Möglicherweise war das Laacher-See-Ereignis für Eiszeitjäger in Mitteleuropa etwas, das den Überlebenden noch einige Zeit nach dem Vulkanausbruch und auch in größerer Umgebung das Leben schwer machte.
Klar, wenn ein Vulkan ausbricht, ist der erste Gedanke: Nur weg hier (1).
Ein solcher Ausbruch fand in geologischen Zeiträumen quasi gestern (in menschlichen Maßstäben vor etwa 13 000 Jahren) gar nicht so weit weg von meiner Haustür statt. Damals bahnte sich Lava in der Eifel den Weg an die Oberfläche und traf auf Wasser.
Bild (Wikipedia): Der Laacher See in der Eifel. Eigentlich handelt es sich um eine wassergefüllte Caldera, also die eingestürzte Magmakammer eines großen Vulkans.
Was passiert mit Wasser, auf das heißes Magma trifft? Es verdampft schlagartig. Die dabei freiwerdenden Kräfte sind so gewaltig, dass es Gestein förmlich zerbröselt. Diese Explosion (genauer gesagt Phreatomagmatische Explosion) riss ein Loch in die Landschaft, das sich allmählich mit Wasser füllte. Der Laacher See ward geboren. Die Eruptionsäule könnte bis zu 40 km hoch gewesen sein.
Lava fließt bei solchen Ausbrüchen eher selten. Das ist eines der vielen Vorurteile, die von Fernsehen immer durchgekaut werden. Vulkan = Lava. Und Vulkan = weithin sichtbarer Vulkankegel =Berg. Es gibt aber sehr unterschiedliche Vulkane und Ausbruchsformen.
Noch ein weiteres Vorurteil, das vom Fernsehen oft geschürt ist. Die Lava ist das schlimmste am Vulkanausbruch. Klar, das sieht auch sehr unheimlich aus. Aber die meisten Menschen in Pompeii wurden 79 n. Chr. nicht von Lava sondern vom heißen pyroklastischem Strom förmlich ausgedörrt. Hier war heiße Luft und eben nicht Lava tödlich. Vor der kann man sogar – wenn sie nicht allzu dünnflüssig ist – locker wegrennen. Vor den Waldbränden, welche die Lava auslösen kann, wiederum nicht unbedingt.
Im Falle des Ausbruches vom Laacher See ergoss sich nach der Explosion vor allem eine Wolke aus Wasserdampf, Gas, Asche und fein verstobenem Gestein in die Umgebung. So ähnlich wie die gefürchteten pyroklastischen Ströme nur feuchter und kühler. Wobei “kühler” hier heißt um die 100 Grad. Reicht also trotzdem, um alles Leben in der Umgebung zumindest stark in Mitleidenschaft zu ziehen. Außerdem scheint bei diesem speziellen Ausbruch Geröll aus dem Vulkan den Rhein bei Andernach aufgestaut zu haben. Als dieser natürliche Damm dann brach, ergoss sich eine Flutwelle 50 km flussabwärts.
Aber selbst der größte Vulkanausbruch klingt irgendwann ab. Und hinterlässt eine mit einer fiesen Mischung aus Asche und Gesteinsstaub (Tephra) überzogenen Landschaft. Nach dem Laacher-See-Ereignis wurde das Zeugs bis nach Italien geweht (2).
Doch wie fies war dieses Tephra?
Dass man es nicht unbedingt einatmen sollte, ist bereits bekannt. Aber selbst wenn die Vulkanasche sich abgesetzt hat, ist noch nicht alles ausgestanden. Irgendwann wollen die Überlebenden auch etwas auf den Schrecken essen und trinken. Blöd nur, wenn es dann ständig zwischen den Zähnen knirscht.
Der Laacher Ausbruch fiel in die Zeit des Jungpleistozäns (ausgehende Eiszeit) genauer gesagt die Zeit des Alleröd-Interstadial. Die technischen Möglichkeiten mit dieser Katastrophe umzugehen waren damals sehr begrenzt.
Es sieht so aus, als ob der Vulkanausbruch und seine mittelbaren Folgen den Menschen auch in größerer Entfernung stark zusetzte. Die Bevölkerung in Mitteleuropa nahm wohl insgesamt ab und die entsprechenden Kulturen (Bromme, Perstunian in Osteuropa und Fürsteiner-Fazies) verarmten scheinbar technologisch im Vergleich zu den Federmesser-Gruppen: Der Gebrauch von Pfeil und Bogen ging verloren, die Steinbearbeitung degenerierte. Kurz: Es fand nach dem Ausbruch wohl ein allgemeiner Niedergang statt.
Alles nur wegen knirschender Zähne?
Na ja, jedenfalls nicht nur. Das behaupten selbst Felix Riede aus Dänemark und Jeffrey M. Wheeler von der Universität von Cambridge nicht. Sie untersuchten aber, ob dieser Faktor zumindest eine Rolle gespielt haben könnte. Sie haben sich mal angeschaut, was mit den Zähnen im Laborexperiment passiert, wenn sie diese mit dem Staub aus dem Laacher Ausbruch bearbeiten. Sie führten Druckexperimente mit Vulkanstaub aus der mittleren und weiten Umgebung des Ausbruchs an Zähnen durch.
Sie testeten die Härte der Körner an menschlichen und an Zähnen typischer Beutetiere eiszeitlicher Jäger: Rentiere, Elche, Pferde, Biber, Kaninchen/Hasen. Für die meisten Tests wurden Zähne von frisch getöteten Tieren verwendet. Nur im Fall des europäischen Bibers und für Zähne des Homo Sapiens wurde auf historische Sammlungen zurückgegriffen (3). Unter den typischen Beutetieren dieser Zeit gab es nicht wenige, die vor allem bodennahe Vegetation fraßen.
Tatsächlich war der Staub 50% härter als selbst der härteste Zahn.(4) Gleichzeitig zeigten die Experimente, dass sich auch Fluorid an den porösen Partikeln anlagerte. Wenn aber lebenden Zähnen Flourid entzogen wird, dann weicht dadurch der Zahnschmelz auf, was den Abrieb noch verschlimmert.
Bild: Oben: Rille durch ein Tephra-Teilchen. Darunter: Rille verursacht durch einen 10 Mikrometer großen Diamanten. Wenn ich das richtig sehe, dann diente hier als Unterlage ein Zahn eines Elches.
Mit anderen Worten: Der Vukanstaub ist nicht gut für die Zähne. Überhaupt nicht gut. Weder für die der Menschen noch für die Zähne ihrer Beutetiere. Wobei Menschen ja noch ihr Essen abwaschen können, solange das Wasser nicht auch verseucht ist. Die Tiere hatten diese Möglichkeit aber nicht. Was möglicherweise die Zahl der Beutetiere dezimierte. Insbesondere wenn der Ausbruch im Frühjahr/Sommer erfolgte. Wer weniger fressen kann, weil die Zähne schlechter sind, der ist anfälliger für alles mögliche.
Wobei die Frage ist, wie stark das Zeug haftete und wie lange es sich in derart hohen Konzentrationen gehalten haben kann, dass es einen merklichen Einfluss auf die Ernährung der Tiere gespielt haben könnte. Wenn es nach dem ersten Regenguss weggespült wurde, dann ist der Zusammenhang “Tephra + Zähne = Höhere Tiersterblichkeit” wohl nicht richtig. Es müssen allerdings vor 13000 Jahren schon große Mengen heruntergekommen sein, denn die “Asche” des Ausbruchs wird gerne zur zeitlichen Einordnung von archäologischen Funden aus der Zeit benutzt.
Der postulierte Abrieb durch die Asche muss aber schon erheblich gewesen sein, um sich derart negativ auf die Wildbestände auszuwirken, so dass Eiszeitjäger gezwungen waren in bessere Gegenden auszuweichen oder im Extremfall schlicht verhungerten.
Es ist den Forschern auch bewusst, dass es sich bislang um eine Hypothese handelt. Die zwar durch diese neuen experimentelle Befunde etwas mehr auf der Plusseite hat, wo es aber noch ein bisschen an Gehalt fehlt. Daher schlagen die Riede und Wheeler vor, es zu testen, indem man in Fossilien der Tierwelt dieser Zeit nach diesem erhöhten Zahnabrieb sucht. Wenn tatsächlich Wild in größerer Zahl verendete, weil die Zähne sich durch den Staub zu stark abnutzten, dann müsste sich das belegen lassen.
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(1) Falls man nicht zur seltenen Spezies der Vulkanologen gehört.
(2) Was wieder passt. Wie sagt Konrad Beikircher immer so schön. Köln ist die nördlichste Stadt Italiens.
(3) Ich vermute mal Zähne von frisch verstorbenen Menschen sind für so einen Versuch nicht leicht aufzutreiben. “Wozu brauchen Sie die Zähne des Verstorbenen?” “Wir wollen gucken, was passiert, wenn man Vulkanasche kaut.” Stell ich mir schwierig vor, da ne Einwilligung zu kriegen.
(4) Ich hab hier den peinlichsten Mathefehler in einem wissenschaftlichen Text gefunden. “50% härter” mehr ist nicht “zweimal so hart wie” sondern “1,5 mal so hart wie”.
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Riede, F., & Wheeler, J. (2009). Testing the ‘Laacher See hypothesis’: tephra as dental abrasive Journal of Archaeological Science, 36 (10), 2384-2391 DOI: 10.1016/j.jas.2009.06.020
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