, gibt es keine Wissenschaft. Sämtliche Spekulation darüber ist Dilettantismus. Als intersubjektive Ebene würde ich eher die Vermittlung von Wissenschaft bezeichnen. Hier spielen dann Interaktionen zwischen den Subjekten eine Rolle – was ja auch sehr schön auf SB zu beobachten ist.

  82. #82 Jörg Friedrich
    Juni 26, 2009

    @Andrea N.D.: Wer ist “so unbekannt, dass er nicht einmal umstritten ist”? Der Text “Drei Spielarten des Wissens” oder Donald Davodson? In jedem Falle sollten Sie dringend die Stanford Encyclopedia of Philosophy um eine Korrektur ihres Davidson-Artikels bitten denn da steht:

    Donald Davidson was one of the most important philosophers of the latter half of the twentieth century. His ideas, presented in a series of essays from the 1960’s onwards, have been influential across a range of areas from semantic theory through to epistemology and ethics.

    Der Text “Three Varieties of Knowledge” wird in dem Enzyklopädie-Artikel unter 4 besprochen.

    @alle Wenn man von “Ent-Subjektivierung” spricht, sagt man ja zunächst nur, wovon man sich weg-bewegen möchte. Und es ist natürlich richtig, dass Wissenschaft sich von dem einzelnen Subjekt weg bewegen möchte. Aber wohin? Dass “objektive Erkenntnis” letztlich nicht möglich ist, ist in dieser Diskussion mehrfach betont worden. Was aber möglich ist (und Ziel sein sollte) ist inter-subjektiv prüfbare Erkenntnis.

    Ent-Subjektivierung würde für mich immer “vollständige Eleminierung aller Subjekte” bedeuten – was aber beim Ziel der intersubjektiven Prüfbarkeit gar nicht angestrebt wird. Das ist der Grund, welshalb ich diesen Begriff meiden würde. Wenn er nur bedeuten soll, dass man sich vom einzelnen Subjekt trennen will, nicht von allen, dann ist er in Ordnung.

  83. #83 Ludmila
    Juni 26, 2009

    Was aber möglich ist (und Ziel sein sollte) ist inter-subjektiv prüfbare Erkenntnis.

    Das kann eines der Ziele sein. Ich würde noch nicht mal sagen, dass es das für die Wissenschaft wichtigste ist.

    Denn auch wenn man ein Ziel nie endgültig erreichen kann (endgültige Objektivität), kann es dennoch lohnenswert sein, nach diesem zu streben. Das ist es im Fall der Wissenschaft auch. Der Weg ist in dem Fall das Ziel.

  84. #84 Jörg Friedrich
    Juni 26, 2009

    Das ist ja richtig. Aber wie sich auch hier in diesem Ordner gezeigt hat, kann man eine “Annäherung an Objektivität” gar nicht messen. Wie strebt man nach einem Ziel, das man nicht sehen kann und bei dem man seinen Abstand zum Ziel, ja nicht einmal die Veränderung des Abstandes zum Ziel sicher bestimmen kann?

  85. #85 Ludmila
    Juni 26, 2009

    Indem man niemals aufhört danach zu streben.

  86. #86 Andrea N.D.
    Juni 26, 2009

    @Jörg Friedrich:
    Der Bekanntheitsgrad / Die Bedeutung von Davidson würde ich auch trotz eines Artikels in “Stanford Encyclopedia of Philosophy” nicht überschätzen. Da Sie sicherlich diesen Artikel gründlich gelesen haben (Sie haben nur die ersten zwei Sätze zitiert) und auch Bücher von Davidson (ziemlich verschroben und langweilig -Achtung persönliche Meinung) kennen, wird Ihnen auch aufgefallen sein, dass gerade in diesem Artikel nur ein einziges Sekundärliteraturwerk von einem nicht-angolamerikanischen Autor aufgeführt wurde (und das bei einer “Wirkungsgeschichte von mehreren Jahrzehnten!). Soviel zur Rezeptionsgeschichte und einer eventuellen Umstrittenheit.
    Leider war es Ihnen hier wieder wichtiger, irgendwelche Dinge zu beweisen, die (zumindest mich) nicht interessieren, anstatt auf die Anregung der Ebenen zu antworten. Ich bin nämlich nach wie vor überzeugt, dass Sie von Intersubjektivität auf der Ebene der Wissenschaftskommunikation sprechen (wo auch sonst?). Intersubjektivität auf die Methode der Wissenschaft anwenden zu wollen halte ich für nicht möglich, weil Sie dann doch wieder auf der (individuellen) Kommunikationsebene landen.

  87. #87 Michael Hauss
    Juni 26, 2009

    Hallo, das ist ein sehr schöner Beitrag und ich habe ihn sehr gerne gelesen.

  88. #88 H.M.Voynich
    Juni 27, 2009

    Ich las gerade ausgerechnet ein Buch über “Die berühmtesten Wissenschaftler” – und auch da wurde (neben vielen anderen Fehlern) überall alles mögliche “bewiesen”. Einstein bewies die Teilchennatur des Lichts etc.
    Ich kann es ja verstehen, wenn landläufig der Begriff “beweisen” eher im juristischen als im mathematischen Sinne benutzt wird. Doch wenn man über Wissenschaft(ler) schreibt, wirkt sowas einfach laienhaft.

  89. #89 hic fuit
    Juni 27, 2009

    @Ulrich – natürlich hast Du recht, für einen Bayesianer haben Cranks einfach nur die falsche prior. – Ich stelle mir vor, dass die Falsifizierbarkeit einer Theorie unter den hier anwesenden Wissenschaftlern als notwendiger Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie gesehen wird. Was machen Laien daraus? “Das ist ja nur eine Theorie, sie könnte auch falsch sein”. Was passiert, wenn man Laien das Konzept von Bayes in die Hand drückt? “Das ist ja auch nur eine subjektive Wahrscheinlichkeit”.

    Die Vermittlung wissenschaftlicher So-gut-wie-bewiesen-Tatsachen wird nicht leichter, wenn man in der Öffentlichkeitsarbeit genauso gewissenhaft formuliert wie im Labor: “Richtig” und “Falsch” sind leichter zu verstehen als Bayessche posteriori-Wkts, “1000mal nicht widerlegt” oder “p-value > 0.9999”. Ich halte es bspw. für korrekt, als Medizinstatistker öffentlich zu behaupten, Homöopathie sei widerlegt, als Biologe, Evolution sei eine Tatsache, und als Astronom, die RT sei bewiesen. Nur weil man die Verständnislatte tiefer legt, verkauft man sein Publikum nicht für dumm.
    Kritisch wird es erst, wenn Sachverhalte als bewiesen hingestellt werden, die ganz und gar nicht ausreichend (sagen wir, über Jahrzehnte) geprüft wurden (mir fällt da praktisch jede mediale Aussage der letzten Jahrzehnte die Ernährung betreffend ein). Da stellt sich natürlich die Frage, unter welchen Bedingungen Fachleute zu Laien sagen sollten, dass etwas “bewiesen” ist (den Ausdruck “wissenschaftlich bewiesen” halte ich nach wie vor für zu vermeiden).

    @Jörg Friedrich und Andrea N.D.
    Das Konzept von Intersubjektivität ist mir unbekannt, und ich möchte mich nicht an einer Definitionssuche beteiligen. Von einer “Eliminierung aller Subjekte” (JF) würde ich jedoch absehen wollen, aus juristischen Gründen, haha.
    Mit dem Streben nach Objektivität weiß ich mich mit Ludmila einig, auch wenn der Abstand zum Ziel nicht messbar sein sollte. Das gilt für wissenschaftlich tätige Subjekte – denn nur für diese Subjekte ist eine Entsubjektivierung überhaupt sinnvoll, oder?
    In der Öffentlichkeitsarbeit schlage ich vor, unter noch zu bestimenden Bedingungen Objektivität zu behaupten.