Da erklärt man immer und immer wieder lang und breit, dass es in den Naturwissenschaften den einen finalen abschließenden Beweis gar nicht gibt und stolpert dann andernorts in einem Artikel über die Floskel: “wurde schon immer vermutet, aber noch nie wirklich “wissenschaftlich” bewiesen.”
Waaah nein! Nicht schon wieder. An dieser Floskel stören mich eine ganze Reihe von Dingen.
Wie bereits eingangs gesagt: In den Naturwissenschaften gibt es keine 100%igen Beweise, sondern immer einen Haufen von Belegen. Irgendwann ist eine Idee so schlüssig und mit derart vielen Experimenten belegt und gleichzeitig spricht auch nichts oder sehr wenig gegen diese, so dass die Idee – genauer die Hypothese – ein verlässliches Fundament für weitere Arbeiten wird. Sie wird Teil einer Theorie.
Natürlich gibt es immer eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Idee sich irgendwann als falsch erweisen könnte. Die grundsätzliche Anerkennung dieser Unwägbarkeiten gewährleistet die Wandelbarkeit, Anpassungsfähigkeit und vor allem die Fähigkeit zur Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Allerdings, je mehr Erkenntnisse auf dem Fundament dieser Idee gewonnen werden, desto unwahrscheinlicher wird es. Vor allem muss man sich dann schon ein bisschen anstrengen, um dieses Fundament umzustürzen. Es sieht schon ein bisschen lächerlich aus, wenn jemand im übertragenen Sinne mit dem Fuß gegen ein stabiles Gebäude tritt. Leider sind die geistigen Häusertreter gleichzeitig geistig schmerz- und merkfrei. Im Ernst, manche Gedanken, die z.B. Einstein-Leugner äußern, sind so widersinnig, dass sie schon beim Lesen wehtun.
Im Grunde hantieren Naturwissenschaftler also von Natur aus mit Wahrscheinlichkeiten. Dummerweise ist aber genau das ein großes Problem in der Wissensvermittlung. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich Menschen Wahrscheinlichkeiten sehr schlecht vorstellen können. Das Taxi- oder Ziegenproblem sind zwei klassische Beispiele mit bedingten Wahrscheinlichkeiten, die dem “gesunden Menschenverstand” widersprechen.
Man tut der Wissenschaftskommunikation aber keinen Gefallen, wenn man dieses kategorische Ein-Aus-Denken unterstützt.
Ein weiteres Problem dieser Floskel ist dieses hochpushen der Arbeit einer Wissenschaftlergruppen auf Kosten der anderen. Die anderen haben bloß vermutet, die tollen Hechte hier aber die haben es bewiesen. Hach, sind sie nicht toll? *Augen roll* Im Grunde handelt es sich um PR-Sprech und es ist in den meisten Fällen weder eine faire noch richtige Darstellung der wissenschaftlichen Arbeit. Warum verweisen wohl Forscher immer auf frühere Arbeiten anderer Forscher? Weil deren Arbeit so langweilig und unwichtig ist?
Zuguterletzt erweckt das bei mir die falsche Assoziation der Wissenschaftler als Buchhalter der Natur. So, als stünden wir mit einem Klemmbrett da und würden hinter jedes unerforschte Phänomen irgendwann ein Häkchen machen und es dann zu den Akten legen. Damit es nie wieder jemand anpackt und untersucht. Und das ist schlicht Quatsch. Es wird alles immer und immer wieder untersucht und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Zumindest früher oder später.
Man muss das wohl immer und immer wieder betonen. Es ist und bleibt eine echte Sisyphos-Arbeit. Diesbezüglich hat einer meiner Lieblingsphilosophen, Albert Camus, ein außerordentlich schönes Essay verfasst: Der Mythos des Sisyphus.
Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. …
Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Also, dann mache ich mich mal wieder daran, den Felsen der Wissenschaftskommunikation weiter gegen den Gipfel zu schieben. Mit einem kleinen Lied auf den Lippen 😉
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