Der neue Planet WASP-18b, der sich selbst versenkt, bestätigt meine Arbeit. Das Paper, das gestern in Nature erschienen ist, wird vermutlich auf ewig in meinem Gedächtnis haften bleiben als das Paper, das ich gerne geschrieben hätte. Dennoch bin ich begeistert, das es erschienen ist.
“Dummerweise” wurde aber der dazugehörige Planet nicht von der CoRoT-Kollaboration sondern von WASP entdeckt.
Ja, ich geb es offen zu, ich bin total neidisch. (Auf eine freundliche Art und Weise 😉 Letztens erst haben sie den ersten Planeten entdeckt, der sozusagen “verkehrt” herum kreist und jetzt das! Coel Hellier und seine Kollegen haben einfach meinen persönlichen Rosetta-Stein entdeckt (1). Unverschämt 😉
WASP-18b – mein persönlicher Rosettastein
WASP-18b bringt mich gerade so aus dem Häuschen. Ein 10 (!) Jupitermassen schwerer Planet, der alle 0,94 Tage seinen Zentralstern umkreist.
Bild (David A. Aguilar / CFA): Künstlerische Darstellung des Planeten OGLE-TR-56b, der ähnlich nah an seinem Zentralstern dran ist wie WASP-18b.
Ok, jetzt mal langsam. Worum geht es eigentlich? Was ist das Interessante dabei.
Vorneweg. Vergesst alles, was in der Presse steht! Vor allem vergesst diesen beschissenen Spiegel-Online-Artikel dazu. Den kann man ungelesen in die Tonne kloppen.
Mit seiner Anziehungskraft rufe der Planet gigantische und für ihn letztlich verhängnisvolle Plasmaströme auf seiner nahegelegenen Sonne hervor.
*Würg.* Ist ja nicht wahr. Die haben echt null verstanden, worum es geht. Null, nada, niente!
Diese Aussage ist streng genommen nicht falsch, sie weckt nur völlig falsche Assoziationen und es fehlt mal eben 90% dessen, worum es eigentlich geht. Nämlich warum da Plasma fließen sollte.
Gezeitenkäfte ziehen den Planeten heran
Es geht um Gezeitenkräfte. Kommt in dem SpOn-Artikel ein einziges Mal das Wort Gezeiten vor? Ebbe und Flut? Denn das ist es, was der Planet auf dem Stern auslöst: Gezeiten- bzw. Flutberge. Und da auf einem Stern natürlich Plasma und kein Wasser wie hier auf der Erde fließen kann, kommen halt Plasmaströme vor.
Bild (L. Carone): Gezeitenkräfte bei extrasolaren Planeten. Der Planet erzeugt einen Gezeitenberg auf dem Stern.
So und jetzt wird es etwas kompliziert. Der Gezeitenberg bildet sich nicht sofort aus. So ein Stern braucht eine “gewisse Zeit” bis er sich verformt. (Behaltet bitte “gewisse Zeit” im Hinterkopf. Das ist der Dreh- und Angelpunkt des Nature-Papers.) In dieser Zeit bewegt sich aber alles. Der Stern dreht sich, der Planet wandert weiter. Bei den Exoplaneten, die so extrem nah an ihrem Stern dran sind, ist es nun so, dass sie nur wenige Tage brauchen, um einmal komplett den Stern zu umrunden. Der Stern an sich rotiert aber wesentlich langsamer um seine eigene Achse. Der braucht typischerweise für eine komplette Drehung 10-20 Tage.
Wie gesagt, es braucht “gewisse Zeit” bis sich die Masse auf dem Stern so verschoben hat, um einen Gezeitenberg zu bilden. In der Zeit ist aber der Planet längst weiter geeilt. Das ist aber keine energetisch günstige Konfiguration. Die Natur bevorzugt ja Faulheit 😉 D.h. es entstehen jetzt Kräfte, welche den Gezeitenberg in die Sichtlinie zwischen Planet und Zentrum des Sterns in den energetisch niedrigsten Zustand ziehen. Da der Gezeitenberg aber an dem ganzen Stern festhängt, wird auch der Stern oder zumindest die äußere Hülle mitgezogen und zwar in die Drehrichtung seiner Rotation. Der Stern erfährt also einen “Kick” in Richtung seiner Drehung. Er dreht sich einen Tick schneller als vorher.
Jetzt kommt ein Prinzip zum Tragen, das leider sehr, sehr unanschaulich ist: Drehimpulserhaltung.
Ich erkläre das immer mit der rotierenden Eiskunstläuferin mit Hanteln in den Händen. Will sie langsamer rotieren, muss sie die Hanteln wegstrecken, dreht sie sich schneller, muss sie die Hanteln heranziehen.
In diesem Bild ist der Stern die Eiskunstläuferin und der Planet die Hantel. Der Stern dreht sich schneller, also muss der Planet heranrücken.
Wann stürzt der Planet in seinen Zentralstern ?
Das könnte dem neuentdeckten WASP-18b zum Verhängnis werden. Wann das der Fall ist, hängt von der “gewissen Zeit” ab, welche der Stern braucht, um den Gezeitenberg zu bilden. Diese “gewisse Zeit” ist über Umwege mit dem so genannten Q-Faktor (Gezeitendissipationskonstante) verbunden. Dieser Faktor sagt uns, wieviel Energie pro Zyklus “verbraucht” wird. Wir sprechen hier von einem ganzen Stern, in dem sich Zeugs verschiebt. Das kann nicht ohne Energieverlust sprich Reibung vonstatten gehen. Deswegen reden wir in solchen Fällen auch von Gezeitenreibung.
Jetzt gibt es aber genau bezüglich dessen große Unsicherheiten innerhalb der Gemeinschaft der paar Leuten, die sich darüber den Kopf zerbrechen. Die meisten Leute aus der Binärstern-Ecke meinen, dass der Stern relativ viel Energie über Gezeitenreibung verlieren sollte. Wir dagegen sagen bereits seit einigen Jahren, dass der Effekt im Gegenteil um mehrere Größenordnung kleiner sein sollte. Es gibt Abweichungen in den Berechnungen von bis zu fünf Größenordnungen. Fünf! Von Q = 105 bis Q = 1010 ist alles dabei. Wobei die allermeisten anscheinend eher dem unteren Spektrum anhängen. Einige wenige, darunter meine bescheidene Wenigkeit 😉 sagen seit Jahren, dass zumindest in einigen Fällen das Q eher weiter oben anzusiedeln sei (2).
Langsames oder schnelles Planetenversenken?
Coel Hellier und seine Kollegen waren so nett mal nachzurechnen, was das für den Planeten WASP-18b bedeuten würde: Entweder ist er in weniger als einer Millionen Jahre so nah an seinen Stern heran rückt, dass es ihn zerreißen dürfte (für Q = 106) oder erst in einer Milliarde Jahre (für Q = 109).
So oder so, der Planet stirbt vor seiner Zeit. Normalerweise hätte ein solches Planetensystem ein paar Milliarden vor sich, bevor der Stern sich verändert. Die große Preisfrage ist nun: In welchem Stadium des Sterbens ist er? Ist er nach kosmischen Maßstäben im nächsten Moment verschwunden? Oder hat er noch ein bisschen Zeit?
Ich tendiere ja zu “er hat noch ein bisschen Zeit”. Auch deswegen, weil es sonst einen unglaublichen Glücksfall darstellen würde, gerade über solch einen Planeten zu stolpern. Man hätte gerade 1 Million Jahre Zeit, sonst wäre er weg 😉 Bei all den Sternen da draußen, die Milliarden von Jahren leben, gerade einen zu erwischen, bei dem der Planet gerade nicht weg ist, wäre schon wie ein Sechser im Lotto. Das ist auch der Punkt, worüber sich Coel Hellier und seine Kollegen ernsthaft die Köpfe zerbrechen und anfangen an den kleinen Q-Werten zu zweifeln. (Ich werde in dem Paper zitiert! Ha, ich werde tatsächlich in einem Nature-Paper zitiert. La-Ola-tanz! Ja! Zweifelt an den kleinen Werten! Ernsthaft, ich hab heute morgen wirklich in meinen Büro getanzt und das jedem hier unter die Nase gerieben.)
Wozu soll das Ganze gut sein? Wen interessiert das Q?
Mal kurz zusammen gefasst, warum das jetzt wichtig ist. Gezeitenreibung wirbelt alles für die kurzperiodischen Planeten durcheinander. Es geht bei den Beobachtungen schließlich auch darum herauszufinden, wieviele Planeten überhaupt entstehen und was mit denen so im Laufe der Zeit passiert. Wenn da ein mehr oder weniger großer Bruchteil der Planeten sich selbst in ihrem Stern versenkt, dann sollte man das bei den Hochrechnungen schon berücksichtigen. Dazu müsste man aber schon wissen, wie stark der Effekt ist und wie weit weg er vom Stern noch wirkt. Das alles hängt vor allem von diesem Q-Faktor ab.
Dann liegt noch ein bisschen Sprengstoff in der Sache mit dem Einfluss auf die Sternrotation. Der Planet kickt den Stern ja an.
Ich hab mit Astrophysikern gesprochen, denen alles aus dem Gesicht gefallen ist, als ich denen verklickert habe, dass so ein Planet über Gezeitenkräfte genug Drehimpuls übertragen kann, um den Stern richtiggehend aufzuziehen. Dummerweise benutzen viele die Rotation des Sterns um dessen Alter zu bestimmen. Wenn die Rotation aber von einem Planeten verfälscht wurde und man den vielleicht gar nicht mehr sieht, weil der “Urheber des Übels” schon längst von seinem Stern geschluckt wurde…Dann haben wir da ein klitzekleines Problemchen 😉
Desweiteren sagt uns der Q-Faktor wie verformbar ein Stern ist. Man lasse sich das Mal auf der Zunge zergehen. Wir würden darüber messen können, wie so ein Stern reagiert, wenn man ihn ein bisschen ausbeult. Wir hätten damit eine vollkommen neue Methode in den Stern hineinzusehen.
Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht so recht an die kleinen Q-Werte glauben mag. Die stimmen nämlich ziemlich genau mit dem überein, was für Gasriesen wie Jupiter innerhalb unseres Sonnensystems beobachtet wurde. Wenn man aber die physikalischen Vorgänge in der Atmosphäre eines Gasriesen mit denen eines Sterns vergleicht, dann gibt es da doch ganz erhebliche Unterschiede. Plasmaströme und Konvektion gegen planetenumfassende Gasbänder. Wieso sollte das gerade passen? Einige Sternenmodelle berücksichtigen das und sagen weitaus höhere Q-Werte voraus.
Außerdem stammen die kleinen Q-Werte aus Beobachtungen von engen Binärsternsysteme. Wir meinen, dass Binärsterne Spezialfälle sind, von denen man nicht unbedingt so ohne weiteres auf Gezeitenkräfte von Exoplaneten schließen sollte. Außerdem…(Ok, ich sag jetzt nichts, ich will meinem Paper, an dem ich gerade herumwerkle nicht vorweg greifen. Oh Mist, jetzt muss ich ja das gestrige Nature-Paper zitieren. *seufz*)
Hinterm Mond gleich links an WASP-18b: Hosen runter! Zeig uns Dein Q!
Natürlich sind die Argumente mit der Wahrscheinlichkeit und den Modellen recht schwach. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten das direkt an WASP-18b zu testen.
Ich hätte dann gerne mal die genaue Rotationsperiode des Sterns. Dann können wir hier nämlich das machen, was wir für den Planeten OGLE-TR-56 b gemacht haben. Seine Vergangenheit betrachten (3).
Die Gezeitenreibung dreht ja gleichzeitig an der Drehung des Sterns und an der Position des Planeten. Und ja, je nachdem welchen Q-Faktor man annimmt, macht das sogar einen gewaltigen Unterschied bei der Drehung des Sterns. Für OGLE-TR-56b haben wir herausgefunden, dass die kleinen Q-Werte keinesfalls passen. Denn sonst müsste der Stern bei der Position, welche der Planet einnimmt, wesentlich schneller rotieren. Selbst im aller- allerkonservativsten Fall.
Außerdem werde ich den Planeten WASP-18b und seinen Orbit die nächsten 10 Jahre sehr genau im Auge behalten. Wenn er wirklich nur noch am Röcheln ist, dann müsste man in dieser Zeit eine merkliche Abnahme der Rotationsperiode sehen. Hey, das Q direkt zu messen und das innerhalb meiner Lebenszeit, das ist schon verdammt cool.
Ich hab mich schon mehr oder weniger damit abgefunden, dass ich auf meinem Sterbebett liegend meinen Enkeln zuraunen würde: “Ich hab’s Euch doch gesagt! Q > 108! Verdamm mich!”
Danke WASP-18b! Danke, dass Du existierst! Jetzt mach bloß keinen Scheiß und versenk Dich zu schnell in den Stern! 😉
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(1)Letter, Nature 460, 1098-1100 (27 August 2009) | doi:10.1038/nature08245;
An orbital period of 0.94 days for the hot-Jupiter planet WASP-18b
Coel Hellier et al. (Research Blogging findet das Paper nicht. WTF?)
(2)P�tzold, M., Carone, L., & Rauer, H. (2004). Tidal interactions of close-in extrasolar planets: The OGLE cases Astronomy and Astrophysics, 427 (3), 1075-1080 DOI: 10.1051/0004-6361:20040258
(3)CARONE, L., & PATZOLD, M. (2007). Constraints on the tidal dissipation factor of a main sequence star: The case of OGLE-TR-56b Planetary and Space Science, 55 (5), 643-650 DOI: 10.1016/j.pss.2006.05.044
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